Auf Spurensuche

ERBE Die Konkurrenz kopierte, was gut ankam. Den Piraten fehlte damit das Alleinstellungsmerkmal

Der Berliner Landesverband der Piratenpartei wurde 2006 wenige Monate nach der Bundespartei gegründet. 2011 zogen die Berliner Piraten mit einem sensationellen Ergebnis von 8,9 Prozent ins Abgeordnetenhaus ein und konnte sich außerdem Sitze in allen zwölf Bezirksverordnetenversammlungen sichern. Teilweise bekam sie hier mehr Stimmen, als sie Kandidaten aufgestellt hatte – in Friedrichshain-Kreuzberg entging der Partei deswegen sogar der Posten eines Stadtrats.

Ab Ende 2012 verloren die Piraten in den Umfragen, seit 2013 steht sie meist unter der Fünfprozenthürde. Sieben Fraktionsmitglieder sind bisher aus der Partei ausgetreten, darunter auch der Vorsitzende Martin Delius.

Zum Schluss noch der schlechteste Piratenwitz aller Zeiten, mitgehört im Fahrstuhl des Abgeordnetenhaus: „Warum können Piraten keinen Kreis berechnen? – Weil sie Pi raten!“ (mgu)

Sie werden Berlin fehlen oder auch nicht – alles Ansichtssache, wie in unserem Pro und Contra (siehe Seite 41) beschrieben. Auf jeden Fall aber wird die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Spuren zurück lassen, wenn es sie nach der Wahl am 18. September nicht mehr gibt Das lässt sich vor allem an einem Begriff festmachen: „Transparenz“. Seit die Piraten im Herbst 2011 ins Parlament kamen und Mitmachpolitik ohne verschlossene Türen proklamierten, taucht der Begriff auch bei den anderen Fraktionen weit öfter als vorher auf, gern im Zusammenspiel mit „Mitsprache“ und „Bürgerbeteiligung“.

Das mag einiges damit zu tun haben, dass der Piraten-Einstieg in jenem Jahr, in dem erstmals ein Volksentscheid in Berlin erfolgreich war: Jener zur Offenlegung der Wasserverträge im Januar 2011. Es mag daher nicht allein an der Fraktion liegen, dass „Transparenz“ nun in vieler Munde ist, unabhängig davon, ob es ernst gemeint oder nur ein Lippenbekenntnis ist.

In jedem Fall aber haben die 15 Piraten-Abgeordneten einen sehr verstärkenden Effekt gehabt. „Wir sind die mit den Fragen; ihr seid die mit den Antworten“, hatten die Piraten im Wahlkampf auf Plakate geschrieben. Heute gilt: So viel Bürgerbeteiligung mit mehr oder minder gelungenen Mitmachangeboten wie 2015 war noch nie, bis hin zu einem über halbjährigen Beteiligungsverfahren zur Historischen Mitte.

Dahinter zurückzufallen, wird SPD, CDU, Grünen und Linkspartei auch ohne Piratenfraktion schwerfallen. Zumal ein Bekenntnis zu Offenheit und Beteiligung ja auch nicht viel kostet und äußerst positiv belegt ist. Live-Übertragungen von Fraktionssitzungen allerdings sind bislang ein Alleinstellungsmerkmal der Piratenfraktion geblieben.

Inhaltlich sieht es anders aus. Da sind die Piraten zwar mit vielen Anfragen im Abgeordnetenhaus aufgefallen. Aber dabei stehen ihnen die anderen, etablierten Oppositionsfraktionen von Grünen und Linkspartei nicht allzu sehr nach. Aufsehen erregte die Piratenfraktion zwar beim Thema fahrscheinfreier Nahverkehr, also freier Nutzung von Bus und Bahn, finanziert über eine Art landesweitem Soli-Beitrag. Da legten sie im Sommer 2015 mit der Studie eines Instituts nahe, dass das rechtssicher zu machen wäre und 10 Prozent mehr Menschen zum Nahverkehr bringen würde. Dieses Thema anzugehen, hatten die Piraten im Wahlkampf 2011 versprochen.

Inzwischen aber haben sich auch Grüne und Linkspartei dazu längst ebenfalls Gedanken gemacht. Und bereits in der vorangehenden Wahlperiode hatte die FDP-Fraktion vorgeschlagen, einen Monat lang fahrscheinfreies Bus- und Bahnfahren auszuprobieren. Das wiederum heißt: Es gibt trotz Studie kein verkehrspolitisches Vermächtnis der Piratenfraktion – andere sind längst an dem Thema dran, das viel zu lohnend ist, um brachzuliegen.

Bleibt die Netzpolitik als Kern­thema der Piraten. Tatsächlich spielt dieser Bereich in keiner anderen Fraktion eine so große Rolle wie bei den Piraten. Doch auch hier haben jüngere Leute der Politkonkurrenz längst erkannt, dass sich hier punkten lässt, wenn auch nicht in großem Ausmaß.

Unterm Strich: Die Konkurrenz hat sich kopiert, was sie gebrauchen konnte. Etwas Neues müssen die Piraten erst noch erfinden. Stefan Alberti