Schlager, Sex und Spießer

Feiern Ein ganz besonderes Vergnügen: Alle zwei Monate versammeln sich Schlagerfans im Schwuz in Neukölln, um die Musik ihrer Stars zu feiern. Udo Jürgens und Margot Werner werden dabei auf eher ungewöhnliche Art gewürdigt: nackt und mit sehr viel Sex

Dieser Wuchs, diese Kraft: Männer sind in der absoluten Mehrheit auf den alle zwei Monate stattfindenden Schlagernacktpartys im Neuköllner Schwuz Fotos: Schlagernacktparty

Von Daniel Kister

„Ein Festival der Liebe soll unser Leben sein. Und alle, die so sind wie wir, die laden wir gerne ein“, tönt die Stimme des Schlagersängers Jürgen Marcus am Sonntagabend aus den Lautsprechern im Schwuz in Neukölln. Als DJ Jupiter lädt Ralf Grund mit anderen Ehrenamtlichen seit zwölf Jahren zur Schlagernacktparty. Am Ende des Abends werden sich insgesamt 414 Männer und sechs Frauen bis auf Socken und Schuhe entkleidet haben – so viele wie bisher noch nie. Sie werden ihre Straßenkleidung in schwarze Plastiksäcke gepackt und an der Garderobe abgegeben haben, um gemeinsam hüllenlos zu Schlager zu tanzen und zu singen.

Hey du da hör mal her / komm und spiel mit mir / und noch ein Stückchen näher / komm und spiel mit mir.

DJ Jupiter schunkelt ebenfalls nackt, während die Stimmung der Partygäste steigt. „Ich wollte ein Event veranstalten, wo Menschen hippiemäßig tanzen und sich die Klamotten vom Leib reißen“, beschreibt er seine Motivation. Im Schlager fand er die passende musikalische Begleitung: „Ich habe gesehen, wie selbst nach Punk-Partys die Leute richtig auf Schlager abgingen. Die Texte und Melodien stecken tief in uns drin und erinnern uns an die eigenen Kindertage.”

So ein Mann, so ein Mann /zieht mich unwahrscheinlich an / Dieser Wuchs, diese Kraft / weckt in mir die Leidenschaft.

Die Männer singen Margot Werners Verse mit und feiern ihre Leidenschaft zur Musik und füreinander: Sie küssen, lachen, umarmen sich, befriedigen sich untereinander. Trotz offenem Sex fühlen sie sich nicht wie auf einer Sexparty.

„Wenn mir während des Fickens eine Schlagerzeile durch den Kopf geht und ich mitsingen will,ist das schonherausfordernd“

Partygast

„Sex ist der Party untergeordnet“, betont Initiator Ralf. Die Gäste bestimmten, was auf der Party passiert. Und die Gäste entscheiden sich immer wieder aufs Neue: „Es gab Abende, da bin ich stundenlang im Dark­room herumgeirrt, weil ich ficken wollte. An anderen Abenden habe ich nur getanzt und an wieder anderen hat sich was auf der Tanzfläche ergeben“, erzählt der FKK- und Schlager-Fan Hendrik, der mit 33 Jahren unter dem Altersdurchschnitt liegt. Dabei sei der Sex auf der Schlagernacktparty sehr speziell und verlange mehr Konzentration: „Wenn mir während des Fickens eine Schlagerzeile durch den Kopf geht und ich mitsingen will, ist das schon herausfordernd.“ Dabei unterbricht sich der Stammgast selbst, um nach den ersten Tönen in Udo Jürgens „Aber bitte mit Sahne“ einzustimmen.

Über den Wolken / muss die Freiheit wohl grenzenlos sein /Alle Ängste, alle Sorgen / sagt man / blieben darunter verborgen und klein.

Die Party wird von Schwulen dominiert, ist aber ausdrücklich für alle Geschlechter und Orientierungen offen. Obwohl die Partygäste sich gegenseitig körperlich checken, soll die eigene Inszenierung keine Rolle spielen: „Es gibt sau-attraktive Leute und Leute mit großem Bauch und alles tanzt zusammen.“ Auch Roco tanzt mit. Der 26-Jährige im Körper einer Frau, dessen Großmutter ihn noch mit seinem Mädchennamen anspricht, hat einen selbst gemachten Umschnall-Dildo mit zu seiner ersten Schlagernacktparty genommen.

„It’s very different“, resümieren Joao (29) und Marla (30) ihren Besuch. Die beiden Touristen*innen aus Brasilien haben noch nie eine „Party like that“ erlebt. Zahlreiche Gäste reisen nur für die Party nach Berlin. Der 47-jährige Guido aus Magdeburg plant schon für den nächsten Termin im Februar.

Moskau, Moskau / Komm wir tanzen auf dem Tisch / Bis der Tisch zusammenbricht / Ha ha ha ha ha.

Traditionell bilden sich zu Dschinghis Khans Lied „Moskau“ Tanzkreise. Die Feiernden haken sich ein, hüpfend, schwitzend, ausgelassen schwingen sie ihre Beine und tanzen dem Höhepunkt der Party entgegen. „Amüsant ist das schon“, findet der 63-jährige Detlef, der Schlager eigentlich hasst, als Stammgast aber trotzdem regelmäßig mitfeiert: „Die Party ist ja nur alle zwei Monate. Jede Woche könnte man das nicht ertragen.“ Er kritisiert die „vielen Spießer“ auf der Party, die er daran erkennt, „wie die Sexmachen“ – zu technisch und lustlos wie in Pornos. Überhaupt sei der Dark­room das „Schlafzimmer der Spießer geworden“. Gefallen hat ihm aber der „nicht so gelangweilte Sex“ dreier hübscher Kerle, den er vom Barhocker aus beobachtet hat. Da bleibt er auch sitzen. Schließlich könnten immer noch Wunder passieren, schmunzelt er und träumt: „Dann kommtirgendjemand auf mich zuund dann passiert was Spannendes.“

Mit dir vielleicht – vielleicht auch nicht / Kann schon sein, du fühlst so wie ich / Mit dir vielleicht und sowieso / Alles kann heut Nacht passier ’n.