Spekulationen und Eskalationen

Podium In Leipzig debattieren Journalisten und Historiker über die jüngsten Naziattacken in Connewitz

LEIPZIG taz | Zwei Wochen nach dem größten Angriff rechtsradikaler Gewalttäter seit den frühen neunziger Jahren auf den Leipziger Stadtteil Connewitz versuchte man in dem Talk „kreuzer, Korn & Kippen“ im Neuen Schauspiel Leipzig eine differenzierte Analyse der Strukturen und Entwicklungen, die den Überfall ermöglichten. Gemeinsam mit Moderator Andreas Raabe, Chefredakteur des Leipziger Magazins kreuzer, saßen Clemens Haug aus der kreuzer-Politikredaktion, der Historiker Sascha Lange und die Journalistin Jennifer Stange in einer eher homogenen Runde vor vollbesetzten Rängen.

Am Tisch herrschte Einigkeit darüber, dass es ein organisierter Angriff war. Dahinter stünden ähnliche rechte Strukturen, die bereits in den 90er Jahren die rechten Angriffe auf Connewitz trugen. Die Motive für Gewalt seien ebenso gleich geblieben. Es ginge den Nazis darum, „als verlängerter Arm des ­Volkswillens“ die in Connewitz vorherrschende linke Lebensform „auszuradieren“, so Lange. Auch Stange meint, rechte Gewalt habe durch Pegida et altera Rückenwind erhalten, sei nun der militante Arm dieser Gruppe. Der Angriff sei deshalb als Folge in einer Serie rechter Gewalt zu sehen, als Teil eines bundesweiten strukturellen Problems.

Folgt nun eine Gewaltspirale zwischen rechts und links? Das Vertrauen linker Gruppen in die Polizei jedenfalls schwindet wohl. Stange spricht von gehäuften Berichten über Polizeigewalt, ungezielten Einsätzen von Tränengas bei Demos, unaufgeklärten Fällen und Gerüchten über Kontakte von Polizisten in die rechte Szene. Auch dass die Polizei bei Demonstrationen von Legida kaum auf den Verstoß gegen das Pyrotechnik- und Vermummungsverbot reagiere, linke Versammlungen deswegen aber regelmäßig aufgelöst werden, fördere den Eindruck von Parteilichkeit, fuhr Stange fort. Auch die Langsamkeit der Justiz destabilisiere das Vertrauen, fügte Haug hinzu.

Unklar ist, wieso sich die Nazis bei den Angriffen so widerstandslos abführen ließen. Spekuliert wird, sie hätten gewusst, dass ihnen im Schutz der Gruppe keine schwerwiegenden juristischen Konsequenzen drohten. Die Gefahren liegen auf der Hand: Wo Menschen nicht das Gefühl haben, ausreichend geschützt zu sein, greifen sie selbst zu Maßnahmen, um sich zu schützen, so Stange. Bislang blieben gewalttätige Reaktionen aus der linken Szene jedoch die Ausnahme. Tabea Köbler