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Zufällig kein Todesopfer

Antirassismus In Gedenken an Opfer rechter Gewalt kommt es am Samstag in Brandenburg zu einer Demo – im Vorfeld finden Infoveranstaltungen statt

Rechte Gewalt verhindern ist nicht so einfach. Ausriss aus dem Plakat von Esther Braun und Kerstin Loebbert Foto: ap

von Henning Bastian Sauber

Am 20. Februar jährt sich der Mord an Sven Beuter in Brandenburg an der Havel. Der damals 23-Jährige wurde von dem Neonazi Sascha L. angegriffen, fünfzig Meter weit in eine Seitenstraße geschleift und totgetreten. Der Mörder bezeichnet ihn später als „linke Zecke“.

Rolf Schulze wurde am 7. November 1992 von drei Neonazis zusammengeprügelt, im Kolpin­see ertränkt und anschließend verbrannt. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass sowohl die Verletzungen am Kopf, als auch das Ertränken und das Anzünden allein schon tödlich gewesen wären. Die Mörder kannten ihr Opfer schon vorher, als „Assi-Schulze“.

Die beiden Morde haben die Antifa Jugend Brandenburg veranlasst, eine Demonstration gegen die immer noch regelmäßige auftretende rechte Gewalt in Brandenburg zu organisieren. Im Vorfeld laden die Northeast Antifascists (NEA) zu zwei Infoveranstaltungen in Berlin.

An von Nazis getötete Menschen zu erinnern, ist wichtig. Es ist aber zwanzig Jahre später auch dringend nötig, auf ak­tuelle rechte Gewalt aufmerksam zu machen. Die Wochenzeitung Die Zeit dokumentiert 156 “Todesopfer rechter Gewalt“ in Deutschland seit 1990. Das vorerst letzte, ein 55-Jähriger aus Ruanda, wurde im Oktober 2014 in einer Limburger Notunterkunft für Wohnungslose zu Tode getreten und geprügelt.

Einer der Täter sagte nach der Tat, es sei „doch nur ein Schwarzer“ gewesen. Dass der Mord tatsächlich rassistisch motiviert war, wurde erst über ein Jahr nach der Tat bei der Verhandlung offen ausgesprochen.

Wie schon nach der Ermordung von Sven Beuter 1996 tut sich die Polizei noch ­immer schwer, rechtsextrem moti­vier­te Gewalttaten als solche zu benennen. Damals wurde erst nach mehreren Monaten eine politische Motivation eingeräumt. Auch beim Umgang mit den sich aktuell häufenden Anschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten wird immer wieder scharf kritisiert, dass diese nicht als rechte Straftaten eingestuft werden. Die offiziellen Zahlen über rechtsextrem motivierte Gewalt sind meist deutlich niedriger als die, die Journalist*innen oder unabhängige Organisationen recherchieren.

Dabei ist das polizeiliche Definitionssystem in diesem Punkt eigentlich unmissverständlich. Als „politisch motivierte Kriminalität“ würden unter anderem Straftaten im Bereich der Allgemeinkriminalität „bezeichnet und erfasst“, die „sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten“. In diesen als Hasskriminalität bezeichneten Bereich gehörten laut Bundesinnenministerium auch „Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden“. Warum also scheint es seit über zwanzig Jahren gängige Praxis zu sein, offensichtlich rechte Tatmotivierungen zunächst einmal unter den Tisch fallen zu lassen?

Donnerstag, 18. FebruarInfoveranstaltung, 20 Uhr, Bandito Rosso, Lottumstraße 10a

Freitag, 19. FebruarInfoveranstaltung, 20 Uhr, Ka­dterschmiede, Rigaer Straße 94

Samstag, 20. FebruarAntifa-Demo „Fighting for 20Years“: Start um 11 Uhr, Brandenburg HauptbahnhofZugtreffpunkte für die gemeinsame Anreise aus Berlin: Alexanderplatz, Abfahrt: 10.03 Uhr an Gleis 2 sowie aus Potsdam-Hauptbahnhof, Abfahrt: 10.39 Uhr an Gleis 3. Mehr: fightingfor20years.blogsport.de

Denn dass rechte Gewalt so oder so weiterhin eine Gefahr bleibt, zeigt ein Blick in den aktuellen Brandenburger Verfassungsschutzbericht. Darin werden exemplarisch etliche Straftaten mit rechtem oder fremdenfeindlichem Hintergrund aufgeführt.

Am 18. Januar 2014 zum Beispiel wurde ein Mann in Sprem­berg gefragt, ob er eine „Zecke“ sei. Danach schlug ihn der Angreifer ins Gesicht und versetzte ihm einen Kopfstoß. Am 1. März 2014 wurde ein Mann in Cottbus angegriffen, niedergeschlagen und weiter getreten, als er schon am Boden lag. Die Täter beschimpften ihn dabei unter anderem als „Kanake“. Am 3. Juli 2014 wurde eine Frau in Wittenberge, die schon zuvor jahrelang immer wieder von ihren Nachbar*innen als „scheiß Ausländer“ beschimpft wurde, beim Müllrunterbringen am Hals gepackt, geschüttelt und mit dem Kopf immer wieder gegen einen Schuppen geschlagen.

Die aktuellen Beispiele gleichen nicht zufällig den Morden von 1992, 1996 und 2014. Vorläufig darf man noch von Glück sprechen, dass es bei keiner der jüngst dokumentierten Gewalttaten zu einem Todesopfer kam. Es gilt zu verhindern, dass man in zwanzig Jahren Gedenktage in Spremberg, Cottbus oder Wittenberge organisieren muss.