HOLLAND DROHT ZUM SCHLECHTEN VORBILD ZU WERDEN
: Missachtung der Opfer

Der Tod von elf Menschen ist tragisch. Vor allem, wenn sie wie die Gefangenen von Schiphol kläglich in Flammen und Rauch umkommen. Noch schlimmer ist allerdings, dass offensichtlich nicht alles getan wurde, um die Opfer zu retten. Wenn sich die Vorwürfe einiger Gefangener bewahrheiten, dass die Polizei die Zellentüren trotz der Hilferufe nicht aufgeschlossen hat, kann die niederländische Regierung diesen Vorfall nicht unter „tragischem Unfall“ verbuchen. Denn das würde bedeuten, dass die Sicherheit des Landes sogar vor Menschenleben geht und die Suche nach Entflohenen wichtiger war als die Rettung der Eingeschlossenen.

Diese Nachricht wäre das i-Tüpfelchen auf dem Niedergang des Vorbilds Holland. Bis vor einigen Jahren galt das Polderland als Hochburg für Toleranz und Integration, doch davon ist schon lange kaum noch etwas zu spüren. Bereits im Jahr 2000 hat die Regierung das Asylverfahren verschärft. Mehr und mehr Fälle werden in Schnellverfahren behandelt, die dem persönlichen Schicksal der Flüchtlinge oft nicht Rechnung tragen. Außerdem – so beschlossen Premier Balkenende und sein Team im Frühjahr 2004 – sollen bis 2007 knapp 30.000 Asylsuchende zurück in ihre Heimatländer gebracht werden; das ist eine der größten Rückführaktionen in Europa.

Die Niederlande kämpfen gegen Radikalisierung im eigenen Land und kümmern sich nur selten um die Opfer, die sie dabei hinterlassen. Der Mord am islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh vor ziemlich genau einem Jahr hat die Stimmung weiter erkalten lassen. Fremde, vor allem Muslime, werden von der Regierung und auch großen Teilen der Bevölkerung mehr und mehr als Bedrohung wahrgenommen. Als beste Möglichkeit, sich davor zu schützen, gilt die Schließung der Grenzen. Da hilft es auch nicht mehr viel, dass die Stadt Amsterdam mit einer Plakataktion für Toleranz wirbt und darauf hinweist, dass auch Muslime „ganz normale“ Menschen sind. Zu befürchten ist nun vor allem eines: dass die Niederlande – wie einst für ihre Toleranz – wieder zum Vorbild werden für andere europäische Staaten. Damit würden sich die Bedingungen für Flüchtlinge flächendeckend verschlechtern. CLARA ROSENBACH