Zugkatastrophe

Elf Menschen waren bei dem Unglück von Bad Aibling ums Leben gekommen. Die Staatsanwaltschaft sieht menschliches Versagen

"Wichtig ist direkte Kommunikation"

Systeme Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, sagt der Sicherheitsexperte Thomas Strang

Thomas Strang

Foto: privat

44, Wissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, hat mit seinen Kollegen ein Kollisionswarnsystem für Züge entwickelt (RCAS), das auf der Technik aus der Luft- und Schifffahrt basiert.

taz: Herr Strang, das Unglück von Bad Aibling ist offenbar auf einen Fehler des Fahrdienstleiters zurückzuführen. Hätte Ihr Kollisionswarnsystem (RCAS) den Unfall verhindern können?

Thomas Strang: Ja, davon bin ich überzeugt. Die vier Lokführer hätten mit seiner Hilfe lange bevor der jeweilige Gegenzug in Sicht geriet voneinander erfahren und mit einem Abstand von einigen hundert Metern anhalten können.

Wie funktioniert Ihr System?

Eine Kombination verschiedener Sensoren in dem Gerät ortet sehr präzise die Position des Zuges in Bezug auf das Gleisnetz, seine Geschwindigkeit, Fahrtrichtung und den Bremsweg je nach Neigung der Strecke. Auch ob der Zug gerade beschleunigt oder das Tempo drosselt wird erfasst. Über Funk übermitteln sich die ausgerüsteten Züge gegenseitig ihre Daten. Aber es ist nicht so, dass da die Lokführer über das System miteinander sprechen. Sondern alle Werte, die die Sensoren erfassen, werden in eine intelligente Software übertragen. Alle sich in einem bestimmten Umkreis befindlichen Züge wissen so voneinander.

Kommen sich zwei Züge zu nahe …

… warnt die jeweilige Software beim Überschreiten definierter Grenzwerte den Lokführer vor der kritischen Situation mit einer Bremsanweisung. Es ist wichtig, Fehlalarme zu vermeiden. Voraussetzungen dafür sind die gleisselektive Ortung …… wobei etwa zwei korrekt auf parallelen Gleisen fahrende Züge keinen Alarm auslösen …

… und eine direkte Zug-zu-Zug-Funkkommunikation ohne Zentrale.

Was passiert, wenn der Zug im Tunnel, im dichten Wald oder durch die Berge fährt?

GPS funktioniert hier nicht zuverlässig genug. Für die bord­autonome Ortung haben wir daher eine Sensorkombination gefunden, welche auch unter solchen Umgebungsbedingungen hinreichend zuverlässig und genau funktioniert. Wir verwenden dabei keinen verbindungsorientierten Funk, sondern einen besonderen Betriebsmodus, wie ihn auch Rettungskräfte und Polizei benutzen können. Wir brauchen dazu keine Funkmasten, es sind wirklich die Züge, die miteinander kommunizieren.

Ihr System wurde 2010 in Zügen der Bayerischen Oberlandbahn getestet. Wieso wurde es nicht eingebaut?

Das weiß ich nicht. Wir hatten 2010 und auch danach mit der Bayerischen Oberlandbahn eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Sie haben uns mit Fahrzeugen und Strecken in München sowie durch bergiges Gebiet unterstützt. Leider ist es bisher zu keinem Einsatz im Regelbetrieb gekommen.

Kann es auch andere Hindernisse melden, etwa ein Auto auf einem Bahnübergang?

Nein. Es müssen immer zwei Geräte in Kontakt treten. Aber wir haben eine tragbare Version für Gleisbauarbeiter entwickelt und dazu eine App, die sich Gleisarbeiter auf ihr Smartphone laden können.

Wo wird es eingesetzt?

Bislang werden nur die Harzer Schmalspurbahnen voll ausgerüstet. Aber wir bekommen viele Anfragen. Konkrete ­Anfragen kommen derzeit von Bahngesellschaften aus Spanien, Italien, Russland und sogar Südafrika.

Wie steht es im europäischen Vergleich mit der Sicherheit?

Nach dem jährlichen European Safety Railway Report der EU kommt es auf europäischen Strecken jeden Tag zu ein bis zwei Kollisionen, das macht zwischen 300 und knapp 700 im Jahr. Das wollten wir ändern.

Kann Ihr System die jetzigen Sicherheitssysteme ersetzen?

Nein. Es stellt zusätzlich Sicherheit her, weil die Züge unabhängig von einer Zentrale voneinander wissen. Aber es soll nicht vorhandene Sicherheitseinrichtungen oder den Fahrdienstleiter ersetzen. Dafür bietet es den Lokführern über einen Monitor Einblick in die Streckensituation. Bei Testfahrten sagen uns Lokführer immer: „Endlich kann ich um die Kurve sehen!“

Interview margarete moulin