Wirklich big in Japan

Wegweisendes Krautrocker, Elektronikvisionär: Am Montag wird das Lebenswerk von Manuel Göttsching im Roten Salon vorgestellt

„Göttfather“ von Techno nannte ihn der „Guardian“: Manuel Göttsching Foto: Karsten Thielker

von Andreas Hartmann

Da ist er: Manuel Göttsching. Der Mann, dem der norwegische Elektronikproduzent Prins Thomas den Track „Göettsching“ gewidmet hat und den sie in einem Museum in Tokio als Wachsfigur nachgestellt haben, die gleich neben Marilyn Monroe und Abraham Lincoln steht. Der Mann, der, so erzählt Ilona Ziok, die Frau von Göttsching, die ihren Mann zu unserem Treffen in einem Kreuzberger Café begleitet, bei seinen Konzerten in London mehr Zuschauer hat als Kraftwerk.

Manuel Göttsching Superstar. Nur hier halt nicht. In seiner Heimatstadt Berlin kann der 63-Jährige, ein schmales Männchen mit schütterem Haar, weitgehend unerkannt in Charlottenburg, wo er wohnt, über die Straße gehen. Manchmal werde er auch erkannt, sagt Ilona Ziok, doch das sei überhaupt kein Vergleich zu der Begeisterung, die er in England, den USA oder Japan auslöse. „Schon als ich vor 20 Jahren erstmals nach Japan ging, standen nach dem Konzert Hunderte Japaner da, alle mit Schallplatten in der Hand, mit Originalen aus den Siebzigern“, erzählt Göttsching.

Die Geschichte vom in der Heimat unbesungenen Krautrocker, vor dem sie im Ausland auf den Knien rutschen, ist bereits zigfach erzählt worden. Can, Neu!, Amon Düül und wie diese Bands alle heißen, wurden bereits in ihren goldenen Jahren, den Siebzigern, in Frankreich oder den USA geschätzt, während man sie in ihrer westdeutschen Heimat als verschrobene Irre abtat und lieber Pink Floyd oder die Stones hörte.

Warum das so gut funktionierte mit dem Krautrock in den USA, dafür hat Göttsching auch eine Erklärung: „Im Ausland gab es so eine extreme Musik wie die unsere einfach nicht. Die Kritiker sagten: Das, was meine damalige Band Ash Ra Tempel macht, ist das, was Iggy Pop mit den Stooges gerne gemacht hätte.“

Noch traumatisierte Nation

Der deutsche Underground war demnach noch extremer als der amerikanische, das wurde in den USA respektiert. Warum das in Deutschland nicht so recht funktionierte, dafür gibt es verschiedene Erklärungsversuche. Etwa dass die nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch traumatisierte Nation Rockmusik als angloamerikanischen Soundtrack zur Entnazifizierung begriff und noch gar nicht bereit war für einen eigenen Rock.

Ilona Ziok glaubt dagegen, zumindest bezogen auf die Musik ihres Mannes, es liege vor allem daran, dass dessen Musik in­tui­tiv sei, aus dem Bauch herauskomme, in Deutschland jedoch eher mathematische Musik goutiert werde.

Wie auch immer. Die nächste Stufe der Manuel-Göttsching-Verehrung in seiner Heimat wird ja nun erklommen, bis zur Wachsfigur in Berlin ist es vielleicht gar nicht mehr so weit. Der englische Autor Christian Wheeldon hat nach fünfjähriger Arbeit nun sein Buch „Deep Distance – The Musical Life of ­Manuel Göttsching“ veröffentlicht, das am Montag im Roten Salon der Volksbühne vorgestellt wird. Dazu trifft sich Göttsching auf der Bühne mit Chris Bohn, Redakteur des englischen Musikmagazins The Wire.

Mit seinem Ambient-Track „E2-E4“ ist dem Berliner Gitarristen Manuel Göttsching ein musikalisch richtungsweisendes Stück gelungen, das bereits Anfang der Achtziger auf House und Techno verwies. Und von dieser Bedeutung soll dann auch am Montag im Roten Salon der Volksbühne besonders die Rede sein, wenn Göttsching gemeinsam mit dem Wire-Redakteur Chris Bohn in einer multimedialen Lesung das in diesem Jahr erschienene Buch „Deep Distance – The Musical Life of Manuel Göttsching“ vorstellt. 21 Uhr, 15 Euro.

Göttsching selbst ist sehr zufrieden mit dem Buch über sich. Es nähert sich seiner Musik nicht so euphorisch an wie einst Julian Cope in seinem berühmten Werk „Krautrocksampler“, aber bei aller Analyse schimmert immer noch genugHeldenverehrung durch.

Erzählt wird von dem jungen Gitarristen Göttsching, der als Teenager, wie eigentlich alle damals, die Stones und die Bea­tles verehrte und noch als Schüler die vom Blues beeinflusste Steeple Chase Blues Band gründete. Irgendwann entdeckte Göttsching The Cream und deren Hang zur Improvisation. Das wollte er so ähnlich selber machen. Er wurde Teil von Ash Ra Tempel, die heute in die Top Ten der legendärsten Krautrockbands aller Zeiten gehören, und vom Bluesrocker wurde er zu einem Anführer der kosmischen Musik. Klanggewaber, viel Hall, endloses Gedaddel, dafür standen Ash Ra Tempel.

Rolf-Ulrich Kaiser, ein Strippenzieher, der Malcolm McLaren des Krautrock, brachte die Band schon bald in der Schweiz mit dem LSD-Papst Timothy Leary zusammen, mit dem gemeinsam sie eine Platte aufnahmen. Irre Deutsche bei gemeinsamer Session mit dem amerikanischem Drogenguru Leary in der Schweiz: was für eine Story. Ilona Ziok sagt, sie bereite gerade einen Dokumentarfilm über dieses Ereignis vor und stehe in Kontakt mit einem jungen französischen Filmemacher, der über diesen Stoff sogar einen Spielfilm drehen möchte.

Göttsching-Biograf Christian Wheeldon berichtet über all diese Ereignisse ausführlich. Man erfährt auch, dass die Gitarrenlehrerin von Manuel Göttsching Frau Scheibitz hieß, und dass der alte Krautrocker gegenüber einem Schweizer Magazin einmal angab, einer seiner Lieblingssongs stamme ausgerechnet von den Backstreet Boys.

Was Manuel Göttschings Lebensgeschichte von der der meisten Krautrocker seiner Generation unterscheidet, ist die Tatsache, dass er bei Anbruch der Achtziger nicht als Freak von gestern galt, dessen beste Zeit hinter ihm lag, sondern dass sein Hauptwerk erst noch entstehen sollte. Nämlich die Platte „E2-E4“.

Die Musik dieses Werks entstand 1981, Göttsching wollte, so sagte er einmal, für sich selbst auf die Schnelle etwas aufnehmen, was er auf dem Walkman während eines Fluges hören konnte. Er ging also in sein Berliner Studio, verwendete nicht mehr als „zwei Akkorde, bestimmte Bässe, Drums und eine Solomelodie auf der Gitarre“, wie er erzählt, ließ das Tape eine Stunde lang mitlaufen, und fertig war die Platte, von der es heute heißt, sie habe Techno und House vorweggenommen und die in jeder ernst zu nehmenden Liste der „100 Platten, die Sie hören müssen, bevor Sie sterben“ auftaucht.

Göttsching war zu der Zeit von „E2-E4“ längst von Minimal-Komponisten wie Terry Riley und Philip Glass beeinflusst, seine Komposition nennt er selbst eine „Brücke zwischen Minimal Music und Elektronik“. Veröffentlicht wurde „E2-E4“ freilich erst drei Jahre nach seiner Entstehung, zu ungewöhnlich und damit unverkäuflich schien die Platte zunächst. Und als sie dann doch herauskam, dauerte es auch noch eine Weile, bis der Kult um sie entstand, der bis heute fortbesteht.

„Im Ausland gab es so eine extreme Musik wie die unsere einfach nicht“

Manuel Göttsching über die frühen Krautrock-Jahre

„ ‘Das ist Muzak und durch nichts zu entschuldigen‘ schrieb die Zitty damals“, erzählt Göttsching und wirkt auch heute, 35 Jahre später, immer noch ein wenig erschüttert über dieses Urteil. „Die schrieben, ich hätte die Entwicklung der elektronischen Musik in den letzten Jahren nicht mitbekommen und ich sollte mich doch mal an so Bands wie Human League und Depeche Mode halten.“ Jahre später, so berichtet er, habe sich die Zitty öffentlich für ihre Fehleinschätzung entschuldigt.

Meisterwerk ganz nebenbei

Die Geschichte vom nebenbei entstandenen, erst verkannten, dann verehrten Meisterwerk ist zu gut, um sie nicht stets neu zu erzählen. Auch dank ihr gilt Göttsching heute als Soundvi­sio­när, mit dem auch junge Musiker ­zusammenarbeiten wollen. Gerade erst komme er von Proben mit einer dänischen Band, erzählt Göttsching, mit der er die Musik seiner Platte „Inventions For Electric Guitar“ neu erarbeitet hat. Und erst vor Kurzem hat er mit dem amerikanischen Pop-Tausendsassa Ariel Pink zusammen gespielt. Auf einem Konzert haben sie die Ash-Ra-Tempel-Platte „Schwingungen“ aufgeführt. Vorab wollte Göttsching Ariel Pink Noten zukommen lassen, aber der meinte nur: Muss nicht sein, ich kenne die Platte auswendig.

Göttschings Musik trifft immer noch einen Nerv, und er weiß auch, wieso: „Es ist für junge Leute heute einfach interessant, zu merken, mit was für einfachen Mitteln wir damals Musik gemacht haben. Mit einer ollen Orgel, ein bisschen Echo und ein paar Knöpfchen, die wir gedreht haben.“