Schwanger im Haushaltsnotlageland: Verhütung für Arme

Die Bremer Regierungsfraktionen wollen Pille und Spirale für Sozialhilfeempfängerinnen bezahlen.

Paar mit Pillenpackung

Nicht ganz billig: Schwangerschaftsverhütung mit der Pille. Foto: Jörg Lange /dpa

BREMEN taz | „Kostenübernahme für Schwangerschaftsverhütung“, eine „freiwillige Leistung für sozial benachteiligte Frauen“: So steht es auf einem gemeinsamen Informations-Flyer von Bremens Sozialbehörde und der Beratungsstelle Pro Familia Bremen.

Im Kleingedruckten liest sich das anders: Demnach übernimmt Bremen seit zwei Jahren die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel – aber nur für einen sehr eingeschränkten Kreis von Frauen: für solche in besonders schwierigen Lebenslagen, beispielsweise Drogenabhängige, psychisch Kranke und Behinderte. Das soll jetzt anders werden.

In der Bürgerschaft haben die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen den Senat am Dienstag dazu aufgefordert, allen Frauen, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, Spirale, Pille und Co. zu finanzieren. Männer sind nach wie vor ausgeschlossen.

In der Vergangenheit hatte Bremen stets abgelehnt, allen armen Frauen die Kosten zu erstatten, weil es nicht finanzierbar sei. Das gehe in einem Haushaltsnotlageland nicht, hatte die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Jahr 2013 gesagt. Wie viel es aber kosten würde, war dabei immer ungewiss. Mit Kosten im sechsstelligen Bereich, bis zu 500.000 Euro, hatten Bremens PolitikerInnen und Verwaltung gerechnet, mit Blick auf Erfahrungen aus Flensburg und Berlin.

Hamburg bezahlt nichts über den Sozialhilfesatz hinaus.

Die Region Hannover erstattet seit 2004 Anspruchsberechtigten, die älter sind als 20 Jahre, ihre Ausgaben für ärztlich verordnete Empfängnisverhütungsmittel. 2013 wurden 327 Anträge zu Kosten von 28.000 Euro bewilligt. Seither wurde verstärkt für das Angebot geworben. Im laufenden Jahr ist die Zahl bereits mehr als doppelt so hoch.

Das war offenbar viel zu hoch gegriffen. Denn alleine für den stark eingeschränkten Personenkreis hatte die Sozialsenatorin Anja Stahmann im Jahr 2014 mit 22.000 Euro gerechnet und für 2015, als der etwas ausgedehnt wurde, mit bis zu 60.000 Euro. Abgerufen wurden nach Auskunft der Sozialbehörde aber nur 2.700 Euro im ersten Jahr und im zweiten bisher 5.000 Euro. Also nicht einmal ein Zehntel dessen, womit kalkuliert worden war.

Entgegengenommen hat die Anträge die Beratungsstelle Pro Familia. In 2014 stellten 16 Frauen einen Antrag, in 2015 immerhin 48, erzählt Geschäftsführerin Monika Börding. Meistens wollten sie eine Spirale.

„Dafür mussten wir rund 200 Frauen sagen, dass es für sie kein Geld gibt“, sagt Börding. Daher ist sie froh, dass die Beschränkungen jetzt weg fallen. „Wir hören in unseren Beratungen immer wieder, dass sich Frauen oder auch Paare die regelmäßige Verhütung nicht leisten können.“ Erst neulich sei ein Student da gewesen, dessen Freundin die Pille nicht verträgt. „Für eine Spirale fehlte das Geld“ – sie kostet zwischen 120 und 300 Euro. Studierende, so sie älter als 21 sind, bleiben allerdings weiter außen vor.

Ungewollte Schwangerschaften aus Armutsgründen haben laut Börding auch zu einem Anstieg an Schwangerschaftsabbrüchen geführt – deren Kosten von den Kassen übernommen werden. Damit argumentiert sie aber ungern, weil das Problem aus ihrer Sicht nicht die Abbrüche sind – sondern dass es überhaupt zu ungewollten Schwangerschaften kommt.

Seit 2004, seitdem die Kosten für Verhütungsmittel nicht mehr übernommen werden, sondern pauschal in den Regelsatz von Hartz IV und anderen staatlichen Hilfen eingerechnet werden, weist der Bundesverband von Pro Familia auf das Problem hin.

Zwei kleine Studien bestätigen die Erfahrungen der Berater. Eine Befragung von 98 Betroffenen im Jahr 2013 ergab zudem, dass die Frauen in 43 Prozent aller Fälle mit dem Kondom verhüteten und in zwölf Prozent mit Coitus interruptus – und sich eigentlich mehrheitlich eine sichere und langfristige Lösung wünschten.

17 Euro sieht das Gesetz für den Bereich Gesundheitspflege vor – also alles, was sich im Badezimmer und im Medikamentenschrank findet und nicht von der Krankenkasse übernommen wird. Eine Monatspackung der Anti-Baby-Pille schlägt mit 15 bis 23 Euro zu Buche.

Obwohl Bremens Sozialsenatoren sich seit spätestens 2010 mit dem Thema beschäftigt haben, weiß man in der Behörde nicht, welche Kosten auf die Stadt zukommen werden, wenn es so umgesetzt wird, wie SPD und Grüne das wollen.

„Es ist wohl nicht so viel, wie wir in der Vergangenheit gedacht haben“, sagte am Dienstag die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Stephanie Dehne, und dass sie immer noch auf eine bundeseinheitliche Lösung hoffe. Denn bisher ist es reine Glückssache, ob eine Frau zufällig in einer Kommune lebt, die die Kosten übernimmt. In Bremerhaven etwa – der kleineren Kommune im Zweistädteland Bremen – können Männer und Frauen schon seit 2012 einen Antrag auf Kostenübernahme stellen – so sie nicht älter als 27 sind.

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