Fluchtwege

Immer mehr Länder auf der Balkanroute riegeln sich ab. Griechenland fühlt sich mit den Flüchtlingen alleingelassen

Wieder in die Boote

Griechenland Immer mehr Flüchtlinge kommen derzeit über die Ägais. Hilferuf Athens an Brüssel

ATHEN taz | Der ungewöhnlich warme Winter in der Ägäis macht es möglich: Bei ruhiger See und Temperaturen bis zu 20 Grad steigen immer mehr Flüchtlinge in die Schlepperboote in Richtung Griechenland, scheinbar unbemerkt von der türkischen Küstenwache.

Während nach Behördenangaben vier neue „Hotspots“ zur Registrierung der Flüchtlinge auf den größeren Ägäisinseln fertiggestellt werden, weichen Schlepper inzwischen verstärkt auf die griechische Zwerginsel Kastellorizo aus, unweit der türkischen Südwestküste: Allein am vergangenen Donnerstag waren dort über 300 Flüchtlinge angekommen, in den vergangenen fünf Monaten sind es insgesamt über 6.000.

Kastellorizo gehört anscheinend nicht zum Einsatzgebiet der Nato-Schiffe, die nach jüngsten EU-Beschlüssen die Schlepper direkt vor der türkischen Küste bekämpfen sollen. Die Menschenschleuser nutzen dies gnadenlos aus. Den Hilferuf der 250-Einwohner-Insel leitet die Athener Regierung nach Brüssel weiter, doch eine überzeugende Antwort lässt auf sich warten.

Am Montag sind über 4.400 Flüchtlinge und Migranten an Bord von drei Fähren in der Hafenstadt Piräus angekommen. Sie sitzen dort immer noch fest, da die Busse, die sie eigentlich abholen und an die nordgriechische Grenze weiterfahren sollten, in Piräus gar nicht eingetroffen waren. Nach Behördenangaben sollen die Neuankömmlinge mindestens eine Nacht in Aufnahmelagern in der Nähe der Hauptstadt Athen verbringen, bis sich ihr Schicksal geklärt hat.

Über 200 Menschen reagierten spontan mit einer lautstarken Protestaktion und erklärten, sie wollten ihre Weiterfahrt in Richtung Mitteleuropa unbedingt fortsetzen. Offenbar befürchten die griechischen Behörden einen Rückführungsstau an der mazedonischen Grenze. Der ist allerdings schon eingetreten, nachdem das Nachbarland am Sonntag seine Grenzen für Migranten aus Afghanistan gesperrt hat – mit der Folge, dass auf griechischer Seite bereits über 3.000 Menschen festsitzen. „Wir haben diplomatische Schritte unternommen. Wir glauben, dass das Problem gelöst werden kann“, sagte der für Migrationsfragen zuständige Vize-Innenminister, Giannis Mouzalas, am Montag dem Staatsfernsehen ERT.

Derzeit richtet sich der Unmut Athens allerdings eher gegen die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, die aus griechischer Sicht – die Finanzkrise lässt grüßen – ihre „Hausaufgaben“ nicht erledigen und dafür lieber die eigenen Grenzen schließen, um keine Flüchtlinge in Richtung Nordeuropa durchzulassen. Mouzalas hat die Schuldigen bereits ausgemacht: „Einige Länder“ hätten die „europäische Kultur einer gemeinsamen Problemlösung nicht verinnerlicht“, monierte der Minister.

Den Visegrad-Staaten warf er konkret vor, sie hätten „nicht einmal eine einzelne Bettdecke für die Flüchtlinge zur Verfügung gestellt“ und äußerten sich dabei auch noch „beleidigend über Griechenland“.

Vermutlich will die linksgeführte Regierung von Alexis Tsipras ab sofort energischer gegen den in Osteuropa lautstark erhobenen Vorwurf vorgehen, Griechenland sei nicht in der Lage, die eigenen Grenzen zu sichern. Die Richtung hat Tsipras bereits selbst vorgegeben: „Den erhobenen Zeigefinger werden wir nicht akzeptieren, nunmehr wird kein Angriff unbeantwortet bleiben“, erklärte der Linkspremier am Samstag während einer turbulenten Flüchtlingsdebatte im Parlament.Jannis Papadimitriou

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