„Jetzt erst recht!“

KARNEVAL Braunschweigs Narren trotzen dem Terror: Nach der Absage ihres Zugs im Februar wollen sie im kommenden Frühjahr noch bunter und lustiger feiern und so ein Zeichen setzen für "Weltoffenheit und Toleranz". Mit dabei sind deshalb Bischöfe – und Vertreter der muslimischen und der jüdischen Gemeinde

Ein tiefschwarzer Tag war der 15. Februar diesen Jahres für Braunschweigs Narren: Um Punkt 12.40 Uhr wollten sie die Macht in der zweitgrößten Stadt Niedersachsens übernehmen. Gegen 10 Uhr aber bekommt Gerhard Baller, Zugmarschall des Karnevalskomitees, einen Anruf von Polizeipräsident Michael Pientka. „Kommen Sie ins Präsidium“, sagt der. Und: „Stellen Sie keine Fragen.“

„Eine Absage unseres Festumzugs habe ich mir gar nicht vorstellen können“, sagt Baller neun Monate später. Immerhin zieht der „Schoduvel“ genannte Braunschweiger Karneval jedes Jahr rund 250.000 Menschen an – der Zug ist der viertgrößte Deutschlands. Doch Polizeipräsident Pientka berichtet schnell: Ein „vertrauenswürdiger Informant“ habe vor einem „schädigenden Ereignis auf dem Altstadtmarkt“, also mitten in der Stadt gewarnt, erzählt der Zugmarschall heute. „Ich habe sofort an eine Bombe gedacht, gezündet während der Live-Übertragung durch das Fernsehen.“

Polizei und Festkomitee hätten nur mit einer Absage reagieren können – das sieht Baller noch heute so. „Stellen Sie sich vor, es wäre etwas passiert, und wir hätten die Menschen nicht gewarnt“, sagt er: „Die Sicherheit geht doch vor!“

Allerdings: „Riesig“ sei die Enttäuschung der Narren gewesen, sagt der Karnevals-Organisator. Eine große Mannschaft habe das ganze Jahr gearbeitet. „Und wir waren doch mitten in der Session! Wir hatten drei Prunksitzungen gefeiert – und dann wurde uns mit dem Zug der Höhepunkt gestohlen!“

Baller, bis zu seiner Pensionierung Vizekanzler der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste, war allerdings nicht überrascht, als Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft drei Monate später in die Defensive gerieten: „Die Ermittlungen“, so Staatsanwalt Jörg Fröhlich damals, „haben nicht ergeben, dass ein Anschlag konkret geplant war.“ – „Wenn man so einen Zug absagt, findet man auch keine Spuren möglicher Attentäter“, meint Baller heute.

Nachdenklicher gibt sich der Sprecher des Karnevalskomitees, Jürgen Buchheister: Mittlerweile gebe es leitende Polizeibeamte, die die Absage hinter vorgehaltener Hand als überzogen einschätzten. Als ehemaliger Polizist, der für die SPD neun Jahre im Landtag saß, hat Buchheister gute Kontakte. Im Nachhinein sei so etwas leicht gesagt, findet auch er. „Aber das auch hochrangige Polizeiführer dieser Meinung sind, irritiert schon.“

Doch trotz der Anschläge in Paris, trotz der Absage des Fußball-Länderspiels gegen die Niederlande in Hannover soll es im kommenden Februar auf jeden Fall wieder einen Karnevalsumzug in Braunschweig geben. „Jetzt erst recht“ ist dessen Motto. Auf mehr Wagen als je zuvor werden nicht nur Bischöfe mitfahren, sondern auch Schiiten, Aleviten, Sunniten und Jesiden. Auch ein Vertreter der jüdischen Gemeinde ist eingeladen.

„Volles Vertrauen in die Sicherheitsbehörden“ sei da, sagt Komiteesprecher Buchheister. Und Zugmarschall Baller juxt, die Terrorwarnung habe den „Schoduvel“ erst weltweit bekannt gemacht. Allerdings: Sollte der Zug auch 2016 ausfallen – „dann ist Braunschweigs Karneval tot“. WYP