Schönheit durch Zerstörung: Nähen mit Zeichen

Die Künstlerin Constanze Vogt hat den Gottfried-Brockmann-Preis 2015 der Stadtgalerie Kiel erhalten. Ihre Arbeiten sind dort zu sehen.

Spuren der Kunst: Constanze Vogt näht auf Fotopapier. Foto: Helmut Kunde

Bei uns zu Hause bin ich für die Wäsche zuständig. Trage sie runter in den Waschkeller, stopfe sie in die Maschine und später in den Trockner. Mit der Mehrheit der Wäsche kann man das bedenkenlos machen, später herausholen, anziehen – fertig. Und es gibt die anderen Stücke, die man keinesfalls in den Trockner werfen darf, weil sie einlaufen oder das Material unweigerlich beschädigt oder auch zerstört wird.

Welches Kleidungsstück zu welcher Kategorie gehört, ist auf den jeweiligen Wäscheetiketten verzeichnet, die jetzt ins Spiel kommen: ein Symbol eines Bügeleisens mit drei Punkten in der Mitte beispielsweise – und das Textil darf mit einer Temperatur von bis zu 200 Grad gebügelt werden, ein durchgestrichener Kreis in einem Kasten –und der Trockner ist tabu. Dazu gesellen sich Sätze wie „Enthält nicht-textile Bestandteile tierischen Ursprungs“, „100% Organski Bombaz Po Pranju Prelikajte“ oder vordergründig schlichter: „Made in Malta“. Kurzum: Vor einem entfaltet sich je eine neue eigene Zeichen- und Bedeutungswelt.

Kompositionen mit Gebrauchsspuren

Nun stehe ich in den hellen und ebenerdigen Räumen der Kieler Stadtgalerie und schaue auf ein Kleid der Kieler Künstlerin Constanze Vogt, das aus nichts anderem denn aus eben solchen Wäscheetiketten besteht. Etikett reiht sich an Etikett, eigenhändig zusammengenäht von der Künstlerin. „Mich beschäftigt die Bedeutung des Wortes ‚Text‘, nach ‚texere‘, aus dem Lateinischen: ‚weben‘, ‚flechten‘“, sagt Constanze Vogt. „Die Etiketten sind Informationsträger, die sich so verselbstständigen; es entsteht ein Muster, eine eigene Komposition, die ihre Gebrauchsspuren behält.“

Um an das Material zu gelangen, hat sie einerseits den eigenen Kleiderschrank durchforstet, andererseits hat sie Freunde besucht und aus deren Kleidung die Etiketten entfernt und mitgenommen. Nicht zuletzt durfte sie in einem Secondhandshop Etiketten aus der Kleidung herausschneiden und hat so Objekte gewonnen, an denen die Zeit bereits nagte: „Teilweise weiß ich noch, welches Etikett zu wem gehört – was für die Arbeit nicht unbedingt wichtig ist, aber es freut mich immer, wenn ich sie angucke“, sagt sie.

Zu klassisch, zu offensichtlich

Wobei es einen Schritt brauchte, sich von der entsprechenden Konkretheit des Alltags zu lösen: „Das Kleid, das ich zunächst genäht habe, war tailliert und sah eben aus wie ein klassisches Kleid.“ Es war damit nicht das, was sie wollte – war zu offensichtlich Kleid, alle Widersprüchlichkeit und Eigenheit war verschwunden. Vogt trennte alles wieder auf und nähte nun ein fast quadratisches Kleid, das von den Gesamtmaßen und den Ärmellängen ihren eigenen Körpermaßen entspricht. Ein Kleid, bei dem man unwillkürlich an die Kostüme der Theaterfraktion des Weimarer Bauhauses denken kann. Und sie sagt: „Tatsächlich überlege ich gerade, ob ich dieses Kleid nicht einer Tänzerin gebe.“ So wie sie die Etiketten weit über ihren Informationsgehalt hinaus selbstverständlich als poetisches Material begreift: „Die Etiketten gelesen würde eine sehr schöne Lesung ergeben!“

Constanze Vogt war bereits 2011 und 2013 für den Gottfried-Brockmann-Preis nominiert, nun hat es geklappt: Ganz amtlich ist sie endlich Trägerin des Preises für bildende Kunst. Der soll besondere künstlerische Postionen in Schleswig-Holstein unterstützen und fördern – was auch dafür sorgen soll, die jungen Künstler und Künstlerinnen im Lande zu halten, die bisher den Lockrufen der Großstadt wie Berlin oder Hamburg widerstanden haben. So wie Constanze Vogt, die auch schon mal mit mehr als einem Bein in Berlin war – für ein Jahr besuchte sie die Zeichenklasse von Hanns Schimansky an der Weißenseer Kunsthochschule. Und kehrte dann doch zurück an die Kieler Muthesius Kunsthochschule, wo sie 2007 ihr Studium begonnen hatte.

Nun also sind zentrale Werke in der Kieler Stadtgalerie zu betrachten, wobei man im Eingangsbereich auf einen dünnen Strich achten sollte, der auf einer ansonsten gänzlichen leeren Wand zuweilen sachte hin und her wippt. Er entspringt einer dünnen, durchsichtigen und entsprechend kaum sichtbaren Folie im Format Din A4, die im Lichtstrahl eines klassischen und immer weniger gebräuchlichen Overheadprojektors pendelt – je nachdem, ob jemand vorbei geht und seine Schritte die entsprechenden, leichten Vibrationen auslösen, die die Folie überträgt. Vogt hat die Apparatur sehr listig neben dem Fahrstuhl hoch in den ersten Stock aufgebaut, was als Verweis auf die Dynamik des Hochfahrens und wieder Runterkommens zu lesen sein könnte.

Folien als Zeichen, nicht als Zeichenträger

Auf die Idee aus einem Overheadprojektor und einer unbeschrifteten und damit vordergründig inhaltslosen Folie ein Kunstwerk zu entwickeln, kam sie, nachdem sie einen Vortrag über ihre Kunst hielt, der eben nicht nur ein Vortrag war, sondern seinerseits zum Kunstwerk wurde. Und so sagt sie konsequenterweise: „Die Folie interessiert mich nicht als Zeichenträger, sondern als Zeichen.“ Interessanterweise nenne man bei einer Powerpoint-Präsentation die einzelnen Seiten, die man an die Wand projiziert, weiterhin „Folien“, erklärt sie, obwohl es keine Folien mehr seien. Folie also als Metapher für etwas, das seine materielle Basis verloren hat und davon unbenommen weiterhin sichtbar bleibt.

Wie umgekehrt sich Konzeptionelles in sehr Konkretes, Direktes verwandelt, zeigen ihre aktuellen Arbeiten, bei denen sie Papier näht. „Die Nähnadel zerstört das Papier, das Papier löst sich auf und gleichzeitig entsteht durch die Zerstörung eine neue Textur“, beschreibt sie ihren Arbeitsprozess. Hin und her wird genäht, hin und her. „Jede Wiederholung ist anders“, sagt sie. Mit dem Format zehn mal fünfzehn Zentimeter hat sie im Jahr 2010 angefangen, nun ist sie bei zwei Metern mal einem Meter angekommen. Und es zeigen sich beeindruckende Strukturen, ähnlich wie Gebirgslandschaften aus großer Höhe betrachtet.

Verwandeltes Fotopapier

Ein bis vielleicht anderthalb Monate, fünf Tage die Woche, acht Stunden pro Tag Nähzeit muss sie für ein Werk schon aufwenden. „In meinen Arbeiten geht es immer auch um Zeit; um die Zeit, die ich aufwende und um die Zeit, die enthalten ist“, sagt sie. „Das Nähen hat durchaus etwas performatives, auch wenn es keine konkrete Performance ist.“

Nicht unwichtig: Das Trägermaterial ist Fotopapier. Einst also dafür gedacht und gemacht, ein vermutetes Bild unserer Wirklichkeit plan und sorgsam entwickelt wiederzugeben, sorgt nun ein vermutlich kilometerlanger, hauchdünner Baumwollfaden dafür, dass es sich in eine zeichenhafte Skulptur verwandelt.

Nicht zuletzt entstehen bei diesen intensiven Näh-Sessions wiederum poetische Texte. Was man sich so vorstellen muss: Constanze Vogt näht und näht, kämpft mit dem irgendwann auch unhandlichem, leicht brüchigem und dann gefährdeten Material, sie hört Musik oder es ist absolut still – und zwischendurch setzt sie sich an das Notebook: „Ich mag es, von der großen Industrienähmaschine zu meinem flachen Macbook Air hinüber zu wechseln – und umgekehrt“, sagt sie. Sätze entstehen wie „die Suppe im Teller, wie die Zeichnung im Buch und im Tuch“. Oder: „Muss nichts tun oder nicht, weil was ich tue ist, nicht.“ Und dann wird wieder weiter genäht. Bis zum nächsten Satz.

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