Deine Lieder werden bleiben

ABSCHIED Die Jazzsaxofonistin und Komponistin Kathrin Lemke ist am 22. Januar im Alter von 44 Jahren in ihrer Wahlheimat Berlin gestorben. Kolleginnen und Freunde erinnern sich

Kathrin Lemke Foto: Manuel Miethe

Kathrin Lemke sorgte seit 1998 mit ihrer Band JazzXclamation für Furore. Mit ihrem achtköpfigen Ensemble Heliocentric Counterblast widmete sie sich ab 2009 dem epischen Schaffen des Jazzmystikers Sun Ra. Für ihr Quartett My Personal Heimat schließlich arrangierte sie die Lieder ihrer Kindheit in Heidelberg neu. Weggefährten erinnern sich.

Musik ist deine Seele

Saxofon war das Instrument

Die schlaueste Frau

Der wärmste Mensch

Deine Lieder werden bleiben

Ich spiele sie und weine

Peer Neumann, Pianist

Als Improvisationsmusiker spielt man gegen tote Musik an, die den ganzen Tag im Radio läuft. Man spielt gegen tote Ohren an, die nichts als nur Gewohntes kennen. Man spielt gegen die immer gleiche „tote Imagination“ an, die schon Jean Paul beklagte. Man spielt gegen tote Wände an, die man in Schwingung versetzt. Kathrin war eine dieser ‚Gegenspielerinnen‘. Eine Partisanin. Ihr Ton war fordernd, nach vorne preschend – nie anbiedernd. Wir sind zusammen durch die deutsche Provinz getourt – freudig, aber danach ebenso froh, wieder in Berlin zu sein. Ihre Komposition „Biene Meier“ klang konsequent nach Biene und Meier. Ich stelle mir vor, wie sich alle Berliner Radiosender eine Woche lang ihrer Musik widmen und damit die Verheißung einer ihrer CDs erfüllen, die Kathrin riesenhaft über dem Berliner ­Fernsehturm thronend zeigt: „You Own the City.“ Zoran Terzić, ­Schlagzeuger

Ich spielte in Kathrins Band Jazz­Xclamation. In vielen Bereichen war und ist sie für mich ein Vorbild. Sie ging immer ihren eigenen Weg und ließ sich dabei nicht beirren. Sie packte die Dinge an, auf eine direkte, aber auch sehr sympathische und humorvolle Art. Ihre Ansagen auf der Bühne wiederholten sich selten. Auf einer Tour durch Süddeutschland dachten wir uns den Hilferuf „Cobra 4“ aus, um uns gegenseitig aus unangenehmen Situationen herauszuhelfen. Daraus wurde später ihr gleichnamiges Stück. Kathrin wird immer da sein. In uns. Berit Jung, Bassistin

Auf einer Party Ende der Neunziger gab mir Kathrin, sehr charmant, eine CD von ihrer Band JazzXclamation, allein das Coverfoto war schon bezeichnend. Die Musiker mit schnittigen, aber unmodischen Skisonnenbrillen in den Himmel schauend, und das in ­hautengen T-Shirts à la Raumschiff En­ter­prise. Die Rhythmusgruppe groovte tierisch, darüber ihr Altsaxofon mit ungewöhnlichen, sehr bestimmten Linien, ohne Angst vor der verschrobenen Dissonanz, nie kitschig, aber oft zart, fragil, schön. Ich war verblüfft, als sie mich in ihre Band Heliocentric Counterblast und in ihr Quartett aufnahm. Ob Spaziergänge an der sardischen Küste, Besuche in feinen und weniger feinen Restaurants, Studioaufnahmen, gemeinsam gehörte und gespielte Konzerte – ich bin ihr für jeden Moment herzlich dankbar. Zuletzt standen wir mit ihrem Projekt „My Personal Heimat“ im Darmstädter Jazzinstitut auf der Bühne. Sie hat hervorragend, berührend gespielt. Niko Meinhold, Pianist

Sie packte die Dinge an, auf eine direkte und humorvolle Art

Ob Jamsession oder Pilzesuchen bei Wandlitz – Kathrins charmante Selbstironie und ihr blitzgescheiter Humor waren immer dabei. Ihre beständige Lust am Entdecken war hoch ansteckend und hat mir mehr als einmal neue musikalische Wege gezeigt. Sie ist mir eine bleibende Inspiration. Nach ein paar Konzerten als Session-Opener ihrer Reihe in Prenzlauer Berg entstand die wunderbare Band Heliocentric Counterblast, die uns alle sehr bereichert hat. Auf Dich, Kathrin! Dirk Steglich, ­Saxofonist

Jeder Auftritt mit Kathrin war spannend, und die Musik klang immer „im Moment“. Sie war schlagfertig, und sie hatte Witz. Ich bewunderte ihre Energie und ihr Organisations­talent, denn der Drive, mit dem sie ihre Projekte vorantrieb, war erstaunlich. Auch für Diskus­sionen über Politik, Kunst, Theater und Literatur war sie immer zu haben. Bei Heliocentric Counterblast hat die Chemie gestimmt, wir spielten ­hohes Risiko und wurden belohnt. Kathrin ließ allen Musikern ihre Freiheit. Kathrin, Du fehlst mir. Danke für die schöne Zeit! Philipp Bernhardt, Schlagzeuger

Einmal marschierten wir als Marching Band durch Belgrad. Dort waren wir zur Einweihung eines Kulturzentrums eingeladen, trafen auf eine in ein viel zu kleines Auto gepresste serbische Blaskapelle, die anhielt, um mit uns zu spielen, scherten aus in Verwaltungsgebäude, Cafés und Kindergärten, um uns dann wieder zusammenzufinden und die Stücke von Sun Ra und Kathrin in die Straßen Belgrads zu katapultieren. Da gehört die Musik hin, dachte ich mir. In Berlin spielten wir auf einem Trauerzug eines Sun-Ra-Fans. Wir wanderten mit „An­cient Ethiopia“ und „Nuclear War“ durch die Skalitzer Straße, und als Letztes spielten wir „We travel the Spaceways from Planet to Planet“. Johannes Schleiermacher, Saxophonist

Gesammelt von Franziska Buhre