Schickt deutsche Beamte nach Rhodos, Faro, Valencia!
: Endlich ein guter Europäer

Zu Hause bei Fremden

von MiguelSzymanski

Um diese Zeit ist meine lange Liste mit Neujahrsvorsätzen bereits auf zwei, drei Punkte geschrumpft, die nicht direkt von Willenskraft im Alltag abhängen. Ganz oben bleibt der Vorsatz, ein guter Europäer zu sein.

Ich möchte ungern in nächster Zukunft nostalgisch auf mein altes Europa zurückblicken müssen. Zu gut erinnere ich mich an die Zeit, als ich mit dem Zug, per Anhalter und später mit dem Auto zwischen der Algarve und dem Ruhrgebiet hin und her gereist bin. An jeder kleinen Landessecke gab es Grenzkontrollen, als Grundausrüstung musste ich eine Tasche mit mindestens vier Umschlägen – DM-, Franc-, Peseten- und Escudo-Scheine – mitschleppen.

Für meine Eltern und Großeltern war das Leben in ihrem alten Europa vor der europäischen Gesundheitskarte nicht nur umständlich, sondern oft unerträglich. Mein Vater ist aus der DDR geflüchtet. Seine Mutter, meine Großmutter Wilhelmine, durfte in ihrer Geburtsstadt Pilsen erst nur deutsch, später nur tschechisch reden. Meine katalanische Großmutter Carmen konnte nur zu Hause mit ihrer Mutter Aurora Piñol katalanisch reden – Franco wollte, dass alle spanisch reden. Mein schwäbischer Urgroßvater Friedrich musste als Deutscher in Portugal seine Korkfabrik auf den Namen seiner portugiesischen Ehefrau übertragen, um weiter im Land arbeiten zu dürfen. Die nach meinem österreichischen Großvater Othmar Szymanski benannte Straße in Karwin wurde umbenannt. Meine Großmutter verlor ihre Ländereien im Osten und mein portugiesischer Großvater, João Vieira Branco, durfte seine Frau, die einen deutschen Pass hatte, nur mit einer Sondergenehmigung heiraten.

Für einen Durchschnittsdeutschen ist das Leben in Europa nie so leicht gewesen wie heute, und das materielle Dasein, statistisch gesehen, nie auf so hohem Niveau wie in den 15 Jahren seit Einführung des Euro. Für Portugiesen, Spanier und Griechen ging es allerdings schon ab 2010/11 bergab. Ab da fing ich an, ein schlechter Europäer zu sein. Das soll sich ändern.

Ich werde ab 2016 vergessen, dass eine halbe Million Portugiesen und ich in den letzten fünf Jahren auswandern mussten, um die Bilanzen der deutschen Banken sauber zu halten, und dass einige meiner Jugendfreunde deswegen jetzt leben wie Bettler. Ich werde nie wieder aus diesem Grund mit der Tastatur wild um mich schlagen.

Ich werde wieder ein guter Europäer sein. Schäuble wird sich irgendwann einmal von allein an seiner schwarzen Null verschlucken, bessere Zeiten werden kommen. Le Pen wird die Wahlen nächstes Jahr verlieren. Der Osten wird sich auf Demokratie, Pressefreiheit, Menschlichkeit und Rechtsstaat besinnen. Die nationalen Flutwellen werden abebben, der humanistische Geist Europas wird nicht den kleinen Techno- und Autokraten erlegen.

Dafür muss nur der Wohlstand Deutschlands so umverteilt werden, dass es nicht wehtut. Den Deutschen darf schon aus wahltechnischen Gründen keine Kaufkraft verloren gehen. Der deutsche Sparbuchglaube ist schließlich ein Fundament der europäischen Konstruktion.

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Wir brauchen innovative Planschritte. Zwischen Neujahr und der zweiten Cavaflasche kurz nach dem Feuerwerk habe ich sie gefunden. Es müssen nur drei Prozent der deutschen Arbeitsplätze drei Monate im Winter in drei Länder – Spanien, Griechenland und Portugal – versetzt werden. Das war’s. Die Digitalautobahnen sind da, und wer möchte nicht im Süden überwintern? Warum müssen Finanzbeamte oder Versicherungssachbearbeiter im kalten Berlin oder Frankfurt die Hände an ihren Kaffeetassen wärmen, wenn sie ihre Arbeit auch von Valencia, Faro oder Rhodos aus erledigen können?