Umstrittene Gleichbehandlung

RELIGION SPD und Grüne wollen Muslime in Niedersachsen mit Christen gleichstellen. Die Opposition nennt den Vertrag fehlerhaft, und die Zeit wird auch knapp

Ob der Staatsvertrag ihre Rechte durchzusetzen hilft, da gehen die Meinungen auseinander: Frauen mit Kopftuch  Foto: Friso Gentsch/dpa

VON ANDREAS WYPUTTA

In Niedersachsen bleibt die Opposition bei ihrem Nein gegenüber Verträgen, mit denen die rot-grüne Landesregierung die muslimischen Gemeinden aufwerten will. „In jetziger Form“ seien die „nicht zustimmungsfähig“, sagte FDP-Fraktionsvize Stefan Birkner am Mittwoch. Kritik kam auch von den Christdemokraten: „Befremdlich“ sei, dass der Begriff Integration nicht auftauche, befand der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Jörg Hillmer.

Die Verträge galten bei Amtsantritt der Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Jahr 2013 als wichtiger Baustein rot-grüner Integrationspolitik. Per „Staatsvertrag“ mit dem Landesverband der Muslime (Schura), dem Dachverband der türkischen Moscheegemeinden (Ditib) und den alevitischen Gemeinden sollten AnhängerInnen des Islams als „wichtiger Bestandteil der Bevölkerung anerkannt“ sowie die „geschaffene Vertrauensbasis“ weiter entwickelt werden. Im Gegenzug bekennen sich die VertreterInnen der Muslime zum Grundgesetz und zu Grundrechten wie Gleichberechtigung.

Zwar bemühte sich Weils Staatskanzlei um eine möglichst einstimmige Verabschiedung im Landtag, doch selbst innerhalb der rot-grünen Koalition gab es Bedenken: Selbst die SPD-Fraktionschefin Hanne Modder teilte Kritik, die erst das Bundesverfassungsgericht dadurch entkräften konnte, dass es ein prinzipielles Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärte. Zuletzt übten auch Frauenverbände Kritik: Ob die Verbände, die mit am Verhandlungstisch saßen, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einträten, sei keineswegs sicher. Den Begriff „Staatsvertrag“ verwendet die Landesregierung aktuell nicht mehr: Die muslimischen Verbände gelten formalrechtlich nur als Vereine, die evangelischen Landeskirchen beispielsweise dagegen als Körperschaften öffentlichen Rechts.

Überhaupt enthielten die Verträge weitere formaljuristische Fehler, sagt der Freidemokrat Birkner. So erwecke die Regierung den Eindruck, Muslimen mit dem Papier Religionsfreiheit zu gewähren. „Das ist schlicht falsch – das ist ein vom Grundgesetz garantiertes Grundrecht“, sagt Birkner. Wie die CDU hat seine Fraktion deshalb den wissenschaftlichen Dienst des Landtags mit einer Prüfung der Verträge beauftragt.

Über einen Vertrag, der Rechte und Pflichten von Muslimen festschreiben soll, wird in Niedersachsen schon seit dem Jahr 2005 verhandelt. Als Ideengeber gilt der einstige Minister- und spätere Bundespräsident Christian Wulff (CDU).

Mit den jetzt vorliegenden Verträgensoll ein Zeichen von „Respekt und Akzeptanz“ gesetzt und klargemacht werden, dass Muslime zu Niedersachsen gehören wie Christen auch.

Konkret bekennenwill sich die Landesregierung deshalb etwa zum Bau von Moscheen – die muslimischen Gemeinden versprechen im Gegenzug eine „Öffnung“ der Gotteshäuser.

An hohen islamischen Feiertagensollen Muslime das Recht bekommen, sich von der Arbeit frei zu nehmen – unbezahlt.

Finanziell gefördertwerden soll auch der Aufbau von Geschäftsstellen der drei großen Muslim-Verbände – fünf Jahre lang mit jeweils 100.000 Euro.

CDU-Fraktionsvize Hillmer fürchtet dagegen, Schulen könnten gezwungen sein, muslimischen SchülerInnen spezielle Gebetsräume einrichten oder Gebete während des Unterrichts tolerieren zu müssen. Beides ist offensichtlich unbegründet: Die Verträge regeln ausdrücklich, dass nur außerhalb der Unterrichtszeit gebetet werden soll. Und über die Bereitstellung geeigneter Räume soll nachgedacht werden können – muss aber nicht.

In der Landtagsdebatte gaben sich Sozialdemokraten und Grüne trotzdem betont defensiv. Die Landesbeauftragte für Migration, Doris Schröder-Köpf, erinnerte daran, dass die Idee eines Staatsvertrages ursprünglich von Christian Wulff stammt, also einem ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten. Als in der Bundesrepublik geborenes Kind muslimischer Einwanderer mahnte der Grünen-Abgeordnete Belit Onay, der Islam gehöre zu Deutschland: „Lassen Sie uns diese Verträge nicht zerreden“, appellierte er in Richtung CDU.

Die Regierungskoalition gerät auch von Seiten der muslimischen Verbände zusehends unter Zeitdruck: Bis zum Sommer sollten die Verträge unterzeichnet sein, das forderten sowohl Schura-Sprecher Firouz Vladi wie auch die Ditib-Vertreterin Emine Oğuz gegenüber der taz – denn danach droht das Thema bei Kommunal-, Bundestags- und Landtagswahlen von Rechtspopulisten instrumentalisiert zu werden.