Ein Hauch von Revolution

LINKE Helmut Höge über Berlins politische Bewegungen

Die Rosa-Luxemburg-Demonstration an diesem Wochenende soll so etwas wie eine linke Heerschau sein. Aber die eher staatsmarxistisch orientierten Ostler und die basisdemokratisch inspirierten Westler sind noch nicht unter einen Hut zu kriegen.

Die taz ist – zusammen mit der von Sartre gegründeten Libération – ein Projekt der „Spontiscene“, zu der ich mich damals wie heute zähle, obwohl sie nicht mehr so heißt und keine „Scene“ mehr ist. Das gilt grob auch für die anderen damaligen linken Gruppen, ob leninistisch, trotzkistisch oder maoistisch ausgerichtet. 1978 hatten sie noch ihre eigenen Theorieorgane und Zeitungen. Eine, der Arbeiterkampf (ak), heißt inzwischen Analyse & Kritik. Bis heute erhalten haben sich auch die anarchistischen Periodika graswurzelrevolution und Direkte Aktion (DA) sowie das immer noch „illegale“ Berliner Autonomenblatt Interim.

Das Projekt tageszeitung setzte von Anfang an auf eine Art antikoloniales „Patchwork der Minderheiten“ (Lyotard). Die Stoßrichtung aller sozialen Bewegungen, deren Teil man war, zielte auf eine grundumstürzende Veränderung der warenproduzierenden Gesellschaft: Theoretisch bis zur Kritik an der Zeitlosigkeit des naturwissenschaftlichen und mathematischen Wahrheitsbegriffs, praktisch bis zur Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit.

Bierforschung

Wolfgang Müller, Autor des gerade erschienenen Readers „Subkultur Westberlin 1979-1989“, sprach zu Haus- und Instandbesetzerzeiten von den „Genialen Dilletanten“. Im „Fischbüro“, aus dessen Keller 1989 die Love-Parade kroch, wurde der Forschungsbegriff entsprechend ausgedehnt. Ein typischer Dialog am Tresen dort ging so: „Machen wir noch eine Bierforschung oder eine Nachhausegehforschung?“ „Ich muss erst mal eine Dönerforschung machen.“

Die aus der Spontibewegung hervorgegangenen Realogrünen stimmen inzwischen in so ziemlich allen Parlamenten mit. Aber dies ist zugleich mit einer Abkehr von radikaler Gesellschaftskritik und allem, wofür sie früher standen, verbunden. Erfolg versprechen fürderhin vor allem Single Issue Movements. Inzwischen spricht man wie selbstverständlich von NGOs. Jean Baudrillard beobachtete bei den Linken nach 1989 einen allgemeinen Shift weg von den „harten Ideologien“ (Klassenkampf, Diktatur des Proletariats) hin zu den „weichen“ (Menschenrechte, Ökologie): „Sie finden gleichzeitig den Weg zur poetischen Pose des Herzens und zum Geschäft.“ Und Daniel Cohn-Bendit erklärte auf dem taz-Kongress 2012: „Soziale Bewegungen sind notwendig. Aber sie kommen und gehen. Deswegen braucht es eine Partei wie die Grünen, um deren Forderungen durchzusetzen.“

Die Links- und die Piratenpartei sehen ihren Wählerauftrag ähnlich. So verhandelte die Kreuzberger PDS einmal mit der autonomen Spaßpartei KPD/RZ. Die Berliner Piraten beauftragten jüngst einen Mitarbeiter sozusagen vollamtlich, sich der Mieterbewegung – „Kotti & Co“, „Anti-GSW“, etc. – anzunehmen. Die vielen Kneipen- und Buchladenkollektive und nicht wenige Galerien machen hingegen nur noch sporadisch aus linken Themen einen „Diskussionsabend“ – wenn diese ein gewisses Erregungspotenzial offenbaren.

In einer Medien- und Informationsgesellschaft, in der die Softwareentwicklung eine immer größere Wertschöpfungstiefe erreicht und die Überwachungsdienste mit Nerds vom Chaos Computer Club um die besseren Algorithmen wetteifern, sollte man die Öffentlichkeit aber sowieso nicht mehr suchen, sondern sie eher meiden, um etwas „Soziales“ zu entwickeln. Das scheint etwa die Neuköllner Lunte-Truppe, aber auch die Jour Fixe Initiative und die Freunde der klassenlosen Gesellschaft so zu halten, die höchstens einmal im Jahr eine öffentliche Diskussion anzetteln.

Diese werden ergänzt durch die Event-Maschinen der staatlichen Kunst- und Kultureinrichtungen – die auch fast alle den erwähnten „weichen Ideologien“ anheim gefallen sind. Im übrigen enthusiasmierten 2011 die Aufstände der gebildeten Jugend und der Frauen in den arabischen Ländern auch die hiesigen Arabistik-Studenten und -Dozenten – bis hin zu den Palästinenserfreunden. Was schon bald eine ganze Reihe von Diskussionen und Soli-Initiativen „generierte“, wie man heute gerne sagt.

Kümmern um sich selbst

Gleichzeitig ergriff – jedenfalls in Berlin – ein gesunder Hang zum „Reduktionismus“ in der Lebensführung, ein Kümmern um sich selbst, die kritischen „Massen“. Einhergehend damit waren immer mehr Linke sich nicht mehr sicher, ob die warenproduzierende Gesellschaft und ihre „Realabstraktionen“ überhaupt umgestülpt gehören. An die Stelle einer politökonomischen trat die ökologische Utopie. Sie personifiziert sich etwa in den 7 Millionen deutschen Vegetariern. Das geht so weit, dass sich im Haus der Demokratie in Prenzlauer Berg „Nichtraucherverbände“ einquartierten.

In Summa: Es wimmelt weltweit von kleinen und größeren Protest- und Reformbewegungen. Im Osten geht es dabei eher um die Essenz, im Westen um die Existenz. Ähnliches gilt für die anschwellende Theorieproduktion, die nicht selten nur dem Autor weiter hilft. Aber sie hilft!

Da drunter breitet sich ein diffuses Gefühl aus, dass es nicht mehr lange so weiter gehen kann. Man erkundigt sich schon mal, wie Kartoffeln angebaut werden. Eine Gruppe junger Linker aus Indonesien kam bei ihrer teilnehmenden Beobachtung der vorletzten 1.-Mai-Krawalle in Kreuzberg, die sie bis dahin bloß aus CNN-Berichten kannte, zu dem Schluss: „Das ist ja alles nur Spiel. Selbst die Hubschrauber...“

Helmut Höge ist taz-Autor seit 1980 und Aushilfshausmeister

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