Berlinale-Regisseur über New York: „Nostalgie ist langweilig“

Ira Sachs’ „Little Men“ handelt von Freundschaft und Gentrifizierung. Der Regisseur über Manhattan und integrative Communitys.

Hinter der Skyline Manhattans mit erleuchteten Fenster zeigt sich ein rosiger Sonnenuntergang.

Wunderschön, aber schwer zu haben, weil sehr gentrifiziert. Foto: dpa

Eine Familie aus Manhattan erbt ein Haus in Brooklyn. Im Erdgeschoss befindet sich seit vielen Jahren die Boutique von Leonor. Ihr Sohn Antonio und der Sohn der neuen Hausbesitzer, Jacob, beide dreizehn, werden schnell beste Freunde. Als Jacobs Eltern die Miete für den Shop verdreifachen, ist diese Freundschaft in Gefahr. „Little Men“ läuft in der Sektion Generation und ist der dritte Film von Ira Sachs über den Einfluss von Veränderungen in der Stadtstruktur New Yorks auf Liebes- und Freundschaftsbeziehungen. „Keep the Lights On“ über eine Beziehung zweier Männer in den nuller Jahren lief 2012 im Panorama, „Love Is Strange“ über ein altes schwules Paar, das sich seine Wohnung in Manhattan nicht mehr leisten kann, war 2014 zu sehen.

taz: Mr Sachs, leben Sie eigentlich noch gern in New York?

Ira Sachs: Oh ja. Ich bin mit einigen Gesetzen und Entwicklungen natürlich nicht einverstanden, aber ich liebe die Stadt, ich liebe meine Familie und meine Community.

In Europa hält sich ja die Überzeugung, dass Manhattan nur noch aus einer monokulturellen Konsumsphäre besteht, in der sich kein Künstler mehr die Miete leisten kann.

Stimmt ja auch. Ich bin einer der letzten Filmemacher einer Generation, die schon lange genug dort ist und es schafft, dort zu bleiben. Wenn man jung ist, zieht man nicht nach Manhattan, es sei denn, man ist Banker.

In Ihren vorangegangenen Filmen zeigen Sie ein ziemlich ambivalentes Bild von New York. Einerseits als Stadt, die Liebende zusammenbringt, in der ein altes schwules Paar heiraten kann oder zwei sehr unterschiedliche Jungs beste Freunde werden. Gleichzeitig zeichnen Sie sie auch als prekär, als Stadt, die ihre Geschichte vergisst, Spuren früherer Szenen ausradiert.

Ja, genau da liegt eben das Drama. Mich interessiert, wie Menschen im Alltag zwischen diesen Herausforderungen navigieren. Und andererseits sind meine Filme ja auch Liebesbriefe an New York, an das Leben dort, an all das, was schön und kostbar ist und verloren gehen kann. Das ist aber keine nostalgische Haltung. Zu sehr an der Vergangenheit zu hängen, ist langweilig. Es gibt eher eine Akzeptanz in meinen Filmen, der menschlichen Natur und der Flüchtigkeit der Dinge gegenüber.

Ihre Bilder von New York sind sehr präzise.

ist ein US-amerikanischer Filmregisseur. Der heute 50-Jährige drehte unter anderem „Keep the Lights On“ (2012) und „Love Is Strange“ (2014). Bei Sachs lief es mit der Liebe zuletzt wohl ganz gut: Vor vier Jahren heiratete er den Maler Boris Torres, beide leben mit zwei Kindern in New York.

„Little Men“: 16. 2., 20 Uhr, International; 20. 2., 17 Uhr, Cubix 9; 21. 2., 10 Uhr, HKW.

Das mag ich etwa bei den Schriftstellern Henry James und Edith Wharton: dass die Details stimmen. Details langweilen nicht, sie schaffen Glaubwürdigkeit. Die Disko in „Keep the Lights On“ oder die in „Little Men“ – da sind einfach die richtigen Menschen am richtigen Ort. Die Beerdigungsfeier am Anfang von „Little Men“ zum Beispiel: Das sind die richtigen Nachbarn. Wir haben Monate gesucht, um diese Gesichter zu finden.

Man kann in Ihren Filmen immer die Straßennamen lesen.

Wirklich?

Auch die Namen der Läden, das Caffe Capri gegenüber von Leonors Boutique, das seit den 1970ern von italienischen Geschwistern geführt wurde und das nun geschlossen ist …

Einer von beiden ist gestorben.

Also nicht von Starbucks verdrängt.

Nein, diesmal nicht.

In „Love Is Strange“ wird die Liebe wie eine Fackel weitergereicht, von den Alten zu den Teenagern, die am Ende in den Sonnenuntergang skaten. Ihr neuer Film macht genau da weiter.

Das war eine bewusste Entscheidung, es gibt zwischen beiden Filmen ein Gespräch, über Orte, Zeiten und Generationen. Es geht auch um die Generation dazwischen, den Vater, der sich bewusst wird, jetzt die Rolle des Patriarchen annehmen zu müssen. Das ist ja auch eine Herausforderung.

Gibt es autobiografische Bezüge?

Mein Ehemann, Boris Torres, kam mit seiner Mutter aus Ecuador nach New York, als er zehn war, er hat an der La Guardia Kunst studiert, was beide Jungen im Film vorhaben. Ich selbst habe in den Siebzigern in Memphis in einem Jugendtheater gearbeitet. Das war in der Innenstadt, wir waren Kinder und Jugendliche, es war die integrativste Community, der ich je angehörte, verschiedene Kulturen, schwul und hetero, Arbeiter- und Vorstadtkinder. So was habe ich nie wieder erlebt, das kriegen Erwachsene einfach nicht hin.

Sie haben alle drei Filme zusammen mit Mauricio Zacharias geschrieben. Wie arbeiten Sie zusammen?

Wir haben eine sehr spezielle Methode entwickelt: Wir schauen monatelang Filme, reden darüber, erfinden dazu Geschichten. Oft kommen unsere Storylines aus anderen Filmen. Bei „Little Men“ waren dies zwei Filme vom japanischen Regisseur Ozu, „Ich wurde geboren, aber …“ und dessen Remake „Guten Morgen“ (1959), beide über Kinder, die einen Streik beginnen. Das war die Idee: Kinder im Streik!

Merkwürdigerweise haben Sie in jedem Film mit einem anderen Kameramann zusammengearbeitet, diesmal mit Oscar Duran.

Es waren jedes Mal tolle Erfahrungen. Ich mag europäische Kameramänner – sie haben eine visuelle Sprache und Geschichte, die es in den USA nicht gibt. Oscar Duran wollte ich, weil er so sicher und erfolgreich mit halbnahen Einstellungen gearbeitet hat, was genau mein Ding ist: Filme aus der Halbdistanz zu erzählen. Das ist schwerer, als es aussieht. Ich komme da immer wieder auf den französischen Regisseur Maurice Pialat zurück.

Was genau interessiert Sie an dessen Filmen?

Zunächst die Lebendigkeit, der Reichtum der Texturen. Sie sind am Kino ausgerichtet, haben aber auch viel von Porträtfotografie – eine Mischung aus Intimität und Objektivität. Ich mag die Distanz, aber auch die Nähe.

Sie kennen das französische Kino so gut, weil Sie viel in Paris ins Kino gegangen sind.

Ja, da war ich zwar nur drei Monate Mitte der Achtziger, aber ich war allein und habe hundertsiebenundneunzig Filme gesehen. Da war ich neunzehn, das ging natürlich sehr tief. Ich entdeckte Pialat, François Truffaut, aber auch John Cassavetes.

Wir schauen monatelang Filme, reden darüber, erfinden dazu Geschichten.

Was Ihren eigenen Stil angeht, fällt immer die Balance zwischen Festlegung und Loslassen auf. Ihre Drehbücher werden während des Drehs nicht mehr verändert, aber Sie proben nie und lassen immer etwas zu, was ungeplant passiert, das Überfließen der Bilder durch natürliches Licht oder das Spiel der Kinder im neuen Film.

Das hat mit den Einstellungen zu tun. Mich interessieren meine Figuren gleichermaßen, wenn sie allein sind, wenn sie mit anderen zusammen sind und wenn sie einfach in der Welt sind. Bei Letzterem öffne ich auch die Bilder, werde dokumentarischer, lasse die Dinge passieren. Das ist eine gute Beschreibung meiner Drehmethode, einerseits kontrollierend, andererseits beobachtend – und das Schöne in den Momenten finden, ohne sich von der Geschichte zu entfernen.

Sie haben mal Renoir zitiert: „Wenn man dreht, soll man die Fenster auflassen.“

Genau. Wenn ich daran denke, was ich als Nächstes mache, ist es genau das: Ich habe sechs Monate Zeit für ein neues Drehbuch, die Fenster sind geöffnet. Man hört auf sich selbst, denkt darüber nach, was man fühlt, und findet dann eine dazu passende Geschichte.

Und werden Antonio und Jacob sich irgendwann einmal wiedersehen?

Ich habe den Freund, den ich einmal verloren habe, dreißig Jahre später über Facebook wiedergetroffen. Wenn Sie mich fragen, ja. Aber wahrscheinlich nicht mehr als Freunde. Bestimmte Dinge kann man nicht mehr zurückholen, wenn man erwachsen wird. „Little Men“ ist ein Film über den Verlust, nicht über die Zukunft. Natürlich spürt man sehr deutlich, dass beide Jungs eine Zukunft haben, jeder für sich. Das Leben beginnt ja erst für sie.

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