Sturm in der Badewanne

Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern proben in einer Katastrophen-Simulation den Einsatz im Ernstfall einer gefährlichen Sturmflut in der Ostsee. Ein Ziel: die Bevölkerung beruhigen

von Esther Geißlinger

Das Wetter zumindest spielt richtig gut mit – fast zu gut, finden Käthe Gerke, Friedel Dallmann und Erna Baade. Die drei Damen, alle jenseits der 80, stehen fröstelnd vor ihrem Altenheim in Schleswig und warten auf den Bus, der sie in Sicherheit bringen soll. Oder jedenfalls ins Warme. Als sie diesen Tag planten, hatten sie mit Sonnenschein gerechnet, nun droht Regen, ein kalter Wind pfeift durch die Bäume. Und kein Bus in Sicht – die jungen Männer von der Feuerwehr wissen auch nicht, wo der steckt.

Während in der realen Welt Wirbelsturm Wilma Mexiko verwüstet, proben Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nur für die Katastrophe. Angenommenes Szenario ist der Sturm in der Badewanne: eine Sturmflut in der Ostsee. „Man hat das nicht so im Bewusstsein“, erklärt Kreiswehrführer Walter Behrens. Aber möglich sei es schon, das die brave Ostsee über die Ufer tritt – alle acht Jahre findet so eine Sturmflut im Schnitt statt, das letzte wirklich bedrohliche Hochwasser gab es 1872. Wenn es zum Ernstfall käme, müssten allein in Schleswig-Holstein 637 Kilometer Küste geschützt werden, das Hinterland liegt nur knapp über Normal-Null oder sogar unter der Wasserkante. „Es ist unverzichtbar, dass geübt wird“, sagt Innenminister Ralf Stegner (SPD), der an diesem Tag zwischen verschiedenen Einsatzorten tourt. 50.000 Euro lässt sich das Land die Übung kosten, 1.300 Menschen von Feuerwehr, Deutschem Roten Kreuz, Technischen Hilfswerk und Verwaltungen sind unterwegs, schleppen Sandsäcke in Flensburg und an der Schlei, wo ein Deichbruch angenommen wird, oder bringen alte Leute in Sicherheit.

Es ist eine der größten Übungen dieser Art seit vielen Jahren, und zum ersten Mal wird das Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern miteinbezogen. Vor allem geht es darum, wie die Einsatz-Stäbe miteinander klarkommen – dazu sitzen im Schleswiger Kreishaus viele Menschen an langen Tischen zusammen, erhalten Meldungen und schicken ihre Truppen los. Straßen sind überspült, Keller laufen voll, auf der Autobahn ist ein Lastwagen mit Tauben aus der Türkei umgekippt. Kreiswehrführer Behrens langweilt sich ein wenig: Im Ernstfall wäre er jetzt zum brechenden Deich unterwegs. „Aber es ist eben eine Spielsituation.“

„Eine Sturmflut kann man nicht proben, es bleibt eine Übung.“

Richtig spielen dürfen die Leute vom Bürgertelefon: 23 Mitarbeiter des Kreises sind dafür geschult worden, im Ernstfall mit panischen Bürgern zu sprechen, sie zu beruhigen und Ratschläge zu geben. Jetzt sitzt die Hälfte der Gruppe in einem kleinen Raum zusammen, der erfüllt ist mit Stimmengewirr, und nimmt die Anrufe der anderen Hälfte entgegen. Die geben sich Mühe, ihre Kollegen richtig unter Druck zu setzen: „Wenn ich rausfinde, wen ich da grade dran hatte, die kann was erleben“, schimpft Kommunikationstrainerin Stephanie Janssen. Aber die Chance zur Rache naht, die Rollen wechseln.

Weniger zu tun hat der Verwaltungsstab: „Sehr viel los war nicht“, gibt dessen Chef Eckhard Meloch zu. Immerhin: Es gibt eine Video-Konferenz per Bildtelefon nach Kiel. „Das hatten wir im vergangenen Jahr schon von der Nordseeküste versucht“, sagt einer der Schiedsrichter, die die Übung bewerten. „Aber da hatte Kiel schon Feierabend gemacht.“ Diesmal ist Kiel in der Leitung – aber viel zu melden gibt es da schon nicht mehr. In einer Schule wurde eine Notunterkunft eingerichtet, und da landen, Stunden zu spät, die Damen aus dem Altenheim. Innenminister Stegner muss sich die Beschwerden über die lange Warterei auf den Bus anhören und bittet um Verständnis. Insgesamt sei die Übung sehr gut verlaufen, sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Mecklenburg-Vorpommern, sagt er. Details werden die Stäbe in den kommenden Wochen besprechen. „Eine Sturmflut kann man nicht proben“, sagt Stegner. Tatsächlich soll „Arche 05“, so der Titel der Übung, zum Teil die Bevölkerung beruhigen: Angesichts der Katastrophen in aller Welt wäre „nichts schlimmer, als wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, wir seien nicht vorbereitet“, sagt Schleswigs Landrat Jörn Kamischke. Und verspricht: Ein Chaos wie in New Orleans werde es in Deutschland nicht geben.