„Eine Entlassung Czajas wäre das Ende der Koalition“

Das bleibt von der Woche Lageso-Chef Franz Allert tritt zurück – aber nicht Sozialsenator Mario Czaja, der Zoo stellt sich seiner NS-Vergangenheit, Michael Müller feiert einjähriges Dienstjubiläum als Regierender Bürgermeister, und der Klima-Gipfel in Paris wirft auch in der taz.berlin-Redaktion Fragen ganz persönlicher Art auf

Chefsache – aber ohne echten Chef

Flüchtlingsversorgung

Nein, lieber Regierender Bürgermeister Michael Müller, das reicht nicht

Nein, lieber Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), das reicht nicht. Mit dem von Ihnen am Mittwoch veranlassten Rücktritt von Franz Allert, Chef des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), wird sich die Situation der Flüchtlinge in Berlin um keinen Deut verbessern. Wenn es Ihnen wirklich ernst wäre mit dem „Mentalitätswechsel“ im Umgang mit Flüchtlingen, den Sie kürzlich in Ihrer Regierungserklärung beschworen haben – dann hätten Sie den für das Chaos verantwortlichen Sozialsenator Mario Czaja (CDU) entlassen müssen.

Seit Monaten unternimmt der nämlich herzlich wenig, um die skandalösen Zustände am Lageso und bei der Unterbringung der Flüchtlinge zu verbessern. Warum ist es denn in Berlin, anders als in München, nicht möglich, dass neu ankommende Flüchtlinge auch nachts und am Wochenende re­gis­triert werden? Warum bestellt man jeden Tag 500 Menschen zum Amt, wenn man weiß, dass man nur 200 Termine abarbeiten kann?

Für immer mehr Menschen, nicht zuletzt die freiwilligen HelferInnen – ohne die es am Lageso vermutlich schon Tote gegeben hätte –, ist die Antwort klar: Dem CDU-Senator kommt es, wie vielen in seiner Partei, durchaus zupass, wenn die BürgerInnen plastisch und drastisch vor Augen geführt bekommen, dass ein „Flüchtlingsstrom“ das Land überfordert. Seht her, das ist eben „nicht zu schaffen“.

Warum Michael Müller als Chef des Senats dem CDU-Kollegen diese Propagandapolitik durchgehen lässt, liegt auf der Hand. Eine Entlassung Czajas wäre voraussichtlich das Ende der Koalition – und sooo wichtig sind Müller die Flüchtlinge dann doch nicht. Da nimmt er schon lieber in Kauf, dass auf dem Rücken geplagter Geflüchteter Abschreckungspolitik gemacht wird. Susanne Memarnia

Aktien bleiben, wo sie sind

NS-Vergangenheit des Zoos

Dauerkarten für den Zoo wären das Mindeste, was Betroffene erwarten können

Der Berliner Zoo ist berühmt, nicht nur für seine vielen Tierarten, auch für seine Geschichte. Er wurde 1844 als erster Zoo Deutschlands eröffnet. Weniger rühmlich war das Verhalten der Zooleitung im Dritten Reich: Die drängte Juden aus dem Aufsichtsrat, jüdische Miteigentümer – der Zoo ist eine Aktiengesellschaft – wurden quasi enteignet, sie mussten ihre Aktie für wenig Geld abgeben. Ab 1939 durften Juden den Zoo schließlich nicht mal mehr besuchen.

Lange hat der Zoo keinen offensiven Umgang mit diesem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit gefunden. Das soll sich nun ändern: Am Montag verkündete Zoo-Chef Andreas Knieriem, im Antilopenhaus eine Dauerausstellung zur Geschichte des Zoos mitsamt ihren Tiefpunkten einrichten zu wollen. Die BesucherInnen sollen über die NS-Vergangenheit aufgeklärt werden. Außerdem soll es ab 2016 ein Stipendienprogramm geben für Promo­tions­studenten aus Israel.

So weit, so gut. Die Nachfahren ehemaliger jüdischer Aktienbesitzer dürften trotzdem enttäuscht sein. Denn sie werden auch in Zukunft leer ausgehen. Eine materielle Entschädigung – in welcher Form auch immer – soll es für sie nicht geben, bestätigte Knieriem auf Nachfrage. Die Aktien zurückzugeben sei juristisch nicht möglich, schließlich gehörten sie anderen Privatleuten und nicht dem Zoo. Viele Dokumente seien im Krieg zudem zerstört worden und Einzelfälle insofern schwer nachzuvollziehen.

Bei der Pressekonferenz am Montag sprach der Zoodirektor mehrfach davon, dass sie nach „einer Geste der Wiedergutmachung“ gesucht hätten. Ist es ihm damit ernst, dann sollte er bei den jetzt beschlossenen Maßnahmen nicht stehen bleiben. Wenn tatsächlich kein Geld erstattet werden sollte, wäre eine Dauerkarte für den Zoo das Mindeste, was die Betroffenen erwarten können.

Antje Lang-Lendorff

Müller – und sonst leider nichts

Ein Jahr im Amt

Die linke Opposition hatte eigentlich alle Zeit, sich ordentlich aufzustellen

Man reibt sich ein bisschen verwundert die Augen, aber tatsächlich ist Michael Müller bereits seit einem Jahr Regierender Bürgermeister dieser Stadt. Am Donnerstag, gleichzeitig der Tag der Haushaltsdebatte – also der Generalabrechung der Parteien untereinander –, durfte der SPD-Politiker sein erstes Dienstjubiläum feiern. Dass es nicht das letzte war, ist ziemlich sicher, aber nicht allein sein Verdienst: Müller hat die SPD in den ersten Monaten im Amt auf 30 Prozent Wähleranteil getrieben; auch, weil es in den anderen Parteien schlicht und einfach kein Personal von ähnlichem Format gibt.

Was durchaus etwas heißen will, den so eine große Lichtgestalt ist der 51-Jährige nun auch wieder nicht. Und dass die Stadt keine drängenden Probleme mehr habe unter Müller, widerlegt schon jeder Blick aufs Landesamt für Gesundheit und Soziales (siehe Spalte links).

Aber die CDU-Senatoren haben es in vier Jahren Regierungsbeteiligung geschafft, sich entweder durch weitgehende Inkompetenz auszuzeichnen oder durch komplettes Abtauchen. Ein Jahr vor der Wahl, so wünschen es sich seine Kritiker in der Union, soll statt Parteichef und Innensenator Frank Henkel nun lieber der Generalsekretär Kai Wegner die Partei in den Kampf führen. Kai wer? Genau.

Die linke Opposition hatte eigentlich alle Zeit gehabt, sich ordentlich aufzustellen. Aber auch hier weiß man nicht, wen man sich anstelle von Müller jetzt oder nach der Wahl im September im Roten Rathaus wünschen sollte: Den Grünen fehlen der Esprit und die Leichtigkeit im Auftreten, der Linkspartei die Inhalte, den wenigen klugen Köpfen der Piratenfraktion kommt bald die Partei abhanden.

Am Ende muss Müller übrig bleiben, aus Mangel an Konkurrenz. Schade eigentlich: Denn Berlin soll ja so eine spannende Stadt sein! Bert Schulz

Das Öko-schwein in meinem Bad

Klima-Gipfel in Paris

Das Gewissen regt sich, wenn ich wieder die Einkaufstasche vergessen habe

Neulich hatte ich Besuch. Vom Klo kehrte eine der Besucherinnen mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen zurück. Ob in mir vielleicht „ein kleines Ökoschweinchen“ stecke, fragte sie und verwies tadelnd auf meinen neuen Wäschetrockner. Ich stotterte irgendwas von „so praktisch mit zwei kleinen Kindern“, „überall immer diese Wäscheständer“ und „Energieeffizienzklasse A+++“. Aber innerlich dachte ich: Verdammt, erwischt!

Natürlich war es eine taz-Kollegin, die mich für die Anschaffung des energiefressenden Großgebläses kritisierte. Und es war sozusagen mein professionelles Zeitungsgewissen, das sich daraufhin meldete (nicht nur, weil in Paris die Woche über das Klima gerettet werden soll). Dieses Gewissen regt sich manchmal, wenn ich doch lieber Kiwis aus Neuseeland, statt regionaler Äpfel in den Einkaufskorb packe. Oder die Kinder morgens mit dem Auto zur Schule und zum Kindergarten bringe, weil mit dem Fahrrad sonst die Zeit wieder nicht reicht. Oder schon wieder die Einkaufstasche vergessen habe und eine Plastiktüte brauche.

Dabei bin ich keineswegs eine besondere Ökosünderin. In unserem Freundeskreis sind wir als Familie mit nur einem benzinsparsamen Auto und weitgehendem Verzicht auf Flugreisen sogar eher vorbildlich. Freunde von uns haben gerade eben ihren zweiten Langstreckenflug in diesem Jahr gebucht und dann doch eins der ganz dicken Autos gekauft – damit alle Kinder Platz haben. Ein anderes Paar, das gerade Zwillinge bekommen hat, diskutiert noch über das richtige Modell. Aber dass sie sich eine große Familienkutsche anschaffen, steht außer Frage. Aus umweltschutzpolitischen Gründen den eigenen Lebensstil einzuschränken oder die Urlaubsziele zu modifizieren, das käme von meinen Freunden wirklich niemandem in den Sinn. Dabei sind das gut ausgebildete und keineswegs ignorante Leute.

Es ist schon komisch: Sogar Angela Merkel gibt die Klimakanzlerin, die Allianz kehrt der Braunkohle den Rücken, und in Berlin gibt es neuerdings städtischen Ökostrom. Das öffentliche Klima ist pro öko. Aber soll ich jetzt Freunde dafür kritisieren, wenn sie mir, vor ihrem gemütlichen neuen Kaminofen sitzend, von ihren Fernost-Reiseplänen erzählen? „Kleines Ökoschweinchen“ und so? Vielleicht mache ich das tatsächlich. Der Kollegin bin ich ja auch nicht böse – und schalte den Trockner seither weniger häufig ein als sonst. Nina Apin