Tränen in der Feuerbergstraße

Leitung und Mitarbeiter verteidigen Geschlossenes Heim beim Rundgang mit der Presse: 80 Prozent der Jungen, die ein ganzes Jahr da waren, würden am liebsten bleiben. Zimmer zerstören gehöre zum Alltag. Besucher dürfen mit Insassen nicht reden

Von Kaija Kutter

Der Druck machte es möglich. Gestern durfte Hamburgs Presse erstmals seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die Geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße (GUF) das Gelände besichtigen. Mit den sieben Insassen konnte aber keiner sprechen.

Das Gespräch einer Journalistin mit zwei Jungen an einer Glastür wird von Pressesprecherin Katja Havemeister unterbunden. Der Kontakt ist nicht geplant. Eigentlich sollen die Jugendlichen weit weg im Schulraum sein, als Reporter die „Gruppe 2“ fotografieren. Die Wände dort sind in warmen Aprico-Tönen gestrichen. Die Pin-Up-Fotos sind ein häufiges Motiv. Im gemeinsamen Wohnzimmer steht eine robuste Sofa-Garnitur, dahinter ein Regal mit Spielen und einer Carrerabahn.

Nett, doch das Gefangensein ist sichtbar: Eine Tür führt zum Garten, der mit einem zweiten Zaun wie ein Käfig im Käfig vom umzäunten Außengelände abgetrennt ist. Die Türen haben keine Klinken, nur Schlüssellöcher. Die Erzieher können mit ihrem Schlüssel alles auf- und abschließen. Die Jungen können nur den Schnappverschluss fürs eigne Zimmer öffnen.

Eines ist knapp neun Quadratmeter klein, eines 17 Quadratmeter groß. „Ein Belohnungssystem“, erklärt Heimleiter Wolfgang Weylandt. Wer länger da ist, bekommt das Größere. Und auch der Fitnessraum ist nur „Belohnung“ für Jugendliche, die keine Gewalt ausüben.

Elf Gewalttaten gegen Pädagogen gab es allein im September. Manchmal kommt es vor, dass Jungen ihre Zimmer „zerschreddern“, berichtet Weylandt. „Dann haben sie halt keine Möbel, sondern nur eine Matratze“. Zuletzt sei dies im Juni geschehen.

Beim Pressegespräch nach dem Rundgang nennt Weylandt eine Erklärung. Die Jungen reagierten oft mit aggressivem Verhalten, weil sie „Gewalt als Lösungmuster“ erlebt hätten. Es handle sich „um die schwierigsten Jugendlichen der Stadt“.

Oft gehört. Aber kann man sich ein Bild machen, ohne jemals direkt mit den Betroffenen zu sprechen? Schon bei der Eröffnung im Dezember 2002 gab es nur leere Zimmer zu sehen. Bei der Ein-Jahres-Bilanz im Januar 2004 waren die mittlerweile eingezogenen Bewohner nur per Video zu sehen – ohne Ton. Im Dezember 2004 brachen zwei Jungen aus und sprachen von Gewalt, ruppiger Behandlung und Ruhigstellung mit Psychopharmaka. An den Vorwürfen war so viel dran, dass jetzt ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ihnen nachgeht.

Um wenigstens etwas Authentizität zu bieten, lässt der städtische Träger zwei Mitarbeiter sprechen. Der Schulunterricht klappe „sehr gut“, kein Jugendlicher habe ihn bisher verweigert, berichtet GUF-Lehrer Karsten Pietsch. Ein Junge, der fast Analphabet gewesen sei, habe sich mit seiner Hilfe zum Gedichte-Schreiber entwickelt. Ein anderer „schwacher Schüler“ habe begeistert zu rechnen begonnen. Als Pietsch ihm eines Tages sagte, dass eine Lösung nicht stimmt, habe er „angefangen, mit Sachen zu werfen“. Pietsch: „Als alles Material verbraucht war, fing er an, wie ein Rohrspatz zu schimpfen und sagte dann: ,Geben sie mir ein neues Arbeitsblatt‘“. Pietsch erstattet Anzeige wegen Körperverletzung, arbeitet aber mit dem Jungen weiter.

Gleich zu Beginn ihrer Zeit in der GUF habe sie ein einschneidendes Erlebnis gehabt, erinnert sich Erzieherin Kirsten Lankuttis: „Ein Junge war frisch in die GUF gekommen und hat natürlich mit Gewalt reagiert.“ Er habe die Nachtruhe nicht einhalten wollen und „nahm sein Zimmer auseinander“. Als er schließlich auch die Betreuer attackiert habe, sei sie zu ihm ins Zimmer gegangen und habe ihm die Hand auf die Schulter gelegt. „Da fing er fürchterlich an zu weinen. Herzzerreißend. Und er fing an, über seine Ängste zu reden.“

Die Gewalt, so ist Lankuttis überzeugt, sei ein „Anfangsproblem“. Es sei „wunderschön“ zu beobachten, wie Jungen es schafften, sich „Abend für Abend hinzusetzen, und ihre Gefühle zu reflektieren“. Dafür verdienten sie „Respekt“. Am Ende der auf ein Jahr begrenzten Aufenthaltsdauer würden 80 Prozent gar nicht mehr wegwollen.