Das mehrsprachige Klassenzimmer

SPRACHEN Möglichst viele Nachwuchs-Lehrkräfte sollen sich mit „Deutsch als Zweitsprache“ beschäftigen – Schleswig-Holstein nimmt ein Modul in die Ausbildung auf

JunglehrerInnen lernen für ein neues Unterrichtsfach: Deutsch für Ausländer   Foto: Hilke Hand/IQSH

„Heute isch gehe Bibliothek“ – im „Kiezdeutsch“ fallen einige Wörter einfach weg, der Satzbau ist ungewohnt, ebenso wie die Aussprache einiger Laute. Aber woher kommen diese Unterschiede zum Hochdeutschen? Welche Eigenheiten des Deutschen machen beim Lernen besondere Probleme? Und wie können Lehrkräfte Kinder unterstützen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen oder nur rudimentär beherrschen?

Antworten auf solche Fragen lernen angehende Pädagoginnen und Pädagogen im Fach DAZ – die Abkürzung steht für „Deutsch als Zweitsprache“. Schleswig-Holstein will die Zahl der DAZ-AbsolventInnen in den kommenden Jahren deutlich vergrößern und dem pädagogischen Nachwuchs mehr Hilfsmittel an die Hand geben, um mit Klassen zu arbeiten, in denen Kinder aus vielen Ländern und mit vielen Muttersprachen sitzen.

Das Modell, das im Februar in Kiel vorgestellt wurde, setzt während des Studiums an und richtet sich nicht nur an künftige Fachlehrkräfte für Deutsch, sondern steht auch denen offen, die sprachferne Fächer wie Physik oder Chemie unterrichten. „Wir setzen einen deutlichen Schwerpunkt“, sagte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) bei der Vorstellung des Angebots. Es beinhaltet, dass künftige Lehrkräfte im Rahmen ihrer Ausbildung einen DAZ-Kursus besuchen und dabei ein entsprechendes Zertifikat erwerben. Die dafür notwendige Klausur ersetzt dabei eine andere Hausarbeit im Rahmen der Staatsprüfung – für die JunglehrerInnen ist es also kein zusätzlicher Aufwand, wohl aber eine Extra-Qualifikation.

Das Angebot ist offenbar attraktiv: Für den ersten Kursus, der im Februar in Kiel startete, meldeten sich über 500 Interessierte. Genommen wurden für die erste Runde zunächst 198 Nachwuchs-Lehrkräfte, die im Juli dieses Jahres mit der Ausbildung fertig sind.

Die übrigen rund 340 stehen nun auf einer Warteliste und sollen in den folgenden Kursen geschult werden: „Das Team wird gerade verstärkt“, sagt Thomas Rieke-Baulecke, Leiter des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH), in dem das neue Fortbildungsangebot entstanden ist – und zwar in Rekordzeit: „Die Idee wurde Anfang des Jahres geboren, für die Ausarbeitung haben wir nur drei Wochen gebraucht.“

Das Zertifikat ist mit der Kultusministerkonferenz abgestimmt, so dass sich Junglehrer aus Schleswig-Holstein auch in anderen Ländern bewerben können. „Wir glauben selbstbewusst, dass andere Länder unser Modell übernehmen“, sagte Ernst bei der Auftaktveranstaltung. Über die Qualität des neuen Angebots wacht das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln, es soll den Kursus evaluieren. Professor Hartmut Günther, wissenschaftlicher Berater des Instituts, betonte wie die Ministerin die Bedeutung von DAZ-Kenntnissen bei Lehrkräften: „Das mehrsprachige Klassenzimmer ist längst Realität.“

Zurzeit gibt es in Schleswig-Holstein über das ganze Land verteilt 170 DAZ-Zentren, an denen 406 DAZ-Klassen hängen. „Wir haben bereits eine gute Struktur“, sagte Ernst. Aber angesichts vieler Kinder aus Flüchtlingsfamilien müsse ein „atmendes System“ entstehen. Im Februar besuchten über 6.000 Kinder in Schleswig-Holstein den DAZ-Unterricht, mehr als dreimal so viele wie vor zwei Jahren. ESTHER GEISSLINGER