heute in Bremen
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„Bewusste Transparenz“

Vortrag Die Reihe „Uni für alle“ behandelt heute die Demokratisierung von Ägypten und Tunesien

Cordula Weißköppel

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48, ist Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin an der Uni Bremen und forscht seit 2010 in Ägypten.

taz: Frau Weißköppel, sind Tunesien und Ägypten schon Demokratien?

Cordula Weißköppel: Das ist differenziert zu betrachten. Von der politischen Staatsform her haben die Staaten den Anspruch, eine Demokratie zu sein. Auch andere Kriterien sind erfüllt wie ein Mehrparteiensystem oder eine demokratische Verfassung. Allerdings zeigen sich in Ägypten auch erneut autokratische Tendenzen durch den Präsidenten As-Sisi.

Und in Tunesien?

Hier wird auf das Senioritätsprinzip gesetzt. Die Bevölkerung wählte den ältesten Mann des säkularen Lagers, el Sebsi, als Präsidenten. Er steht für Kontinuität und Sicherheit, damit Nachwuchs an starken Führungspersönlichkeiten heranwachsen kann.

Ergeben sich daraus Probleme?

Ja. Die jungen Menschen der arabischen Staaten werden nicht ausreichend in die Institutionen der jungen Demokratien eingebunden. Dabei demonstrierten sie im Januar 2011 auf den Straßen und führten den Umbruch herbei. Das birgt aktuell ein hohes Frustrationspotenzial.

Sind die westlichen Demokratien ein geeignetes Vorbild?

Die säkularen Vorstellungen eines westlichen Staates sind in den arabischen Gesellschaften nicht angebracht. Religion und Politik sind hier nicht so einfach zu trennen. Ein kultursensibler Demokratisierungsprozess muss das berücksichtigen.

Sind die Bevölkerungen an Sicherheit oder Demokratie interessiert?

Da gibt es kein Entweder-oder. Für uns in Europa ist es schwer vorzustellen, über Jahre in einem politischen Umbruch, also auch mit strukturellen Unsicherheiten, zu leben. Als ich 2014 in Ägypten war, sehnten sich die Menschen wieder nach einer starken Hand wie As-Sisi. Sie haben ein Interesse an einem demokratischen Ordnungsprozess.

Wie sieht der aus?

Es braucht eine bewusste Transparenz und eine kritische Öffentlichkeit. Diese darf nicht, wie aktuell in Ägypten, wieder unterdrückt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Kompetenten des Landes weiter emigrieren, anstatt dass sie an der politischen Umgestaltung partizipieren und damit die Abwanderung der Intelligenz gemindert würde.

Verhindert das Militär eine weitere Demokratisierung?

Die Masse der Gesellschaft unterstützt das Militär. Es steht für Ordnung und Stabilität. Ohne das Militär wäre die Revolution nicht friedlich verlaufen, dafür ist die Bevölkerung dankbar. In Ägypten ist es stark in die Mittelschicht verankert und ist ein wichtiger ökonomischer Akteur.

Interview: Jannik Sohn

„Ringen um Demokratie“: 18 Uhr, Haus der Wissenschaft