Wahnsinn Landwirtschaft

Viehzucht Biobauer Johannes Schettler aus Bremen erzählt vom Leben auf dem Hof

Johannes Schettler Foto: Gabriele Goettle

von Gabriele Goettle

Johannes Schettler, Dipl.-Biologe und Biobauer. Aufgewachsen in Münster, nach Abitur Besuch der Hochschule für Nautik in Bremen. 18 Monate Praktikum auf See als Kapitänsanwärter. Wechselte dann aber zur damals berühmten Reform-Uni Bremen, absolvierte ein Biologiestudium und schloss mit Diplom ab. Vier Semester als Hiwi mit Dissertationsperspektive folgten. Davor Teilnahme an Ökoseminaren im Parzival-Hof der „Stiftung Leben & Arbeiten“. 1977 Mitbegründer der SV-KOOP und Heirat. Abbruch des Dissertationsvorhabens, stattdessen Aufbau eines landwirtschaftlichen Betriebes. Er war zuvor bereits seit Ende der 70er Jahre in der „Bürgerinitiative Hollerland“ aktiv und half mit, diese alte, einst von den Holländern geschaffene Kulturlandschaft vor der Bebauung mit einer Trabantenstadt zu bewahren. Anfang der 90er Jahre endlich wurden 293 Hektar auf Druck der Aktivisten unter Naturschutz gestellt. Johannes gründete zusammen mit anderen die „Rindergilde“. Seit 1992 betreibt er einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb ohne Hof, aber mit 30 Gallowayrindern auf gepachteten Flächen im Naturschutzgebiet. Im Jahr 2000 Umstellung auf Vollerwerbsbetrieb. Er war Mitbegründer der „Freien Kinder-Schule“ Bremen und Mitbegründer der Bremer „Erzeuger- und Verbraucher-Genossenschaft“, die seit 26 Jahren die regionalen Bioprodukte ihrer Produzenten über einen Bauernladen verkauft. 2008 erwarb er seinen Hof in Schwarme. Johannes Schettler beschäftigt sich außerdem mit Philosophie, Politik und Kulturkritik. 1989 lernte er den Kulturkritiker Ivan Illich kennen, der bis zu seinem Tod 2002 an der Uni Bremen außergewöhnliche Vorlesungen hielt. Johannes gehörte bald zum Kreis der Schüler und Freunde, er gründete mit anderen 1990 eine Diskussions- und Lesegruppe, die sich bis 2012 gehalten hat. Johannes wurde 1955 in Lübbecke/Westfalen geboren, der Vater war Orthopädiemechaniker, Prothesenbauer an der Uniklinik Münster, die Mutter arbeitete als technische Zeichnerin. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat aus erster Ehe einen Sohn.

Der Hof von Johannes liegt in Niedersachsen, in Schwarme, etwa 30 Kilometer entfernt von Bremen. Das Land ist flach mit schwärzlicher Erde, geprägt durch Felder, Weiden, schüttere Baumbestände und gepflegte Niedersachsenhäuser aus rotem Backstein. Seine Hofstelle ist eher klein, mit großen alten Bäumen bestanden und liegt abseits des Ortes. Da es gerade viel geregnet hat, scheint alles in schwarzem Matsch zu versinken, die Traktoren, die landwirtschaftlichen Geräte, der Pferdetransporter, die Holzschuppen, der bunte Hahn und seine Hennen, die Heuballenstapel und auch die beigefarbenen lockigen Rinder hinter dem Zaun. Nur die weißen Flug- und Warzenenten bewegen sich makellos und beglückt durch Matsch und Pfützen. Sie fauchen leise, nah an meinem Hosenbein.

Johannes hat mich in Bremen am Bahnhof abgeholt, zeigt kurz in die Runde und führt mich in sein Haus aus rotem Backstein, in eine wunderbar warme Wohnküche. Seine Frau Susa hat bereits Tee gekocht und einen wunderbar duftenden Apfelkuchen gebacken. Im alten Küchenofen knistern die Holzscheite, die Katzen streichen um unsere Beine und ein kleiner brauner Yorkshireterrier schaut erwartungsfroh zum Tisch herauf. Die Idylle täuscht. Johannes ist einer jener Vertreter der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die dem ungehemmten Verdrängungswettbewerb der großen ausgesetzt sind. Verträge wie TTIP lehnt er rigoros ab.

„Also mein Betrieb umfasst zurzeit das Hofgebäude hier, die Stallungen für das Geflügel, die Gehege. Im Naturschutzgebiet Hollerland, in Hagen-Grinden, in Felde und Schwarme habe ich noch 26 Hektar Land, wovon 3 Hektar hier eigenes Land sind. Momentan besitze ich 40 Rinder, Galloways, 10 Mutterkühe, der Rest ist Nachwuchs. Die Gallowayrinder sind eine sehr alte Rasse, wurden schon von den Römern erwähnt. Sie stammen ursprünglich aus dem Südwesten von Schottland, sind klein, friedfertig, genügsam. Sie werden nicht hochgezüchtet und leben ganzjährig auf der Weide. Man hat herausgefunden, dass durch ihre Beweidung sich die Artenvielfalt der Pflanzen auf diesen Flächen erhöht. Sie bekommen Heu zugefüttert und im Winter jeden Tag zwei bis drei Schubkarren Kartoffeln, von einem Biobauern aus Sulingen. Das Heu stammt von meinen eigenen Flächen im Naturschutzgebiet Hollerland, da mache ich im Jahr so 200 bis 300 Rundballen. Biobetriebe übrigens dürfen nicht mehr Tiere halten, als sie mit ihren Weide- und Ackerflächen ernähren können. Dann habe ich noch 20 Flug­enten und etwa 25 Hühner. Enten und Eier verkaufe ich ab und zu im Bekanntenkreis. Voriges Jahr hatte ich 50 kleine Enten, die Hälfte hat der Fuchs beziehungsweise die Füchsin weggeholt. Vier Junge hatte die Füchsin, ich habe sie in der Dämmerung im Graben hinten gesehen. Na gut, die müssen ja auch mal was fressen. Sie kommt ja zum Glück nicht jedes Jahr.

Einnahmequelle Fleisch

Meine Haupteinnahmequelle ist ja das Fleisch. Die gesamte Milch lasse ich den Kälbern. Durch die Lebensweise der Tiere ist das Fleisch sehr gut, auch sehr gesund, es hat einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren. Vor allem die Linolensäure ist ein Schutzfaktor gegen Herz- und Kreislauferkrankungen. Seit Ende der 90er Jahre beliefere ich den Bauernladen und komme zwei- bis dreimal pro Woche nach Bremen. Von September bis Mai wird jeden Monat ein drei Jahre alter Bulle in einer kleinen Schlachterei in Kirchweyhe geschlachtet. Am Wochenende danach machen wir im Körnerwall mit den Innereien ein schönes Schlachtfest, schon seit acht oder zehn Jahren. Bis zu 30 Leute kommen manchmal. Bei mir ist es so, ich verwende alles von meinen Schlachttieren, alles, was nach BSE noch erlaubt ist, also Leber, Nieren, Zunge, Herz, Pansen. Sogar für Labmagen habe ich eine Kundin. Pierre, ein Franzose, hat mal Pansen gemacht. Erst war ich skeptisch, aber nächstes Mal hat es mir schon sehr geschmeckt. Gerichte aus Hoden machen wir auch. Also wir werfen nichts weg. Nur was das Fell betrifft, da hat sich bisher noch kein Abnehmer gefunden.

Das Fleisch hängt zehn Tage ab, wird zerlegt und ich bringe es dann zu den Kunden. Es gibt immer viele Bestellungen. Auch für Salami, Schinken und demnächst Bratwurst. Im Moment gibt es keine Probleme. Aber das war nicht immer so. Damals in den 90er Jahren bekam ich so einen Vorgriff auf mein Erbe und habe mir eine kleine Gallowayherde davon gekauft. Ein Kalb davon konnte ich noch zu einem sehr guten Preis verkaufen und danach kam BSE, die Preise sanken in den Keller.“ (BSE, „ bovine spongiforme Enzephalopathie“, Gehirnerkrankung des Rindes, auch „Rinderwannsinn“ genant. Höhepunkt Ende der 90er Jahre. Ganze Rinderherden wurden prophylaktisch getötet, besonders viele in Niedersachsen. Ursache von BSE war Schlamperei bei der Tiermehl-Produktion in England. Die Kadaver von infizierten Tieren wurden bei zu niedrigen Temperaturen zu Tiermehl-Kraftfutter verarbeitet. Im Rahmen der BSE-Krise wurde ein Verbot für die Fütterung von Rindern mit Tiermehl erlassen. Anm. G.G.). „ Der Umgang mit BSE zeigt sehr gut die übliche Vorgehensweise. Kopf in den Sand! In Deutschland wurde BSE ja zunächst überhaupt totgeschwiegen, damit der Rindfleischmarkt nicht zusammenbricht.

Tötung der Exportrinder

Verschwiegen wurde, dass in England die Fütterung mit Tiermehl zwar verboten worden war, das Futter selbst aber nicht aus dem Markt herausgenommen, sondern billig verkauft wurde in Westeuropa. Und das hatte Folgen. Irgendwann wollte man alle Exportrinder töten. Ich hatte eine Exportkuh damals von der Rindergilde gekauft. Ich hatte aber eine eidesstattliche Erklärung, dass diese Kuh niemals Kraftfutter bekommen hat. Die Gallowayrinder hatten eben deswegen kein BSE, weil sie nur Gras und Heu fressen, aber niemals Kraftfutter. Trotzdem sollte meine Kuh getötet werden. BSE konnte nur am Gehirn des toten Tieres getestet werden. Kurz bevor sie mit der Spritze kamen, habe ich sie versteckt, was ziemliche Wellen geschlagen hat. Das Fernsehen aus England war da, die Zeit hat berichtet. Letztendlich habe ich mich dann bei Gericht durchgesetzt. Aber es war eine existenzielle Bedrohung.

Ich habe eigentlich mein Leben lang immer nur improvisiert, denn das Ökonomische ist oft unberechenbar. Ich lebe eigentlich von der Hand in den Mund. Als Betrieb bist du abhängig von Brüssel. Heute ist es so, du kriegst deine Prämie nur noch für die Hektar. Je mehr Land du hast, umso mehr Geld bekommst du. Inzwischen ist es egal, ob Ackerland oder Grünland, da gibt es heute eine einheitliche Prämie. Die Großen, die kriegen dann aber nicht zehntausend Euro, die kriegen dann mal gleich so einige hunderttausend Euro, und damit kaufen sie noch mehr Land und arbeiten noch rationeller. Und so fördert man, quasi über Prämien, die Durchsetzung der Agrarindustrie. Das ist politisch so gewollt. Man hätte ja längst eine Kappungsgrenze einführen können, soundso viel gibt es, mehr nicht. Oder man hätte die Kleinen fördern können, indem man sagt, die Kleinen kriegen bis 20 Hektar die doppelte Prämie. Aber das wurde alles nicht umgesetzt. Die Kleinen kriegen zwar etwas mehr –200 € Grundprämie und dazu50 € –, aber oben wurde eben nicht gekappt. Für Ökolandwirte gibt es noch extra Prämien, z. B. für die Bereitstellung ‚ökologischer Vorrangflächen‘. Bekomme ich auch. Nur dadurch kann ich eigentlich existieren. Kein landwirtschaftlicher Betrieb existiert ohne die Ausgleichszahlungen. Keiner! Aber der normale kleine Landwirt ist dennoch am Untergehen. Durch die Preise, die heute gezahlt werden, müssen viele aufgeben. Bei den konventionellen Familienbetrieben hat sich die Anzahl der Höfe stark reduziert. Vor zehn Jahren gab es noch mehr als eine halbe Million Betriebe, inzwischen sind es nur noch zweihunderttausend.

Traditionell haben wir ja im Norddeutschen Milchwirtschaft, das ist hier die Wirtschaft. Und oft auch ohne Ackerflächen und mit eher wenig Grünland. Die füttern zwar auch eigenes Futter, aber natürlich viel Kraftfutter und Futter aus dem Silo, also Mais. In Niedersachsen haben wir mit die größten Maisanbaugebiete Deutschlands. Bei uns kann durch Trockenlegung mittlerweile auch im Moor Mais angebaut werden. Diese schlimme Entwicklung ist bereits vor ein paar Jahrzehnten angelaufen und hat zur Folge, dass die Milch im Grunde genommen aus dem Kraftfutter gemolken wird. Für 24 Cent pro Liter Milch!! Das bei den Biobauern anders. Biomilchbauern verwenden erstens kein Kraftfutter und sie können im Moment recht unbesorgt überleben, weil sie einen guten Preis erzielen. Viele konventionelle Landwirte jedoch haben Probleme und nutzen zusätzliche Einnahmequellen. Bei der Lösung der Probleme in der Landwirtschaft, da fehlt es einfach am politischen Willen, auch bei den Bauernverbänden und bei den Bauern selbst. Ein gutes Beispiel für das Beharren auf einem vollkommen falschen Modell ist die Biogas-Geschichte. Wenn grüne Landwirtschaft zu massenhafter Monokultur führt, zum massenhaften Verbrauch von synthetischem Dünger und wenn das dann auch noch hoch subventioniert wird, dann stimmt was nicht. Künast war als Verbraucherministerin gut bei BSE, aber bei Biogas, da hat sie vollkommen versagt, total danebengelegen. Sie versprach den Bauern, sie würden die Ölscheichs von morgen werden.

Biogas ohne jede Auflage

„In den Biogas­regionen stiegen die Pachtpreise so sehr, dass die Landwirte­sie gar nicht mehr zahlen können“

Als das anfing, damals 2002, da habe ich schon gesagt, so geht das nicht! Ich habe Biologie studiert und mein erstes Projekt war: ‚Biologische Aspekte alternativer Technik‘. Vor 40 Jahren haben wir uns schon in einem selbst organisierten Studentenprojekt mit Biogas beschäftigt. Damals war es selbstverständlich, dass man Biogas ausschließlich aus Abfällen herstellt. In Indien hatten sie damals schon zigtausend Kleinanlagen mit Fäkalien laufen, in China haben sie sogar Lokomotiven mit Fäkalien betrieben, und auch hier in Norddeutschland gab es damals schon an die zehn Anlagen. Als Künast das dann später so um 2002 propagierte, und das ohne jede Auflage und Förderung einer konsequenten Abfallverwertung, da war mir sofort klar, das funktioniert nicht. Man kann doch nicht Futter- und Lebensmittel in solche Anlagen reingeben und das dann auch noch subventionieren! Das geht einfach auch vom Moralischen her nicht.

Heute hast du an jeder Ecke eine Biogasanlage, nicht nur die kleinen, auch die ganz großen. In ganz Deutschland gibt es inzwischen so um 9.000 Anlagen. Nach Bayern ist Niedersachsen die Nummer zwei. Man sieht fast nur noch Mais. Der ist ein enormer Zehrer, der ganze Humus geht weg. Wir haben hier Richtung B6 eine riesige Anlage, und ich möchte nicht wissen, wie viel hundert Hektar Land der dafür braucht, 800 oder so was. Dazu hat er auch noch Milchwirtschaft. Der hat jetzt gerade das Feld dort drüben mit dazugepachtet. Das ist übrigens auch wieder so ein Aspekt, wo die kleinen Betriebe dann das Nachsehen haben. In den Biogasregionen stiegen die Pachtpreise so sehr, dass die Landwirte sie gar nicht mehr zahlen können. Es gibt immer weniger Land. Ich zahle inzwischen hier eine horrende Pacht von bis zu 350 Euro pro Hektar, für Grünland! Das kann man gar nicht erwirtschaften. Früher habe ich maximal 100 DM gezahlt. Die Großen, so wie er, wenn sie Biogasanlagen haben und Subventionen bekommen, die können das realisieren und immer mehr Land dazupachten. Solche Betriebe wachsen permanent. Während die Kleinen hier massenhaft aufgeben. Das ist ihre einzige Alternative.

Immer zur Grünen Woche ist seit 2011 eine große Bauern-Demo, sie trägt den schönen Titel ‚Wir haben es satt‘. Also wir haben die Agrarindustrie satt, die Vergiftung unserer Böden, das Elend in der Massentierhaltung usw. Wir fordern Größenbeschränkungen für Stallungen, eine artgerechte Tierhaltung, regionale Futtermittelerzeugung, Freiheit für Saatgutvielfalt statt Konzern-Einheitssaatgut, und wir fordern das Verbot von Glyphosat und anderen krebserregenden Herbiziden oder Pestiziden.

Recht auf gesundes Essen

Alle haben ein Recht auf gesundes und bezahlbares Essen, weltweit! 30.000 bis 40.000 Teilnehmer haben demonstriert für die grundsätzliche Agrarwende. Es gibt ein breites Spektrum, mehr als 40 Organisationen beteiligten sich, zum Beispiel der BUND, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Demeter, Oxfam, Nabu und natürlich viele kleine Gruppen und Einzelpersonen. Viele Bauern kommen mit ihrem Traktor, und es gibt viele witzige Wagen. Demonstriert wurde auch gegen den Anbau unserer Futtermittel in Afrika und Südamerika, denn dort wird die Umwelt massiv zerstört, damit wir hier unsere Milch und unser Fleisch produzieren und unsere Überschüsse wiederum in arme Länder exportieren können, wo sie die einheimischen Märkte kaputt machen.

Unser Deutscher Bauernverband sucht ja immer noch das Heil im Export. Und er ist auch für TTIP. Die kleinen Bauern hingegen – auch die konventionellen – sind mehrheitlich dagegen. Die Demo richtete sich massiv gegen das TTIP-Abkommen. Also, es gibt viele Themen und viele verschiedene Teilnehmer. Und alle sind sich darin einig, dass es so nicht weitergehen kann!

Wir möchten keine Agrarindustrie. Dieser Wachstumswahn ist tödlich. Jeder Mensch, der mal nach draußen guckt, kann sehen, der Baum wird nicht höher als so und so hoch. Der wird nicht doppelt so hoch. Mit einer Wirtschaft, die nur funktioniert, wenn sie ununterbrochen wächst, da stimmt was nicht. Man kann das jede Woche lesen, in den einschlägigen Organen, zum Beispiel in Land & Forst, wo den Bauern eingehämmert wird: Wir müssen auf große Ställe setzen, auf Glyphosat, auf Wachstum und auf Export. Das Prinzip des Wachsens und Weichens lässt sich aber nicht endlos weitertreiben. Die Ressourcen sind begrenzt, das weiß jedes Kind. Dennoch setzen alle auf Wachstum, auch die Grünen und selbst die Linke. Aber es kann nicht funktionieren. Man hätte längst eine Arbeitsgruppe einrichten müssen für eine alternative Wirtschaft, damit man in 5 oder 10 Jahren – spätestens dann, wenn hier alles zusammenbricht – eine Alternative hat.

Daran muss man jetzt arbeiten, nicht erst dann, wenn es zu spät ist! Was die Landwirtschaft angeht, so müssen die regionalen Versorgungskreisläufe weiter ausgebaut und gestärkt werden. Und natürlich die ökologische Lebensmittelerzeugung. Mir persönlich ging grad in den letzten Tagen so durch den Kopf, dass ich, als sehr kleiner Betrieb, doch tatsächlich so einige Städter in Bremen mit sehr vielem versorge. Auf dem Wagen draußen, das hast du vielleicht gesehen, liegt Holz. Das kriegt mein Kumpel für seinen Lehmofen. Und den Saft bringe ich auch in die Stadt. Ich habe nämlich so eine alte Apfelplantage gepachtet – und letztes Jahr war die Ernte so gut, also ich habe über 2.000 Liter Saft gemacht. Ich tausche auch oder gebe was ab an Freunde, die mir helfen. Also ich liefere Fleisch, Eier, Holz, Saft. Dann habe ich ein paar Leute, die Kaninchen halten, Wachteln oder auch Ziegen, denen liefere ich Heu und Stroh. Das ist zwar alles sehr kleinteilig, wenn man so will, aber es ist ein lebhafter Austausch, auch sozial. Man kennt sich seit Jahrzehnten. So eine regionale Wirtschaft ist etwas sehr Gutes. Mein Nachbar hat seit 30 Jahren einen Biobetrieb und hat – ebenso wie ich – damals vor 26 Jahren diese ‚Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft‘ EVG mitgegründet. Zuvor hatten wir die 1977 gegründete Selbstversorgungs-Kooperative. Die EVG ist so eine Art Modell geworden für die Gewährleistung regionaler Versorgung. Das Ganze läuft auf Mitgliedsbasis, damit man verlässlich kalkulieren kann. Also einkaufen können im Bauernladen nur Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag liegt monatlich bei 12 Euro beziehungsweise bei 24 Euro für zwei Personen. Wir sind so etwa 20 Erzeuger, dazu gehören Bauern, Obsterzeuger, Bäcker, Käsereien, Imker, Metzger, Gärtner, eben Betriebe aus Bremen und dem Umland. Die Genossenschaft hat 600 Mitglieder. Ungefähr 160 Haushalte decken ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln, übrigens vorwiegend zum Selbst-kostenpreis, über den Bauernladen.

Also der Laden macht keinen Profit als Zwischenhandel, sondern er ist sozusagen ein verlängerter Marktstand, hinter dem zwar jetzt nicht der Bauer selbst steht, aber ein städtisches Mitglied der Genossenschaft. Dadurch können die Preise wesentlich niedriger gehalten werden als im Biosupermarkt. Der Bauernladen verkauft auch einige Dinge, die nicht saisonal oder regional sind, weil wir sagten, Handelsware muss auch sein. Also fair erzeugten Kaffee oder Kosmetik mit einem etwas höheren Aufschlag. Ein großer Teil der Arbeit und Koordination findet ehrenamtlich statt. Was wir auch noch haben, ist eine Gemüsekiste zum Abonnement, das organisiert eine eigene GmbH, unterhalb der EVG, die kaufen direkt bei den Bauern. Solche Genossenschaften gibt es mittlerweile in vielen Städten, in Lübeck zum Beispiel, wo das aber nicht, wie bei uns, so selbst gestrickt ist. Die machen das richtig professionell und haben ein halbes Dutzend eigener Läden. Das ist allerdings nicht das, was wir hier wollten. Raiffeisen – während der 48er Revolution gegründet zur Unterstützung armer Bauern – war auch mal eine Genossenschaft …

Junges Gallowayrind Foto: Gabriele Goettle

Also es geht nicht mit Wachstum. Im Gegenteil, die Wirtschaft muss schrumpfen. Wir brauchen den Export landwirtschaftlicher Güter nicht. Wir müssen für die regionalen Märkte saubere und gesunde Lebensmittel produzieren. Was wir dringend brauchen, ist eine Mengenregulierung. Die Milchquote war sicher nicht die Lösung des Problems, aber ihr Wegfall im April 2015 hat die Preise in den Keller fallen lassen, und das führte wiederum zu einer Erhöhung der Produktion. Ein Überangebot ist die Folge. Diese Milch muss ja irgendwo hin, also geht sie in den Export. Das ist alles purer Wahnsinn! Man müsste vielleicht erst mal was einführen, was es früher bei den Rüben gab, A-und B-Kontingente, was drüber lag über der Sollmenge wurde sehr viel niedriger vergütet. Eine andere Möglichkeit ist – was zum Teil auch von den grün regierten Ländern umgesetzt wird – die Bezahlung einer Grünlandprämie für Weidemilch. Das hat zugleich für die Kühe den Vorteil, nicht lebenslänglich einsperrt zu sein. Also wenn du jetzt 50 oder 100 Kühe hast und du hast arrondierte Flächen, das heißt Weideflächen in Hofnähe, dann kannst du die wechselweise auf die Weide lassen. Wenn das aber 200 und mehr sind, dann geht das schon nicht mehr. Und man könnte so die Größe von Ställen entsprechend reduzieren.

Qualzuchten beenden

Und man könnte auf diese Weise auch diese Qualzuchten der Turbokühe beenden und zurückkehren zu den früheren Lebensleistungs-Milchkühen, zu Milchleistungen, die ja vollkommen ausreichend sind für die Versorgung. Das gibt es im Biobereich, dass man bestimmte alte Rassen wieder rauszüchtet. Also ich bin ja kein Milchbauer – ich lasse meine Milch ja den Kälbchen –, deshalb bin ich nicht so mit den Details vertraut, aber so viel ist ja allgemein bekannt: Die Hochleistungskühe halten die Strapazen nicht lange aus, nach vier Jahren werden sie geschlachtet.“ (Eine Kuh kann bis zu 25 Jahre alt werden. Die natürliche Milchmenge für ihr Kalb liegt bei circa 8–9 Litern am Tag. In den 70er Jahren waren es etwa 11 Liter täglich. Die züchterische Milchleistungssteigerung einer ,,Turbokuh“ liegt heute bei bis zu 40 Liter täglich. Anm. G.G.)

„Diese massiven züchterischen Steigerungen von Leistung und Wirtschaftlichkeit sind auch bei den anderen Nutztieren vorgenommen worden, beim Geflügel, bei der Ferkelerzeugung, aber da kenne ich mich auch nicht so aus. Ich weiß nur, dass es im Biogeflügelbereich eine ‚Bruder-Hahn-Initiative‘ gibt, den Versuch, eine sogenannte Zweinutzungsrasse zu entwickeln, wo man dann die männlichen Küken nicht mehr tötet, sondern sie als Masthähnchen heranwachsen lässt. Also ich bin ja kein Züchter, ich lasse meine Hühner und Enten einfach so heranwachsen. Ich gehe gern mal auf den Viehmarkt und kaufe dann auch etwa Geflügel. Letztens habe ich Streichelenten gekauft.“ Er lacht verlegen und erklärt: „Ja, die lassen sich streicheln, jedenfalls meistens. Der Erpel allerdings war ein bisschen grantelig, wenn man ihn aber im Nacken streichelte, dann wurde er ganz zahm. Die sind nun leider weggeflogen, die beiden. Aber die kommen zurecht. Da bin ich sicher.

Ich glaube, ich habe jetzt so ungefähr geschildert, was alles eine Rolle spielt bei einem kleinen Betrieb wie meinem und was für Gefahren drohen. Bei diesem Stichwort möchte ich zum Schluss noch etwas sagen, was mir sehr am Herzen liegt: Derzeit werden in Deutschland jährlich etwa 6.000 Tonnen glyphosathaltige Mittel verkauft, sie landen auf 30 bis 40 Prozent der Ackerflächen. Anfang März will die Europäische Union darüber entscheiden, ob Glyphosat für mindestens zehn weitere Jahre auf unsere Äcker gespritzt werden darf. Obwohl die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO Glyphosat als ‚wahrscheinlich krebserregend‘ eingestuft hat, wird es wohl zu einer Wiederzulassung kommen, auch weil unser Bundesinstitut für Risikoforschung es als ‚nicht krebserregend‘ bezeichnet. In der Bundesrepublik und auch in der EU gilt aber das Vorsorgeprinzip, und zwar nach dem Prinzip der Beweislastumkehr, das bedeutet, dass behördliche Maßnahmen nicht erst beim Nachweis, sondern bereits bei einer wahrscheinlichen Schädlichkeit eines Stoffes greifen sollen. Wir fordern, dass das Anwendung findet!“