BLENDUNG Wenn die Nacht am längsten ist, igelt der Mensch sich ein. Doch man fürchte wohl besser die exzessive Helligkeit, wenn in naher Zukunft das Smart Light regiert
: Kampf gegen das Dunkle

Der „Tod Gottes“ wird nicht selten in einen Kausalzusammenhang mit der Surveillance-Kultur gestellt – irgendjemand muss ja wachen über uns Foto: Andrew Renneisen/NYT/Redux/laif

Von Christiane Kühl

Heilig ist die stille Nacht nur einmal im Jahr; zumeist ist sie uns unheimlich. Der Mensch fürchtet die Finsternis seit jeher. Es ist der Moment, in dem das Augenwesen der Welt existenziell ausgeliefert ist. Die Geschichte der Menschheit, schreibt der Physiker Ulrich Kilian, ist auch die Geschichte des Kampfes gegen die Dunkelheit.

Wenig verwunderlich also, dass die ersten Worte, die Gott in den Mund gelegt wurden, „Es werde Licht“ lauten. Nicht nur dem christlichen; fast alle Kosmogonien beginnen die Erschaffung der Welt mit dem Licht. Die Nacht dagegen hat in den meisten religiösen Tradi­tio­nen keinen guten Leumund. Schon die alten Griechen wussten, dass sie aus Chaos geboren wurde. Hesiod übermittelt, dass Styx, die personifizierte Nacht, neben dem Schlaf auch Alter, Verderben, Traum und Tod gebar. Ganz aus sich allein, womit sie Maria mit der Unbefleckten Empfängnis um Jahrtausende voraus war. Maria brachte mit Jesus das Licht der Welt zur Welt, was wiederum sie selbst zur Lichtgestalt erhob. Bis heute zu erkennen am Heiligenschein.

Sowohl die Evangelien als auch Hesiods Theogonie 700 Jahre zuvor wurden im Schein von Sonne oder Öllampe geschrieben. Der Handel mit Brennstoffen für Lampen begann etwa 2000 vor Christus in Babylon, Kerzen wurden wohl erst im zweiten Jahrhundert nach Christus erfunden. Die meisten Menschen waren bei nächtlichen Aktivitäten lange auf den gütigen Vollmond angewiesen, Lampen blieben ein Luxusgut. Der olle Mond war aber selten kooperativ. Weswegen die allermeisten Menschen nachts schliefen. Jene aber, die es sich leisten konnten, gierten nach mehr. Mit dem Licht, so die Hoffnung, springt ein Funke des Göttlichen über. Mit dem unwahrscheinlichen Glanz in der Nacht wollten sich die Reichen und die Herrschenden eine kleine Scheibe vom Heiligenschein sichern.

Die europäische Philosophie hielt an der positiven Erleuchtung fest. Die Aufklärung – englisch Enlightenment, französisch siècle des Lumières – trägt die Bevorzugung des Lichts gegenüber dem Dunkel bereits im Namen. Ihre Metaphern bestärken das: die Fackel der Vernunft, das Licht der Wahrheit, der Schein der Weisheit. Vielleicht aber ist alles ein Missverständnis. Die Vorstellung, dass im Licht das Wahre wohnt und im Dunkel böse Mächte walten: ein fundamentales, tragisches Missverständnis.

Der Kampf gegen die Dunkelheit blieb nie auf die Dunkelheit beschränkt. Vor allem nicht im öffentlichen Raum. Warum gibt es Straßenlaternen? Damit wir bei Nacht besser sehen können? Falsch. Es gibt Straßenlaternen, damit wir bei Nacht besser gesehen werden können. In London, Paris und Frankfurt waren die Menschen im 15. Jahrhundert verpflichtet, nach Einbruch der Dunkelheit Fackeln bei sich zu tragen. Damit die Polizei sah, wer sein Haus verließ. Lichtscheues Gesindel war dem Staat von jeher suspekt. Die mobile Selbstbeleuchtung der Privatperson, so der Medienwissenschaftler Dietmar Kammerer, war eine Art der Selbstanzeige.

Öffentliche Stadtbeleuchtung ist eine Erfindung des absolutistischen Staates. Wie Wolfgang Schivelbusch in seiner großartigen „Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert“ dokumentiert, war es Louis XIV., der das Licht zur Chefsache erklärte. Der Sonnenkönig, das allesschauend Sonnenaug, ließ die individuellen Laternen an Pariser Häusern durch Einheitslaternen, in der Mitte der Straße platziert, ersetzen. So musste fortan jeder, der sich bei Nacht durch Paris bewegen wollte, dies für alle sichtbar auf dem Präsentierteller des Boulevards tun. „Sauberkeit, Helligkeit und Sicherheit“ lautete das Motto des Regenten bereits 1667. Dem Volk war damals wohl bewusst, dass das monopolisierte Licht in erster Linie ein Medium der Kontrolle war: Nicht zufällig gingen die Gaslaternen bei den Pariser Aufständen 1830 als Erstes in Flammen auf.

Mit der Einführung der Elek­trizität ging der Traum der „ville lumière“, der auch bei Nacht taghell erleuchteten Stadt, dann endgültig über in ein klinisches Szenario eines Albtraums, aus dem es kein Entkommen gibt. Dieser Albtraum einer omnipräsenten Helligkeit, der „Schrecken, der jeden Schrecken erhöht“, wie es Robert Louis Stevenson 1881 bei der Ablösung der Gaslaterne durch das elektrische Licht formulierte, ist lange noch nicht ausgeträumt.

In Berlin gibt es heute etwa 224.000 Straßenleuchten, 2.700 davon sind LED-Lampen. Weltweit gibt es etwa drei Milliarden Straßenleuchten, die meisten von ihnen leuchten mit Quecksilber- oder Natriumdampf. Diese Leuchtmittel sind ineffizient, da sie im Vergleich zu LED sehr viel mehr Strom verbrauchen und dazu alle zwei bis vier Jahre ausgewechselt werden müssen. Bei LED ist der Turnus viermal so lang. Dänemark hat bereits 30 Prozent aller städtischen Leuchten auf LED umgerüstet, New York verspricht volle 100 Prozent bis 2017. So wie das 20. Jahrhundert den Wechsel von Gas- zu elektrischem Licht erlebt hat, werden wir die Transition von analogem zu digitalem Licht erleben.

Nicht zufällig gingen die Gaslaternen bei den Pariser Aufständen 1830 als Erstes in Flammen auf

Drei Milliarden Straßenlaternen, die alle in absehbarer Zeit erneuert und mit Licht emittierenden Halbleitern ausgestattet werden – das birgt Möglichkeiten. Oder, wie es die kalifornische Firma Sensity formuliert: „Diese Lampen schreien danach, Knotenpunkte eines neuen Netzwerks zu werden.“ Die Zukunft des Lichts heißt Smart Light, und neben Sensity sind auch Philips, Osram und Panasonic groß im Geschäft. Dass Smart Lights leuchten, ist dabei eine ihrer weniger interessanten Qualitäten. In Zukunft spricht die Straßenlaterne über dich.

Ausgestattet mit Sensoren, Kameras und Wi-Fi, registriert die neue Lampe Luftqualität, Erdstöße, Licht und Bewegung; Ton und Video können in HD-Qualität aufgezeichnet werden. Und übertragen, in Echtzeit: Smart Light ist das Gateway zu einer globalen Highspeed-Netzwerkplattform, die potenziell die größte Menge von Daten in die Cloud lädt, die die Welt je gekannt hat. Von wo aus sie verkauft werden an Firmen, die Apps daraus entwickeln, die unser Leben erhellen: Lampen, die dir sagen, wo ein Parkplatz frei ist; Lampen, die dem Verkäufer sagen, auf welche Auslage ich schiele; Lampen, die der Polizei anzeigen, wo Graffiti gesprüht werden. TCP baut Lampen, die nicht nur Bewegung, sondern auch „Präsenz“ melden. Terralux annonciert Lampen, die „sehen, riechen und fühlen“ können. Philips wandelt Laternen in Mobilfunkmasten, was das Tracking von Handys ermöglicht. Lampen, die registrieren, wer das Haus verlässt und wo sich Menschen versammeln; Lampen mit Zählfunktion und Gesichtserkennungsprogramm.

Mit Smart Lights erstellen wir dem Planeten ein EKG und beobachten seinen Herzschlag, schreibt Newsweek. Da ist es wieder, das Albtraumlicht, aus dem es kein Entkommen gibt. Statt Schatten zum Verschwinden produziert es digitale Schatten zur doppelten Sichtbarkeit. Night is over. Drei Milliarden Laternen, hoch über allen Straßen, Wegen und Pfaden dieser Welt – das PRISM-Programm der NSA ist ein Fliegenschiss dagegen.

„Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber dies ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin“, singt Nietzsches Zarathustra. Der „Tod Gottes“ wird nicht selten in einen Kausalzusammenhang mit der Surveillance-Kultur gestellt – irgendjemand muss ja wachen über uns. Am Heiligabend bleibt also alles beim Alten, ob Sie im Smart Home chatten oder den Baum mit Wachskerzen erstrahlen lassen: Der liebe Gott sieht alles. Und die funkelnde Lichterkette vorm Fenster bald auch.

Die Autorin war Kulturredakteurin der taz. Mit Chris Kondek entwickelte sie das Theaterprojekt „Anonymous P.“