Die Wahrheit: Des Kalifen schwarzer Schatten

Mehr als Tausendundeine Nacht: Ein magisches Märchen vom Leben und der Liebe in Zeiten des „Islamischen Staates“.

Foto: Dorthe Landschulz

Höret also die Geschichte, die ich euch zu erzählen habe! Höret vom Schicksal zweier Liebender, die sich unter der Wüstensonne Syriens trafen, am Hofe des mächtigen Kalifen zu Rakka. Höret von den Ereignissen, die vielleicht wahr sind oder vielleicht auch nicht – nur Allah ist allwissend, wir Menschen sind schwach und blöde. Außerdem neigen wir zu Übertreibung und Lüge, wenn uns fad wird.

Aber höret nun die Geschichte vom gewitzten Todenhöfer und seiner übergroßen Liebe. Nicht von seiner übergroßen Liebe zu den Mordbrennern des Kalifats, der er wohl schon manches Schriftlein gewidmet hat, sondern von seiner unsterblichen Liebe zur lieblichen Scheherezade. Der Todenhöfer war ein Mann, dessen Weisheit und Herrlichkeit nur von der des Lawrence von Arabien übertroffen wurde, weswegen sich der Pfiffikus auf Orientreisen als ebenjener zu verkleiden pflegte. Angetan mit blinkendem Monokel und gestärkten Breeches ritt der Todenhöfer also auf seinem Lieblingskamel Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah in der Hauptstadt des Kalifen ein und pfiff dabei gar ein fröhlich Liedlein, auch wenn der Weg kein leichter war, sondern vielmehr steinig und schwer.

Die Schergen des Kalifen aber waren bass erstaunt, den alten Lawrence bei so guter Gesundheit zu sehen und freuten sich. Für einen Moment vergaßen sie sogar das Kreuzigen und Köpfeabhacken. Der tapfere Todenhöfer aber sprach: „Bringt mich zu eurem Anführer!“, denn diesen Satz hatte er oft vor dem Fernseher geübt und konnte ihn sogar mit britischem Akzent aufsagen.

Der mächtige Kalif, der grausam war wider seine Untertanen und Sklavinnen und grausam war wider die Ungläubigen, wider die Fremd-, Fehl- und Falschgläubigen, der eigentlich jeden zu massakrieren trachtete, der nicht bei drei auf seinem Gebetsteppich hockte, schloss den Todenhöfer gleich in sein finsteres Herz. Denn er erkannte in ihm einen wahren Gläubigen – keinen Rechtgläubigen zwar, aber immerhin einen Leichtgläubigen. Und nachdem der Kalif seinem neuen Haustier die schönsten Enthauptungsvideos seines letzten Fronturlaubs gezeigt hatte, gestattete er ihm allergnädigst, ein Buch anzufertigen über das lustige Leben unter dem Größten Kalifen aller Zeiten.

Ein Mann von Weisheit

Das Werk wurde bekanntlich ein großer Erfolg im Abendland, doch als der Vorschuss verjuxt war, beschloss Todenhöfer schweren Herzens, noch einmal das Kalifat zu besuchen, da er Material für einen Nachfolgeband (“111 Orte im IS, die Sie keine fünf Minuten überleben werden“) brauchte.

Als Todenhöfer eines Abends in froher Runde an der Tafel des Kalifen saß und dem Unterhaltungsprogramm lauschte, das im Wesentlichen aus dem schaurigen Schärfen der Enthauptungsschwerter bestand, sah er aus den Augenwinkeln einen schwarzen Schatten über den Hof huschen, dem der unerschrockene Orientalist heimlich folgte, weil ihm arg langweilig geworden war. Denn seien wir ehrlich: Von der leichten Muse versteht der IS so wenig die ARD vom Eurovision Song Contest.

Keine zwei Tage später war der Todenhöfer in inniger Liebe zu diesem Schatten entbrannt, denn unter dem Gewand befand sich Scheherezade, das liebreizendste Wesen, das der Allerbarmer je geschaffen hatte. Das hatte jedenfalls eine wohlklingende Stimme behauptet, die aus den Tiefen des Gewandes zum Todenhöfer gesprochen hatte. Und da er ein Mann leichten Glaubens war, dachte er sich nichts weiter dabei. Außerdem war unser Todenhöfer der zirpenden Zikade vom Zikkurat bereits rettungslos verfallen.

1.000 Nächte freite der Todenhöfer um seine Schehere-zade, die den Reisenden allnächtlich mit immer neuen Liedern unterhielt, wiewohl das Singen am Hofe des grausamen Kalifen strengstens untersagt war, damit nichts die Gläubigen vom Unterhaltungsprogramm der schaurigen Schwerter ablenkte.

In der 1.000 und ersten Nacht aber forderte der Todenhöfer Scheherezade auf, ihren Schleier endlich fallen zu lassen, denn er war trotz allem ein Mann des Abendlandes und duldete nicht, dass die Weiber allzu geheimnisvoll taten.

Das geschenkte Lied

Wie groß war das Erschrecken unseres wackeren Todenhöfers, als daraufhin ein schäbig grinsender Kerl unter der Abaya hervorlugte, der sich als Naidoo der Wanderer vorstellte. Ein unbarmherziges Schicksal habe ihn durchgekaut und am Hofe des Kalifen ausgespien, wimmerte dieser Naidoo in seinem winselnd weinerlichen, aber dennoch tröstlich tremolierenden Tenor. Ein schurkischer Fernsehonkel habe ihn in diese Einöde geschickt, barmte der Barde, und dem Todenhöfer wurde bei diesem Klang ganz warm ums Herz. Der habe ihm gesteckt, näselte der Nölprinz noch und nöcher, dass der Kalif einen Sänger suche, der sein Reich beim nächsten großen Chansonistenauftrieb in Schweden vertrete. Ein richtiger Knaller mit ordentlich Wumms werde gesucht, da sei er doch genau der Richtige, habe der Fernsehonkel gesagt und ihn eilig zur Studiotür hinausgeschoben. Voller Hoffnung auf ein neues Zion sei er in den Orient aufgebrochen, nur um festzustellen, dass sich dieses verfluchte Rakka auch nicht groß von Mannheim unterscheide und ein Mann von guter Stimme und originellem Meinungsschatz hier wie dort rein gar nichts gelte.

So sprach Naidoo der Wanderer, und wie er geendigt hatte, standen dem Todenhöfer die Tränen in den Augen. „Scheiße, wieder nix mit Knutschen“, dachte er im Stillen, aber zum Naidoo sagte er: „Ei, ich bin wohl auch nicht der, für den ich mich ausgebe. Aber Schwamm drüber. Wenn du mir ein Liedlein schenkst, will ich sehen, was ich für dich tun kann.“ Der brave Todenhöfer pfiff also auf die lästige Recherche und tauschte Naidoo den Wanderer heimlich gegen sein Lieblingskamel Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah aus. Unter der Abaya würde niemand den Unterschied bemerken, und stimmlich waren die beiden ohnehin kaum auseinanderzuhalten.

Noch in derselben Nacht verließen die beiden neuen Freunde den Hofe des bösen Kalifen, denn nachdem sie ausgiebig Blutsbrüderschaft geraucht hatten, erkannten sie einander als Schwippschwager im schwachen Geiste und waren sich fortan herzlich zugetan.

Im Wolkenkuckucksheim

Naidoo der Wanderer aber schenkte dem guten Todenhöfer wie versprochen einen der schmalzigsten Schmuseschocker, der je die lasziven Lippen des leptosomen Lamentierers verlassen hatte. „Nie wieder Krieg (ich einen Major-Deal, und schuld daran ist bloß die verdammte Lügenpresse)“ hieß das Werk. Und Todenhöfer beeilte sich, alsbald Stadt und Erdkreis mit der Melodei zu beschallen, als ob es kein Morgen gäbe.

Und so gelang es Naidoo dem Wanderer schließlich doch noch, beim großen abendländischen Chansondings in Schweden mitzutun, denn manch Reichsbürger und Montagswächter fiel begeistert in den Gesang mit ein. Doch ist das Land, das er vertritt, nicht von dieser Welt. Er singt für das Wolkenkuckucksheim all jener Brüder und Schwestern, die da närrisch im Geiste sind, für die Beschallerten und Behämmerten, die Beknackten und Beklopften, die Knalltüten und Aluhutträger und vor allem für die Todenhöfer unserer Zeit.

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