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Symptom des Kapitalismus

COP 21 Klimaschutz mag manchen als Hobby für Naturfreunde und Umweltschützer gelten – dabei geht es um viel mehr. Für Sonntag wird zur Großdemo mobilisiert

Die Folgen des Klimawandels treffen die Ärmsten zuerst, aber letztlich uns alle Foto: Reuters

von Lea Fauth

Jetzt erst recht: Nachdem in Frankreich der verlängerte Notstand während des Klimagipfels in Paris die Straßen leerfegen wird, wollen in anderen Städten dafür umso mehr Menschen ihren Protest kundtun. In Berlin soll der „Global Climate March“ am 29. November am Hauptbahnhof um 12 Uhr starten, zeitgleich mit zahlreichen anderen Demonstrationen in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt.

Die Verlängerung des Ausnahmezustands wird von vielen Organisationen kritisiert, die in Paris Demonstrationen geplant hatten. Manche vermuten sogar, dass diese Verlängerung direkt auf die Eindämmung der Klimademonstrationen abzielte und nicht auf Terrorbekämpfung. „Fußball geht weiter, die Konzerte gehen weiter, alles, nur die Demonstrationen nicht“, beklagte am Sonntag ein Mann in Paris, der mit mehreren hundert Mitstreiter*innen trotz des Demonstrationsverbots gegen den verhängten Ausnahmezustand protestierte. „Es kann nicht akzeptiert werden, dass grundlegende demokratische Rechte so massiv eingeschränkt werden“, kommentiert auch Dorothee Häußermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Momentan erwäge man alternative Proteststrategien.

Denn es steht viel auf dem Spiel. „Städte werden untergehen“, wird in einem Video von Campact prophezeit, das zur Teilnahme an der Demo aufruft. Es soll Anteilnahme auch bei den Menschen erwecken, die sich sonst nicht mit Klimaschutz beschäftigen. „Es geht längst nicht mehr nur um Eisbären. Es geht um uns“, sagen die Akteure des Videos. Jeder soll sich betroffen und angesprochen fühlen.

Ein Blick auf die Teilnehmerliste des Global Climate March mag daher verwirren oder gar enttäuschen. Dort sind überwiegend Umweltschutzorgani­sa­tionen, Tierfreunde und Baumschützer aufgelistet – mit denen sich im urbanen Alltag wohl eher keine Mehrheit identifiziert. Ausnahmen wie der Zen­tral­rat der Muslime machen die Unterstützerliste des Global Climate March ein bisschen bunter. „Muslime müssen der Umwelt gegenüber Verantwortung zeigen“, erläuterte Bilge Gürel vom Zentralrat der Muslime dessen Teilnahme gegenüber der taz. „Der Mensch, egal welcher Religion oder auch ohne Religionszugehörigkeit, hat es in der Hand. Jeder muss seinen Beitrag leisten“, fordert sie weiter.

Manche Organisationen geht es hingegen nicht nur um die Umwelt – sie setzen auf einen grundlegenden Wandel und lehnen Teillösungen ab. Bewegungen wie Buko (Bundeskoordination Internationalismus) wollen den Klimawandel zum Beispiel nicht als isoliertes Phänomen betrachten: Ihnen geht es um die kapitalistische Gesellschaftsordnung als solche. „Anstatt auf die Verhandlungen in Paris zu schielen, müssen wir verstärkt die falschen und systemstabilisierenden Lösungsansätze benennen (marktorientierte Mechanismen, technologiedominierte Ansätze) und bewegungsübergreifend über wirkliche Alternativen diskutieren“, argumentiert die Bewegung in einem mehrseitigen Arbeitsschwerpunkt. „Dafür ist es nach wie vor nötig und wichtig, die Wahrnehmung des Klimawandels als Umweltproblem zu brechen und ihn klar und deutlich als eines der Symptome des Kapitalismus zu benennen.“ Der Klimawandel sei systeminhärent. Buko ruft deshalb nicht zum Global Climate March auf und auch nicht zu anderen Aktionen in Paris. Die Mitglieder der Bewegung wollen an anderen Stellen ansetzen.

Die Organisator*innen des Global Climate March sind hingegen in erster Linie darauf bedacht, möglichst viele Menschen für das Thema Klimaschutz zu gewinnen. Deshalb bleiben sie wohl bei einer allgemeinen Forderung: Die Erderwärmung soll durch verbindliche Abmachungen auf 2 Grad Celsius begrenzt werden.

Dem gegenüber steht ein Gefüge aus Wirtschaftsmächten und Politiker*innen, die vor allem ihre nationalen und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen verteidigen wollen. Da Beschlüsse auf dem Gipfel außerdem einstimmig geschlossen werden müssen – also mit der Zustimmung aller 194 teilnehmenden Länder – kommt es bestenfalls zu provisorischen Bestimmungen, nie zu verbindlichen Entscheidungen. Und schließlich sind unter den Nichtregierungsorganisationen, die dem Gipfel beiwohnen dürfen, zum Beispiel auch Wirtschaftslobbyist*innen, die sich etwa unter dem Namen Bingo (Business and Industry NGO) zusammengeschlossen haben und die Einfluss auf die Entscheidungen des Gipfels ausüben wollen. Gegen dieses Machtgefüge gilt es für die Teilnehmer*innen des Global Climate March vorerst, sich am 29. November Gehör zu verschaffen.