Die Berliner Comicbibliothek Renate: Mehr Comics, als man essen kann

Die Renate ist in Deutschland einzigartig. Hier kommen Sammlertrieb, Bildungsauftrag, DIY-Begeisterung und der alte Berlin-Mitte-Geist zusammen.

Kinder sitzen bei einem Comiczeichenkurs um einen Tisch

Die nächste Generation ist bereit: Kinder beim Comiczeichenkurs in der Renate. Foto: Peter Auge Lorenz

An einer Stelle sieht man doch tatsächlich noch ein Stück Wand. Aber da kommt auch bald ein Regal hin. Drum herum stapeln sich – im Wortsinne bis unter die Decke: Comics. In Regalen, Kisten, Drehständern und Schubern, Klassiker wie „Krazy Kat“ genauso wie die vom Feuilleton so geliebten Graphic Novels, amerikanisches Underground-Zeug neben Mangas, finnischen Anthologien und B-Movie-Haftem, zu Recht vergessenen Abenteuercomics vergangener Jahrzehnte.

„Wir wollen schon jeden Comic mindestens einmal haben“, sagt Peter Lorenz, den hier alle Auge nennen. Er steht in der Renate – nicht der Wilden am Ostkreuz, sondern in der Comicbibliothek Renate in der Tucholskystraße, die in dieser Form in Deutschland einzigartig ist. Ein Ort, an dem Sammlertrieb, DIY-Begeisterung, Bildungsauftrag und der Geist der alternativen Kreativszene im Berlin-Mitte der 90er zusammenkommen.

17.000 Comics und einiges an Sekundärliteratur stehen in der Renate und lassen sich, abgesehen von ein paar nicht wiederbeschaffbaren Sammlerstücken, ausleihen. Rund 2.000 Bibliotheksausweisinhaber gibt es, von denen rund 100 zu den intensiven Nutzer zählen.

Der Altersschwerpunkt liege bei 18 bis 38 Jahren, das Geschlechterverhältnis bei fifty-fifty, sagt Auge Lorenz, Teil des zehnköpfigen ehrenamtlichen Betreiberkollektivs und als Einziger von Anfang an dabei. Zu den beliebtesten Büchern gehören moderne Klassiker wie Art Spiegelmans „Maus“ und Marjane Satrapis „Persepolis“, und Kinder lesen noch immer gern „Asterix“ oder „Lucky Luke“.

Inkubator der Berliner Indiecomic-Szene

Renate ist ein Inkubator der Berliner Indiecomic-Szene. Jeden ersten Montag im Monat versammelt sie Zeichner, Verlagsmenschen, Fanzine-Gründer oder einfach nur Fans zum Comic-Stammtisch. Bloß ohne Tisch. „Wir habe keine Sitzordnung, so wie sich ein Gesangsverein treffen würde“, sagt Lorenz. „Bei uns ist es zwanglos wie bei einer Stehparty.“ Neben Szeneklatsch gibt es für Nachwuchszeichner auch Tipps von Etablierten, unter anderem Mawil ist regelmäßig vor Ort.

Nachwuchsförderung betreibt die Renate zudem mit Zeichenworkshops für Kinder und Erwachsene und auf ihrer Webseite lassen sich Materialien für den Schulunterreicht downloaden. Dort findet sich ferner der Onlinekatalog der Bücherei. Besonders stolz ist Lorenz darauf, dass selbst die Fachartikel verschlagwortet sind. Um die Arbeit in der Renate zu verbessern, hat er von 2005 bis 2007 ein Fernstudium in Bibliothekswesen gemacht. Das hat ihm, neben den Verbesserungen im laufenden Betrieb, eine halbe Stelle im Kreuzberger Archiv der Jugendkulturen verschafft.

Peter Auge Lorenz

„Es sollen doch alle wissen, wie vielfältig und toll Comics sind, was die alles können, wie viele verschiedene Arten von Ernst, Trauer, Burleskem, Lustigem, Analytischem dort möglich sind“

2013 hat Auge Lorenz den ersten Teil seiner DDR-Erinnerungen „Das Land, das es nicht gibt“ im kleinen Berliner Jaja-Verlag veröffentlicht. Fast alle aus dem Betreiberkollektiv zeichnen selbst Comics, ihre und andere Eigenkreationen aus dem Renate-Umfeld werden im Eingangsbereich verkauft, dazu Sieb- und Kunstdrucke, Postkarten, Indie-Berlin-Souvenirs. Der Shop generiert den Löwenanteil der Renate-Einnahmen aus, nicht die lächerlich geringen Bibliothekssbeiträge (12 Euro pro Jahr, 5 Euro für Kinder).

Und dann gibt es noch das Magazin Renate, mit dem alles begann – ein Fanzine im Eigenverlag mit Kurzcomics von befreundeten Künstlern, das etwa einmal jährlich erscheint, bis heute: Die 22. Ausgabe hatte das schöne Thema „Waschbären“.

ABM-Gelder als Startkapital für 2.000 Comics

Gegründet hatten es unter anderem die Zeichner ATAK und CX Huth in der Abenddämmerung der DDR. Aus ihrem Kreis, zu dem bald auch Auge Lorenz gehörte, entstand auch die Idee einer Bibliothek. „Es sollten doch alle wissen, wie vielfältig und toll Comics sind, was die alles können, wie viele verschiedene Arten von Ernst, Trauer, Burleskem, Lustigem, Analytischem dort möglich sind“, formuliert Lorenz den Auftrag, der bis heute gilt. Am 19. September 1991 nahm die Comicbibliothek ihre Arbeit auf. „Damals gab es ja ABM-Stellen für jede Gelegenheit im Osten, damit die Leute sofort glauben, dass die blühenden Landschaften auch wirklich stattfinden“, sagt Lorenz. Und so konnte die Renate gleich einen Grundstock von 2.000 Titeln ankaufen.

Tucholskystraße 32, Berlin; Öffnungszeiten: Mo.–Mi. 14–20, Fr. 14–19, Sa. 13–18 Uhr; Stammtisch: jeweils am 1. Montag im Monat um 20 Uhr; Comickurs für Kinder: jeden Donnerstag, 16.30 Uhr

Heute spielen Schenkungen, etwa von Sammlern, die wichtigste Rolle. Dank Spenden aus Verlagen, Comicpreis-Jurys und Journalisten sind auch viele aktuelle Titel verfügbar. Nicht alles wird angenommen, Karikaturenbände, und Kinderbücher etwa: „Die haben auch Bilder, aber funktionieren erzählerisch anders“, sagt Auge Lorenz.

Schafft er es eigentlich noch, alle Comics zu lesen? „Nein. Das ging nur ungefähr bis zum Jahr 2000“, sagt Auge Lorenz. „Aber in die Hälfte unserer Bücher habe ich mindestens reingeschaut.“

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