"Schlicht überfordert"

Hilfe Dass Flüchtlinge am Lageso auch mit Willkür rechnen müssen, liegt vor allem am Personalmangel dort, meint Helferin Karin Windt

Karin Windt

48, ist selbstständige Unternehmerin. Seit August aktiv in der Initiative Place4Refugees, Mitgründerin von Baladna, einer Beratungsinitiative von und für Menschen aus Syrien.

taz: Frau Windt, Sie begleiten Flüchtlinge auf Termine zum Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Was erleben Sie dort?

Karin Windt: Das ist ganz unterschiedlich, vor allem erleben wir, dass Flüchtlinge, die einen Termin haben, selbst dann, wenn auf der Terminkarte steht: „Zutritt gewährleisten“, nicht hineinkommen. Wenn sie eine deutsche Begleitung haben, geht das. Das hängt auch immer von der jeweiligen Ordnungskraft ab.

Das klingt ziemlich willkürlich.

Ja, teilweise ist das leider so. Noch ein Beispiel: Vergangene Woche wurde einer Familie bei der Auftragsannahme die rote Terminkarte abgenommen. Die Begründung war, dass sie eine neue, blaue Karte erhalten würde. Die rote Karte, also die für Personen in den ersten Monaten, die noch verpflichtet sind, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, sei nicht mehr notwendig. Später erhielt der Familienvater am Lageso keine Wartemarke – mit der Begründung, er hätte seine rote Terminkarte nicht. Er solle zurück ins Haus und sich seine rote Karte wiederholen. Doch ohne die wurde er auch nicht mehr ins Haus gelassen. Erst später gab man ihm doch eine Marke. Er wurde an dem Tag aber nicht mehr aufgerufen.

Woran hakt es nach Ihrem Eindruck beim Lageso am meisten?

Personalmangel. Die meisten sind schlicht überfordert. Viele arbeiten sehr engagiert und teilweise über ihre Arbeitszeiten hin­aus. Insgesamt sind es aber zu wenige Leute. Es wurde viel zu lange versäumt, die Personalbestände aufzustocken.

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Lageso-MitarbeiterInnen und Security?

Es gibt Probleme bei der Kommunikation zwischen Lageso und Security. Ich habe bis vor drei Wochen noch erlebt, dass Sachbearbeiter gezwungen waren, aus dem vierten Stock nach unten zu gehen, um einen Flüchtling persönlich abzuholen, weil er von der Security nicht durchgelassen wurde.

Wo leben die Flüchtlinge, die Sie betreuen?

In Gemeinschaftsunterkünften, Turnhallen, Hostels, das kann alles Mögliche sein.

Wie sind die Zustände dort?

Das variiert, es gibt echt miese Hostels, die den niedrigsten Standard gerade noch so aufrechterhalten. Es gibt aber auch gute Hostels, wo die Betreiber ohne Bezahlung die Wäsche für die Geflüchteten waschen. Insgesamt läuft es auch relativ kulant, sodass die Betreiber die Leute nicht sofort rausschmeißen, wenn sie eine Woche nicht ihre Kostenübernahmeverlängerung vom Amt kriegen. Da seit Neuestem wegen zu hoher Kosten keine Hostelgutscheine mehr verteilt werden, landen die Flüchtlinge jetzt vermehrt in den Notunterkünften.

Wie lange warten die Menschen dort auf ihre Registrierung als Flüchtlinge?

Teilweise Wochen. Das Schlimme ist, dass die Heimbetreiber oft gar nicht wissen, was sie ihren Gästen sagen sollen, wann überhaupt mal ein Bus ankommt, um die Flüchtlinge zur Regis­trierungsstelle zu fahren.

Funktioniert die Kommunikation zwischen den Betreibern der Notunterkünfte und dem Lageso?

Nein. Es gab Fälle, wo dem Lageso zehn freie Plätze gemeldet und dann 30 Leute geschickt wurden. Dann muss der Betreiber 20 von den 30 Leuten wegschicken. Das heißt, sie müssen zum Lageso zurück. Wenn sie Glück haben, kommen sie dann in der temporären Notunterkunft gegenüber dem Lageso unter. Wenn nicht, sind sie obdachlos für diese Nacht.

INTERVIEW Nadim Chahrour