Flüchtlinge: Studiengang als Crashkurs

Weil sie in Unterkünften gebraucht werden, will das Rote Kreuz Sozialarbeiter qualifizieren. Bei den Hochschulen stößt das auf wenig Gegenliebe.

Kein trivialer Job, auch wenn es so aussieht: Sozialarbeiter mit Flüchtlingen Foto: Felix Kästle

HAMBURG taz | Wohin man schaut: Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und Erzieher werden derzeit händeringend gesucht – und vor allem für die Betreuung von Geflüchteten. Die Nachfrage an professionellen Kräften ist sogar so groß, dass sie längst nicht mehr gedeckt werden kann. Deshalb hat das Deutsche Rote Kreuz Hannover versucht, sich Personal zu schnitzen und bei den Hochschulen angefragt, ob Dozenten für Soziale Arbeit angehende Flüchtlingsbetreuer qualifizieren könnten.

An den Hochschulen stößt dieser Vorstoß auf wenig Gegenliebe. Eine Art Crashkurs als akademische Qualifikation anerkennen zu lassen, führe zu einer faktischen Entwertung des Studiengangs, befürchtet eine Dozentin der Sozialen Arbeit, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Seit vielen Jahren weisen Mitarbeiter der Hochschulen darauf hin, dass es gemessen am Bedarf viel zu wenige Studienplätze im Fachbereich gibt“, sagt sie. Doch geändert habe sich wenig.

Seit die Zahlen der ankommenden Flüchtlinge steigen und Sozialarbeiter in den Unterkünften gesucht werden, sei die Hoffnung gewesen, dass der Studiengang endlich aufgewertet werden könnte, sagt sie. „Doch der Vorschlag des Roten Kreuzes würde im Gegenteil auf eine Abwertung des Studiengangs hinauslaufen.“

Entsprechend haben die Hochschule Hannover und die HAWK in Hildesheim die Anfrage der Rotkreuz-Gesellschaft abgelehnt, wonach sie für eine sechsmonatige Qualifizierung für Flüchtlingsbetreuer zur Verfügung stehen sollten. Laut Anfrage sollte „diese Qualifizierung zugleich zu einer Anerkennung als Sozialarbeiter/in vonseiten der Landeshauptstadt führen“, erklärt Sabine Chmielewski, Sprecherin der Hochschule Hannover.

Auf taz-Anfrage rudert das Rote Kreuz Hannover zurück und erklärt, man habe lediglich angefragt, ob Dozenten der Uni aus dem Bereich der Sozialen Arbeit für interne Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. „Qualifiziert werden sollen Flüchtlingsbetreuer, die in Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden“, sagt die Sprecherin des DRK Hannover, Nadine Heese.

Das niedersächsische Kultusministerium versichert, dass Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić Initiativen zur wissenschaftlichen Weiterbildung und die Öffnung der niedersächsischen Hochschulen begrüße. „Zudem haben das Wissenschaftsministerium und die Hochschulen schnell und unbürokratisch reagiert, um Flüchtlingen Bildungszugänge zu ermöglichen sowie Lehrpersonal und Ehrenamtliche entsprechend zu qualifizieren.“ Um das zu ermöglichen, böten viele Hochschulen Qualifizierungen für Menschen an, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind. Durch eine halbjährige Qualifizierung könne allerdings keine staatliche Anerkennung als Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterin erworben.

Die Hochschulen Hannover und Hildesheim sind nach eigener Auskunft bereit, über qualifizierende Weiterbildungsangebote für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, zu sprechen. Beide Hochschulen haben die Anfrage des Roten Kreuzes jedoch abgelehnt. „Ein beruflicher Abschluss als Sozialarbeiter/in oder Sozialpädagoge/Sozialpädagogin kann mit einem solchen Weiterbildungsmodul grundsätzlich nicht erworben werden“, sagt Hochschulsprecherin Chmielewski.

Es wäre die Aufgabe qualifizierter Sozialer Arbeit, nicht nur Feuerwehr zu sein

Frank Bettinger, Professor und Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit an der Hochschule Fresenius in Hamburg und Gründer des Arbeitskreises Kritische Soziale Arbeit geht noch einen Schritt weiter: Er beurteilt bereits die Ausbildung nach sechs Semestern Bachelor als ungenügend für eine berufliche Qualifizierung in der Praxis.

Grundsätzlich sei die Tendenz, im sozialen Bereich zu kürzen, nicht neu. „In Zeiten des neoliberalen Kapitalismus wird immer mehr von Einzelnen gefordert, die Gesellschaft nicht zu belasten“, sagt Bettinger. „Das drückt sich auch darin aus, dass Aufgaben, die professionell ausgeführt werden sollten, durch Ehrenamtliche durchgeführt werden.“

In der ehrenamtlichen Arbeit werde oft versucht, Probleme rasch zu lösen, Mängellagen und Ursachen von Probleme würden schnell kaschiert. Es wäre die Aufgabe einer qualifizierten Sozialen Arbeit, nicht nur Ad-hoc-Feuerwehr zu sein, sondern Probleme zu analysieren und zu reagieren. Dazu gehöre auch die Kenntnis unterschiedlicher Sozialisationen.

„Es gibt zu wenig Personal, die Leute sind ausgebrannt“, sagt Bettinger. Hier müsse man ansetzen und auch bereit sein, Geld zu investieren, statt die ehrenamtliche Arbeit weiter auszuweiten.

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