Nazi-Gretchen und Ami-Liebchen

Fraternisieren verboten, lautete der Befehl des alliierten Oberkommandos. Dennoch gab es tausende Liebesbeziehungen zwischen alliierten Besatzern und deutschen „Fräuleins“ im Berlin nach 1945

von Tania Greiner

Unheilvoll schwebt sie über einem Meer von Gesichtern. Die starke, klobige Hand legt sich über eine Menschenmenge, über ein Kollektiv von Schuldigen. Aus dem Off tönt mit bestimmten Worten: „Das ist die Hand, die Juden ermordete, amerikanische Soldaten tötete und verkrüppelte. Ergreift diese Hand nicht!“ Diesen Aufruf bekam jeder US-Soldat eingeimpft, der seinen Dienst nach Kriegsende in Deutschland antrat. No Fraternisation! – keine Verbrüderung mit den Deutschen – schärfte der Propagandafilm „Your job in Germany“ den Angehörigen des amerikanischen Militärs ein.

Sechzig Jahre danach kommt der Besucher des Alliierten-Museums gleich am Eingang in den Genuss dieser US-Propagandamaschinerie – nur um in den Räumen dahinter zu erfahren, dass die Gehirnwäsche offensichtlich wenig Erfolg hatte. „Es begann mit einem Kuss“ heißt die neue Sonderausstellung in Dahlem. Sie dokumentiert deutsch-alliierte Liebesbeziehungen in Berlin.

Schon lange vor Kriegsende kam es zu Kontakten zwischen US-Soldaten und der deutschen Zivilbevölkerung. Im Herbst 1944 stellten die ersten GIs Heiratsanträge – von der Militärführung kategorisch abgelehnt. Doch weder Propaganda noch Gesetzgebung konnten das Alltagsleben reglementieren. Das Fraternisierungsverbot – vom amerikanischen Oberbefehlshaber Eisenhower am 12. September 1944 verhängt – ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Bereits am 1. Oktober 1945 wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

Detailliert lässt sich in der Ausstellung verfolgen, wie sich die Verordnung nach und nach lockerte. Zunächst waren freundliche Kontakte zu Kindern erlaubt. Später wurden Gespräche mit Erwachsenen auf öffentlichen Plätzen geduldet. Gegen intime Begegnungen zu deutschen „Fräuleins“ traten die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA aber weiter mit Kampagnen an. „VD“ lautete der neue Feind, „Venereal Disease“, Geschlechtskrankheiten.

Tatsächlich hatte die Besetzung Berlins zu einem Besorgnis erregenden Anstieg sexuell übertragbarer Krankheiten geführt. Jede dritte Berlinerin wurde vergewaltigt oder zu geschlechtlichem Kontakt gezwungen als die sowjetischen Truppen die Stadt eroberten. Nach heutigen Schätzungen scheint damals jede zehnte Frau mit einer Geschlechtskrankheit infiziert gewesen zu sein. Eine Flut von Propaganda warnte daher die Soldaten der alliierten Streitkräfte vor den Gefahren von Geschlechtskrankheiten.

Solange die Alliierten gegen flüchtige Beziehungen antraten, blieben auch längerfristige Alliancen offiziell unakzeptiert. Britischen Soldaten war erst ab August 1946, US-Soldaten ab Dezember 1946 erlaubt, ein „deutsches Mädchen“ zu heiraten. Französische Soldaten mussten sich noch länger gedulden. Für sie waren Eheschließungen erst ab August 1948 in Ausnahmefällen möglich.

Nichtsdestotrotz, fraternisiert wurde allemal. In Zahlen lassen sich deutsch-alliierte Liebesbeziehungen nur schwer fassen. Rund 20.000 Berlinerinnen sollen bis 1949 als Verlobte oder Ehefrauen in die USA ausgewandert sein. Bis 1950 gaben sich etwa 10.000 deutsch-britische Paare in Berlin das Ja-Wort.

Stärker aber wiegen die Einzelschicksale. Sie erzählen von Sehnsüchten, vom gemeinsamen Kampf gegen administrative Hürden, von schmerzhaften Trennungen und nicht zuletzt von Kindern, die ihre Väter niemals trafen. Facetten gelebter Geschichte.

Zu Beginn ihrer zweieinhalbjährigen Arbeit gingen die KuratorInnen davon aus, dass die konstruierten Feindbilder bei deutsch-alliierten Paaren eine zentrale Rolle spielten. Die zahlreichen Gespräche mit Zeitzeugen bestätigten diese Annahme jedoch nur teilweise. Die AusstellungsmacherInnen taten deshalb gut daran, die Einzelschicksale in den Fokus zu rücken. Zwanzig dieser Liebesgeschichten werden nun dokumentiert.

Die Aura der über die Jahre verklärten Lovestory haftet allerdings zäh an ihnen. Ein kulturelles Phänomen, gegen das die KuratorInnen nicht antreten konnten. Konflikte geraten über die Jahre in Vergessenheit – Unannehmlichkeiten verblassen. Jedes Liebespaar formuliert und lebt seinen eigenen romantisierten Gründungsmythos in der Nachkriegsgeschichte.