Scherf verhindert doppelten Sieling

Landeschef Carsten Sieling will Nachfolger von Fraktionschef Jens Böhrnsen werden. Den Parteivorsitz will und muss er spätestens im März abgeben. Dass Sieling nicht beide Ämter übernehmen kann, verdankt er Henning Scherf

Ex-SPD-Vorsitzender Detlev Albers:„Dat hepp wie schon immer so mokt.“

bremen taz ■ Keiner in der Bremer SPD sitzt zur Zeit so fest im Sattel wie Landeschef Carsten Sieling. Allenthalben erkennen die Genossen an, dass der 46-Jährige die Nachfolgediskussion um den scheidenden Bürgermeister Henning Scherf gekonnt und neutral moderiert hat. Nun hat Sieling selbst erklärt, dass er Nachfolger von Jens Böhrnsen als Fraktionschef werden will – die Abgeordneten werden ihm folgen. Wenn Sieling auch weiter die Partei führen wollte, der er erst seit rund eineinhalb Jahren vorsitzt, würde ihm wohl kein Genosse Knüppel zwischen die Beine werfen. Doch Sieling will den Vorsitz abgeben, weil die Bremer SPD traditionell ihre Ämter trennt seit 1972 der damalige Bürgermeister Hans Koschnick versuchte, gleichzeitig Landeschef zu werden. Das verhinderte damals Henning Scherf.

Im Oktober 1971 gewinnt die SPD die Bürgerschaftswahl. „Keine Prognose hätte den Bremer Sozialdemokraten einen Erfolg in dieser Höhe zugetraut“, schreibt damals ein gewisser Wolfgang Clement in der Westfälischen Rundschau. Trotz des Siegs kandidiert Parteichef Moritz Thape nach zehn Jahren nicht mehr für den Landesvorsitz. Hans Koschnick sieht seine große Chance, die aufmüpfige Partei zu disziplinieren und wirft seinen Hut in den Ring. Schon vor der Wahl hatte er eine „parteipolitische Achtung entscheidender Senatsbeschlüsse“ gefordert. Mehrfach muss der Regierungschef mit Rücktritt drohen, um eine Mehrheit für seine Gesetzesvorlagen zu bekommen. Die Jungsozialisten (Jusos) stellen damals rund ein Fünftel der Bürgerschaftsabgeordneten. In Konflikten um die Universität machen sie dem Ur-Sozialdemokraten Koschnick das Leben schwer. Die Jusos prangern an, dass „Gewissenskonflikte für Senatsmitglieder“ möglich seien. Die Partei sei dazu da, die Regierung zu kontrollieren – ein Argument, dass Abgeordnete auch heute noch gern in die Waagschale werfen. Dabei sind die Abgeordneten laut Landesverfassung Vertreter der gesamten bremischen Bevölkerung. Kein Mitglied der Bürgerschaft darf außerhalb des Parlaments zur Verantwortung gezogen werden. Die von den Genossen geforderte Kontrolle ist also mit der Verfassung nicht vereinbar.

„Wir wollten Hans Koschnick nicht direkt schaden, aber uns ging es damals darum, dass Henning Scherf Landesvorsitzender wird“, sagt der damalige Juso-Chef und spätere Bürgermeister Klaus Wedemeier. Und: „Natürlich mussten wir das inhaltlich verbremen.“ Die Jusos gewinnen die Abstimmung auf einem Unterbezirksparteitag. Koschnick zieht sich verschnupft zurück, greift nie wieder nach dem Parteivorsitz. „Ich sollte übernehmen, aber die Partei hat gesagt: Wir wollen dich nicht“, sagt er heute. Henning Scherf siegt mit drei Stimmen Vorsprung in einer Vorabstimmung gegen den Bundestagsabgeordneten Claus Grobecker. Er bleibt bis zu seinem Wechsel in den Senat 1978 Landesvorsitzender. Für ihn ist es der Start einer großen Karriere. Nur noch in zwei anderen Bundesländern sind damals die Machtposten getrennt, der Unvereinbarkeitsbeschluss ist bis heute ungewöhnlich.

Seit dieser Zeit hat außer in Übergangsphasen kein Bremer Sozialdemokrat versucht, mehrere hohe Ämter gleichzeitig auszuüben. Und die Sozialdemokraten halten an dieser Regel fest. Das Modell des „Bremer Dreigestirns“ habe sich bewehrt, meint der Bundestagsabgeordnete Uwe Beckmeyer, in den siebziger Jahren selbst bei den Jusos aktiv. Die Rolle des Fraktionsvorsitzenden sei eine strategische, der Parteivorsitzende sei dafür nicht so direkt in Kompromissformeln eingebunden. „Eine Machtkonzentration macht nur Sinn, wenn man in der Opposition ist“, meint Klaus Wedemeier. Vor allem in den Stadtstaaten hat die Ämtertrennung Tradition. Eifersüchtiges Postengeklüngel ebenso. Und was sagt Hans Koschnick? „Ich war am Ende heilfroh, dass ich nicht auch noch Parteivorsitzender war. So waren immer drei Leute verpflichtet, zusammenzuarbeiten.“

Auch Noch-Landeschef Carsten Sieling will keinen Versuch machen, die Ämtertrennung zu beenden. „Das wäre ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt ein Weggefährte. Die Partei würde das nicht verzeihen, Sieling an Einfluss verlieren. Und auch der Ex-Landeschef Detlev Albers hält die Ämtertrennung für gerecht: „Dat hepp wie schon immer so mokt.“ kay müller