„Eine sehr lokalpatriotische Geste“

Der Wiederaufbau der Frauenkirche ist eine Hommage an das alte Dresden – und ein Problem für die Denkmalpflege, sagt die Architekturhistorikerin Simone Hain. Aufgrund der Vorliebe für Fakes gehen historische Zeugnisse verloren

taz: Frau Hain, am Sonntag wird die wiedererrichte Frauenkirche in Dresden geweiht – ist das ein guter Tag für Dresden?

Simone Hain: Die einzige gute Nachricht ist, dass die Kirche geweiht wird und dass sie zwei Pastoren haben wird. Immerhin ist eine Kirche entstanden und kein Bertelsmann-Tonstudio.

Was ist die schlechte Nachricht?

Dieser Wiederaufbau wirft unendlich viele Parameter denkmalpflegerischen Handelns und geistiger Dimensionen einfach um. Jetzt wird eine Argumentation aufbrechen, die erneut den Wiederaufbau überall fordern wird. Ich verweise nur auf das Berliner Stadtschloss oder die Garnisonkirche in Potsdam. Die Vehemenz, mit der dies gefordert wird, ist vor allem ökonomisch begründet: Die Branche, die in Dresden gezeigt hat, was sie kann, will sich nun empfehlen für den Wiederaufbau neuer Projekte, also Gebäudetechniker oder Baufirmen. Die werden am Sonntag zwar alle feuchte Augen kriegen, aber dahinter steht ein Geschäft. Die ganze Geschichte hat einen sehr, sehr nüchternen und wirtschaftlichen Unterbau.

Wohin verschieben sich denn die geistigen und denkmalpflegerischen Parameter?

In Richtung einer universellen Machbarkeit und Heilbarkeit. Letztlich steigt dadurch die Bereitschaft, Zerstörung hinzunehmen. Wenn irgendwo Städte bombardiert werden, entsteht sofort den Reflex: „Man kann das ja wieder aufbauen.“ Dresden wird dafür zum Vorbild werden. Diese Kirche ist 60 Jahre lang in Dresden als Mahnmal für die Bombennacht betrachtet worden, ähnlich der Gedächtniskirche am Berliner Ku’damm. Die Ruine der Frauenkirche hatte eine große Wirkung auf Besucher, sie konnte Krieg und Zerstörung unmittelbar darstellen. Die geheilte Kirche hat diese Strahlkraft verloren.

An ihrem Wiederaufbau werden Bürgersinn und Versöhnungsgedanke gelobt. Sehen Sie diese Bedeutung nicht?

Die Bedeutung der Frauenkirche bleibt lokal. Mit dem Ende der Debatte über die Bombennacht, dem Sinn oder Unsinn der Zerstörung der Stadt, kommt Dresden einigermaßen zur Ruhe. Die Kirche ist eine Hommage an die alte Stadt, an die Geschichte Dresdens, pure Romantik. An dieser Stelle kann ich die Begeisterung der Dresdner mittragen, das ist eine sehr lokalpatriotische Geste – mehr aber auch nicht. Dieser Diskurs hat nichts zu tun mit unserer deutschen oder europäischen Debatte über den Zweiten Weltkrieg oder die Kriegsschuld.

Der Historiker Arnulf Baring hat im Spiegel gesagt, in schlechten Zeiten wie diesen müsse an bessere erinnert werden. Das leiste die Frauenkirche. Funktioniert Architektur als Trostpflaster?

Es gibt eine Bewegung unter ultrakonservativen Intellektuellen, wie Arnulf Baring oder Joachim Fest, einen neuen nationalen Mythos zu konstruieren. Sie stört, dass diese Gesellschaft in der neoliberal-globalen Welt keine große Erzählung hat. Hier wird die Frauenkirche benutzt, um deutschnationale Inhalte zu vermitteln, statt zu thematisieren, was Symbole unseres Handelns in unserer modernen Welt, in Europa sein könnten. Es gibt durchaus Möglichkeiten, pathetisch und symbolisch die emanzipatorische Seite unserer Epoche zu thematisieren.

Was sagt das über moderne Architektur, dass die Menschen solche Botschaften von ihr nicht hören wollen?

Ach, das wollen sie doch. Bauwerke von Architekten wie Gehry oder die modernen Superdomes genießen hohe Popularität und werden bewusst auch standortstärkend benutzt. Das Rückwärtsgewandte ist doch nur ein Segment in der Öffentlichkeit. Das hat auch was mit Wirklichkeitswahrnehmung und Reflexionsvermögen zu tun, ob man sich für die Moderne oder die Geschichte entscheidet.

Moderne Architekten stehen angesichts der Popularität von Wiederaufbauprojekten wie Frauenkirche oder Stadtschloss nicht auf verlorenem Posten?

Deren Argumentation ist stark erschüttert. Dresden erweckt den Eindruck, das letzte Mittel im Umgang mit Städten sei ihr geschichtstreuer Wiederaufbau. Das größte Problem bei dieser Konzentration auf identitätsstiftende Fakes ist, dass es Denkmalpflegern die Hilfsbereitschaft abzieht. Was nicht tausendfach auf Plakaten von Tourismuswerbung auftaucht, geht unter. Dabei haben wir so viel Mühe, unsere überlieferte Bausubstanz an die nächste Generation weiterzugeben. Ich stecke in einem Kirchenprojekt im brandenburgischen Westhavelland, 16 Dorfkirchen warten auf Restaurierung. Wir müssen jetzt die schönste auswählen und uns auf die konzentrieren. Was sind das für bedeutsame Marken in der Landschaft – ein historisches Archiv. Diese Kirchen vermitteln 800 Jahre Dorf- und Landesgeschichte. Und uns sind die Hände gebunden. Das ist einfach aberwitzig.

FRAGEN: H. HOLDINGHAUSEN