Pistorius ist des Mordes schuldig

SÜDAFRIKA Das oberste Berufungsgericht des Landes sieht eine Absicht bei den tödlichen Schüssen des amputierten Sprinters auf seine Freundin. Nun drohen dem einstigen Idol bis zu 15 Jahre Haft

Nach dem ersten Urteil am 21. Oktober 2014: Oscar Pistorius wird in seine Zelle geführt Foto: Herman Verwey/ap

Aus Johannesburg Martina Schwikowski

Südafrikas ehemaliger Sportstar Oscar Pistorius ist am Donnerstag in einem Berufungsverfahren wegen Mordes an seiner Freundin Reeva Steenkamp verurteilt worden. Das Strafmaß für den 29-jährigen Leichtathleten wird jetzt neu festgesetzt. Pistorius drohen 15 Jahre Haft. In der Vorinstanz im Oktober 2014 war Pistorius nur wegen fahrlässiger Tötung und fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Knapp ein Jahr verbrachte der Behindertensportler hinter Gittern, dann stand er wegen guter Führung unter Hausarrest, den er in der Luxusvilla seines Onkels in Pretoria verbrachte.

Aber für Richter Eric Leach am obersten Berufungsgericht in Bloemfontein war der Sachverhalt nach vierwöchiger Prüfung des Urteils eindeutig: Pistorius hätte die fatalen Auswirkungen seiner Tat voraussehen müssen – er habe also in krimineller Absicht gehandelt. Fünf Richter hatten das erstinstanzliche Urteil gegen den Exsportler geprüft und waren sich in der Schuldfrage einig.

Der einstige Held der südafrikanischen Sportwelt hatte am Valentinstag 2013 seine Freundin nachts mit vier Schüssen durch eine geschlossene Badezimmertür in seinem Haus in Pretoria getötet. Das 30-jährige Model kauerte hinter der Tür und starb an seinen Verletzungen. Der Richter erklärte, Pistorius sei im Umgang mit Waffen gut trainiert gewesen und habe nie eine plausible Erklärung für seine Tat abgegeben. Er bewertete Pistorius’ Zeugenaussage als „schwankend und unwahr“, denn er habe voraussehen können, dass die Person hinter der Tür verletzt werde. In dem spektakulären Verfahren blieb damals offen, warum Pistorius nicht nur einen, sondern vier Schüsse auf ein kleines Badezimmer gefeuert hat, aus dem niemand entkommen konnte.

Der Sprintstar hatte im Prozess stets behauptet, er habe hinter der Tür einen Einbrecher vermutet. „Die Identität des Opfer ist irrelevant für seine Schuld“, sagte jetzt der Richter. Damals hatte das Gericht jedoch die Version des Angeklagten akzeptiert. Die Richterin ließ zu, dass der Staatsanwalt in Berufung geht. Der in der Vorinstanz zuständige Staatsanwalt Gerrie Nel hatte den von Pistorius dargestellten Tathergang stets bezweifelt und dem Prothesensprinter eine Mordabsicht unterstellt. Die jetzige Verurteilung wegen Mordes der Kategorie Dolus eventualis ähnelt dem deutschen Straftatbestand des Totschlags. In Pistorius’ Fall könnten mildernde Umstände wie seine Amputation geltend gemacht werden. Viele Südafrikaner hatten das erste Urteil als zu milde angesehen und debattieren jetzt erneut die Frage des Strafmaßes wegen Mordes an seiner Freundin.

Das Drama um den jungen, einst in Südafrika verehrten Sportler schlägt erneut Wellen und wird selbst vom Gericht als menschliche Tragödie nach Skakespeare bezeichnet: „Ein junger Mann überwindet große physische Behinderungen, um als Athlet zu olympischen Höhen aufzusteigen; er siegt und wird eine international gefeierte Persönlichkeit, er trifft eine junge Frau von großer natürlicher Schönheit, ein erfolgreiches Model, die Romanze blüht und dann – ironischerweise am Valentinstag – wird alles zerstört, als er ihr das Leben nimmt“, sagte Richter Leach im voll besetzten Saal des obersten Berufungsgerichts. Reeva Steenkamps Vater hatte nicht viele Worte zu dem Urteil wegen Mordes für Oscar Pistorius: „Wir können jetzt mit unseren Leben fortfahren – es ist vorbei.“