Käthe kommt nicht zur Ruhe

PROTESTFast 75.000 Menschen haben mittlerweile gegen die Kündigung einer Demenz-WG unterschrieben – der Eigentümer will sich trotzdem nicht umstimmen lassen

Sie sollen ausziehen: die BewohnerInnen einer WG für demenzkranke Menschen in der Steglitzer Albrechtstraße Foto: Joanna Kosowska

von Malene Gürgen

Online-Petitionen sind machtvoll: Nachdem 70.000 Menschen gegen den drohenden Rauswurf einer WG demenzkranker Menschen in der Steglitzer Albrechtstraße unterschrieben hatten, lenkte der dänische Eigentümer im Oktober ein: Die Kündigung wurde bis Ende Dezember ausgesetzt, Verhandlungen mit dem Träger der Wohngemeinschaft, dem Verein Freunde alter Menschen, eröffnet. Das Bild der demenzkranken Bewohnerin Käthe hatte viele bewegt, der Eigentümer sah sich gezwungen, öffentlich zu erklären, dass er nichts gegen alte Menschen habe.

Online-Petitionen sind machtlos: Mittlerweile sind zwar noch einmal fast 5.000 Unterschriften hinzugekommen, doch die Zukunft der Demenz-WG ist weiter ungewiss. „Die Verhandlungen sind gescheitert, wir rechnen jetzt jeden Tag mit der Erneuerung der Kündigung“, sagt Klaus Pawletko, Geschäftsführer des Vereins. Der Eigentümer, die Esplanaden Berlin Holding A/S, habe als letztes Angebot einen Mietvertrag mit einer Kaltmiete von 10 Euro kalt pro Quadratmeter vorgelegt, befristet auf zehn Jahre. Die aktuelle Miete liegt bei 6,52 Euro kalt pro Quadratmeter. „Bei sechs unserer sieben Bewohner zahlt das Sozialamt die Miete – wenn wir diesem Angebot zustimmen, müssten sie sofort ausziehen“, sagt Pawletko. Höchstens 8,50 Euro pro Quadratmeter seien machbar, das habe der Eigentümer aber abgelehnt.

Gewerbe oder Wohnen

Der aktuelle Mietvertrag ist unbefristet, der Eigentümer argumentiert allerdings, es handele sich um einen Gewerbemietvertrag – hier gelten wesentlich kürzere Kündigungsfristen als bei Wohnmietverträgen. „Wir wissen mittlerweile von mehr als 10 Pflege-WGs in Berlin, die von einer ähnlichen Kündigung betroffen sind“, sagt Pawletko.

Er vermutet, dass der Eigentümer mehr Geld mit der Immobilie machen möchte. „Die haben uns schon im Frühjahr bei einer Begehung angedeutet, dass sie mehr aus diesem Gebäude machen wollen.“ 2005, als der Verein den Mietvertrag für die etwas heruntergekommene Villa unterschrieben hatte, sei die Situation noch eine ganz andere gewesen: „Der damalige Eigentümer war froh, dass wir dort eingezogen sind.“ Eine Entscheidung des Amtsgerichts Schönebergs über die Rechtmäßigkeit der Kündigung steht noch aus. Die Esplanaden Berlin Holding A/S war am Montag nicht zu einer Stellungnahme gegenüber der taz bereit.

„Wir rechnen jetzt jeden Tag mit der neuen Kündigung“

Klaus Pawletko, Mieter
Beliebtes Modell

Mehr als 600 ambulant betreute Wohngemeinschaften gibt es in Berlin, gut die Hälfte davon ist speziell auf Demenzkranke ausgerichtet. Seit der Eröffnung der ersten Senioren-WG vor knapp 20 Jahren hat sich das Modell schnell verbreitet. Durchschnittlich acht MieterInnen leben dabei gemeinsam in einer Wohngemeinschaft und werden durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt. Die Pflegekosten übernimmt die Krankenkasse – weil die Leistungsansprüche der einzelnen BewohnerInnen kombiniert werden, wird eine 24-Stunden-Betreuung bezahlbar.

Auch bei den anderen von Kündigungen betroffenen Wohngemeinschaften gehe es um Profitinteressen der Eigentümer, sagt Pawletko. „Man sieht einfach, dass der Berliner Wohnungsmarkt sich verändert hat.“ Das mache die Situation doppelt schwierig – eine neue Bleibe für die demenzkranken BewohnerInnen der Albrechtstraße zu finden, sei praktisch unmöglich. „Wir bereiten uns jetzt gerade auf einen Gerichtsprozess vor. Unsere Bewohner auf die Straße zu setzen, kommt schließlich nicht infrage“, sagt er.