Was geht eigentlich in Bremerhaven?: Wie die anderen feiern

Bremer treffen ihre Liebsten, Flüchtlingen stellt man Christbäume in den Unterkünften auf. Aber was macht man an Heiligabend eigentlich in Bremerhaven?

Happy in Bremerhaven? Eine Feuerwerk-Firma zumindest freut sich auf die Tage um Weihnachten und das Jahresendgeschäft. Foto: dpa

BREMERHAVEN taz | Man hat öfter den Eindruck, Bremer stellen sich Bremerhaven als fern und exotisch vor. Als kleine Stadt am Meer, arm, verlebt, mit lustigen Verkäufern am Strand, die Touristen Nippes andrehen. Ein wenig wie auf Madagaskar, nur kälter. Jetzt zu Weihnachten mögen sie sich als Bremer fragen: Sind das überhaupt Christen, haben es die Missionare bis an die Wesermündung geschafft? Feiern Bremerhavener überhaupt Weihnachten oder verbrennen sie Ziegen in heidnischen Ritualen?

I. Besonderheiten

Ja, in Bremerhaven feiert man Weihnachten. Aus der selbstgewählten Diaspora kommen jene Töchter und Söhne der Stadt zurückgeströmt, die auswärts studiert haben, um nun schlecht bezahlt den Berliner oder Hamburger Kulturbetrieb zu verstopfen. Wenn es dumm gelaufen ist, den in Hannover. Die gut ausgebildeten Ingenieure vor Ort wundern sich dann immer ein wenig, nehmen es aber belustigt hin.

Das mag eine Bremerhavener Besonderheit sein: Weihnachten ist hier ein großes Ehemaligen-Treffen. Man trifft sich beim „Weihnachtszauber“ in der Stadthalle oder in der Alten Bürger, der ehemals strahlend-legendären Kneipenmeile. Im Yesterday oder im Café de Fiets. Und wenn man jünger ist, so twenty-something, dann geht man seit Neustem zum „Tannentanz“ ins Mediterraneo in den Hafenwelten und wippt vor der Rigips-Fassade eines italienisches Dorfes zu House-Musik von DJ Steve Norton. Das klingt etwas trist, erinnert Sie aber sicher auch ein wenig an Bremen. Mich jedenfalls.

„Weihnachten ist hier ein großes Ehemaligen-Treffen. Man trifft sich beim „Weihnachtszauber“ in der Stadthalle. Im „Yesterday“ oder im „Café de Fiets“. Wenn man jünger ist, geht man seit Neustem zum „Tannentanz“ ins Mediterraneo und wippt zu House-Musik von DJ Steve Norton.“

II. Individuelle Erfahrung

Gegenüber dem Allgemeinen gibt es immer die individuelle Erfahrung. Bei uns zu Hause ist es nämlich sehr schön. Der Baum ist reich, aber nicht zu reich geschmückt. Es gibt lecker Lachs-Carpaccio und vernünftige Drinks. Dazu läuft meist auch noch richtig gute Musik.

Weihnachten in Bremerhaven hat in dieser Erzählung etwas ausgesucht Bourgeoises und mit der immerwährenden Verfeinerung des Geschmacks zu tun, wie man es exemplarisch bei Bourdieu nachlesen kann. Es ist natürlich sinnlos, dass hier zu erwähnen. Das glaubt mir in Bremen ja niemand. Notstand, Tristesse, brennende Häuser und marodierende Nazis, da klingelt’s. Aber Lachs-Carpaccio, John Coltrane, zwei ausgesucht dekorative Katzen, wohlriechende Aesop-Creme und eine Saint-Laurent Dokumentation unterm Baum in Bremerhaven? Glauben Sie nicht. Eben.

III. Der Idealtypus

Für ganz mutige und einsame Bremer möchte ich hier einen idealtypischen Bremerhavener Weihnachtstag vorschlagen: Aufstehen im neu gestalteten Nordsee Hotel am Theaterplatz, Lachsbrötchen mit Crémant to go bestellen und ab zum Deich, den Blick über die bei richtigem Licht überirdisch schöne Wesermündung gen Nordpol richten (das Mediterraneo unterm Deich bitte ausblenden).

Dann ab ins Kunstmuseum, um die hervorragend und insbesondere von Jürgen Wesseler kuratierte Sammlung zu bestaunen. Zum Warmlaufen auf einen Gin Tonic ins „Casper David & Co.“ und dort mit den Ballerinas des Stadttheaters ins Gespräch kommen, die sich hier idealerweise tummeln. Essen gehen im SeaSide am Strand und sich anschließend im Foyer des Nordsee Hotels angeschossen unter den Baum legen. Das war’s. Davon können Sie zu Hause erzählen.

IV. Das Wunder

Etwa 2000 Jahre nach Jesus ist in Bremerhaven übrigens ein Eisbärenbaby geboren worden, nur eines von sechs, das in diesem Jahr in Gefangenschaft gezeugt wurde. Ein Wunder gewissermaßen. Das Bärenbaby soll wie eine Kanonenkugel aus der Mutter geschossen sein, so sehr nach Leben muss es sich gesehnt haben.

Eine Parallelhandlung hierzu war ein Gespräch, welches ich mit einer älteren Dame in dem sehr schönen Second-Hand-Laden von Renate geführt habe. Sie erzählte mir davon, wie sie einer Flüchtlingsfamilie notwendige Haushaltswaren rausgesucht und gespendet hat, dass sie ihrem Sohn ganz genau von der eigenen Flucht aus Ostpreußen erzählt hat. Das müsse man doch wissen.

So sei Mitgefühl und Demut vermittelbar für die heute zu uns kommenden Flüchtlinge aus Nahost. Das eine hat mit dem anderen natürlich nichts zu tun, außer eben der Sehnsucht nach Leben. Und darum sollte es doch am Ende an Weihnachten in Bremerhaven oder sonst wo gehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.