Flüchtlinge verklagen Lageso

Sozialgericht Wochenlang warten viele Flüchtlinge auf die Auszahlung ihrer Leistungen. 50 von ihnen haben nun gemeinsam Eilanträge gestellt

Die wenigsten Flüchtlinge wissen, dass sie ihre Leistungen einklagen können

Fünf Nächte am Stück hat Ali R. bei Regen und Kälte in der Warteschlange vor dem Lageso gesessen – jede Nacht in der Hoffnung, am Morgen eine der begehrten vorderen Warte­nummern ergattern zu können, um im Laufe des Tages die Kostenübernahme für einen weiteren Monat in der Notunterkunft ausgestellt zu bekommen. Fünfmal wurde er abends wegen Überfüllung abgewiesen, berichtet R., der in Wirklichkeit anders heißt, fünfmal kam er nachts wieder. Dann konnte er nicht mehr.

Am Dienstagmorgen steht Ali R. zusammen mit zehn weiteren syrischen Männern vor dem Sozialgericht nahe dem Hauptbahnhof. Nach und nach kommen mehr dazu, am Ende sind es 56. Alle wollen einen Eilantrag auf sofortige Kostenübernahme oder auf Auszahlung ihres Taschengelds stellen.

Zum zweiten Mal hat der Verein „Be an Angel“ zu dieser Aktion aufgerufen, dieses Mal zusammen mit der Initiative „Moabit hilft“. Neben den OrganisatorInnen sind ehrenamtliche HelferInnen anderer Vereine sowie Arabisch-DolmetscherInnen gekommen.

Viele Flüchtlinge hier haben Ähnliches erlebt wie Ali R. Ein junger Mann schildert, wie er viele Male nachts vergeblich mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern vor dem Lageso ausgeharrt hat. „Das letzte Mal war unser jüngstes krank, wir hatten sogar eine Krankmeldung dabei. Aber das hat dort niemanden interessiert“, lässt er durch seinen Dolmetscher mitteilen. Ein anderer erzählt von seiner Frau, die im neunten Monat schwanger sei. Mehrfach habe er beim Lageso um die Verlegung von der überfüllten Turnhalle in eine feste Unterkunft gebeten, sei aber nie zu einem Sachbearbeiter durchgelassen worden.

Theoretisch könnte jeder Geflüchtete, der zu seinem Termin am Lageso erschienen ist und nicht an die Reihe kam, jederzeit selbst zum Gericht kommen und einen Eilantrag stellen. Von dieser Möglichkeit wüssten aber nur die Wenigsten, erklärt Tanya Neufeldt von „Be an Angel“. Gemeinsam mit anderen HelferInnen hat sie deshalb vor dem Lageso mit Flugblättern auf die Aktion aufmerksam gemacht. „Wir erklären den Menschen, dass sie in Deutschland ein Recht auf Grundversorgung haben und dass sie dieses Recht einklagen dürfen“, berichtet Neufeldt.

Gerade für Flüchtlinge, die in Hostels untergebracht sind, sei es ein großes Problem, wenn die Leistungen zu spät ausgezahlt werden: „Manche Hostelbetreiber schmeißen die Leute sofort raus, sobald die Kosten nicht mehr gedeckt sind. Wir mussten schon einige Menschen in Privatwohnungen unterbringen, die auf diese Art obdachlos geworden sind.“

Nach circa einer halben Stunde kommt Bewegung in die Menge vor dem Gerichtsgebäude. Die ersten Flüchtlinge dürfen nach drinnen gehen und ihren Antrag stellen. Das Sozialgericht hat eine eigene Richterin allein für die Flüchtlinge vom Lageso bereitgestellt. Nur so ist es möglich, dass alle 56 Flüchtlinge ihre Anträge bis zum Annahmeschluss um 15 Uhr stellen können. „Mit dem Gericht funktioniert die Kooperation wirklich hervorragend“, freut sich Neufeldt.

Hat ein Flüchtling einen Eilantrag gestellt, leitet das Sozialgericht diesen ans Lageso weiter, das dazu eine Stellungnahme abgeben muss. Fällt diese positiv aus, bekommt der Antragsteller seine Leistungen ausgezahlt. Beim letzten Mal hat „Be an Angel“ die ersten Antworten nach fünf Tagen erhalten. Alle waren positiv. Hannah Wagner