American Pie
: Ballett im Bienenstock

BASKETBALL Nach dem NBA-Startrekord von 19 Siegen in Folge trauen viele den Golden State Warriors weitere Bestmarken zu. Bei der Konkurrenz wächst derweil der Ehrgeiz, erster Serien­siegerbesieger zu werden

Nun also die Charlotte Hornets. Sie sind die nächsten Kandidaten, die die unheimliche Siegesserie der Golden State Warriors beenden könnten. Wenn sie denn können. Das wird sich heute Abend zeigen in „The Hive“, wie die Arena der Basketball-Hornissen in der Innenstadt von Charlotte genannt wird. Im Bienenstock vor vermutlich 19.000 Zuschauern steht einiges auf dem Spiel, NBA-Historie nämlich.

Mit 19 Siegen am Stück ist der amtierende Meister aus der kalifornischen Arbeiterstadt Oakland in die neue Saison gestartet. Das hat noch keine Mannschaft in der 69-jährigen Geschichte der nordamerikanischen Profiliga geschafft. Der alte Rekord war 15 Starterfolge, aufgestellt 1993 von den Houston Rockets um Hakeem Olajuwon. Mancher Experte traut den Warriors nun zu, auf dem Weg zur Titelverteidigung gar den Rekord der legendären Mannschaft der Chicago Bulls aus der Saison 1995/96 zu brechen: Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman und ihre Kollegen gewannen damals unglaubliche 72 von 82 Saisonspielen und spazierten in den Playoffs zur Meisterschaft. Steve Kerr, der damalige Distanzscharfschütze der Bulls, trainiert heute die Warriors, die den Rekord zu brechen drohen.

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Aktuell muss sich Golden State und ihr Superstar Stephen Curry jeden Spieltag auseinandersetzen mit einer neuen, hochmotivierten Mannschaft, die heiß darauf ist, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen als das Team, das die historische Siegesserie beendete. Während sonst in der langen regulären Saison in vielen Spielen erst einmal herumgedaddelt und erst im letzten Viertel, wenn es um den Sieg geht, die Intensität hoch gefahren wird, trifft Golden State mittlerweile stets auf Gegner, die von der ersten Sekunde an voll bei der Sache sind. Letztes Beispiel: Am Montag bei Utah Jazz wurde es beim 106:103-Erfolg richtig eng. Das im Mittelfeld liegende Team, krasser Außenseiter gegen den amtierenden Meister, „hat von Anfang bis Ende gekämpft und alles versucht“, stellte Draymond Green nach der Partie fest. „Für sie war es ein großes Spiel.“ So wie für alle Gegner, bis die sagenhafte Serie ein Ende gefunden hat.

Green ist ein Wühler unter dem Korb, der Arbeiter in einem Team voller Künstler, die allabendlich ein beeindruckendes Schauspiel aufführen: Ein Ballett aus federleichten Dribblings, verwirrenden Passstaffetten und makellosen Dreipunktewürfen. So perfekt aber alles ineinander greift, die Warriors wirken ihrem martialischen Namen zum Trotz eher wie ein Haufen gut gelaunter Kids, die nach der Schule auf dem Freiplatz ein bisschen Spaß haben. Legendär sind mittlerweile die Filmchen mit platten Witzen, die sie in diesem Frühjahr auf dem Weg zur Meisterschaft im Team-Flugzeug aufnahmen und im Netz posteten. „Wir verstehen uns abseits des Platzes gut, wir sind Freunde, die bei Auswärtsspielen zusammen ins Kino gehen“, erklärt Green den außergewöhnlichen Zusammenhalt, „und das zeigt sich auch auf dem Platz. Wir streiten nicht, wir halten zusammen.“

Die Warriors wirken trotz ihres martialischen Namens eher wie gut gelaunte Kids

Konzipiert wurde das Ballett von Steve Kerr. Wie gut einstudiert es ist, sieht man auch daran, dass der Cheftrainer nicht einmal an der Seitenlinie steht. Dort wird Kerr immer noch von seinem Assistenten Luke Walton vertreten, nachdem er zu Beginn der Saison am Rücken operiert wurde.

Sollte die perfekt geölte Maschine dann doch einmal ins Stottern geraten, so wie am Montag in Salt Lake City gegen aufopferungsvoll verteidigende und kämpfende Utah Jazz, können sich die Warriors auf den 27-jährigen Curry verlassen, der irgendwann schon noch einen unmöglichen Wurf aus dem Hut zaubern wird. „Er ist unglaublich, er macht Sachen, die selbst mich noch überraschen“, sagt Green über den Shooting Guard, der in den vergangenen Playoffs einmal einen Dreier sogar mit geschlossenen Augen versenkte. Mittlerweile sind Curry und sein wandernder Basketballzirkus nicht mehr nur beliebt in Oakland, jener Insel der Ödnis mitten im bunten Kalifornien, sondern zu den Darlings des ganzen Landes geworden. Deshalb sind heute Nacht alle Augen auf den Bienenstock von Charlotte gerichtet.

Thomas Winkler