Maos letzte Kämpfer

KINO Bollywoods Aufruf zur Revolution – ein Film über Indiens maoistische Guerilla holt den Bürgerkrieg nach Delhi

VON GEORG BLUME

Wissen Sie eigentlich, wie schwer es ist, in diesem Land politische Filme zu machen?“, fragt Bollywood-Regisseur Prakash Jha das Publikum in der Delhier Jawaharlal-Nehru-Universität (JNU). Es geht um seinen neuen Film über die maoistische Guerilla-Bewegung in Indien. „Dies ist kein freies Land!“, sagt Jha. Das Elitepublikum der Hauptstadt lässt ihn gewähren. Keine Pfiffe, kein Aufmucken der sonst so debattierfreudigen Studenten. Jha bestreitet an der JNU ein Heimspiel. Sie lieben ihn. Er ist einer, der das Unmögliche wahr macht: Revolution in Bollywood.

Den Staat stürzen

Jha ist Indiens einziger bekannter Bollywood-Filmemacher, der politisches Kino macht. Sein letzter Film zeigte das Scheitern der Kastenintegration im Erziehungswesen. Vor drei Jahren geriet sein Streifen „Politik“, der Korruption und Mord innerhalb einer fiktiven indischen Regierungspartei beleuchtet, zum größten kommerziellen Erfolg eines Politfilms überhaupt in Indien. Damit machte sich Jha nicht nur Freunde. Mit seinem neuesten Film „Chakravyuh“, der vor wenigen Wochen in 19 Delhier Kinos anlief, sorgte er wieder für Schlagzeilen. Denn die Kritik behauptete, er sympathisiere mit den von der Regierung als Terroristen gebrandmarkten Maoisten, die im indischen Dschungel bis unter die Zähne bewaffnet gegen militärisch geschulte Polizeitruppen kämpfen.

Jhas Film spielt tatsächlich fernab der typischerweise heilen Bollywood-Welt. Hintergrund ist die brutale Realität eines seit Jahrzehnten währenden Bürgerkriegs in weiten Teilen Indiens. Schon der Titel des Films sollte provozieren: „Chakravyuh“ ist ein militärischer Begriff, der im Krieg eine ausweglose Lage bezeichnet. Er trifft Jhas Einschätzung der Situation mit einem Wort.

Die Maoisten sind Schätzungen zufolge mit einer 50.000 Mann starken Armee auf rund einem Drittel der indischen Landesfläche aktiv. Im Bundesstaat Chhattisgarh kontrollieren sie einen Urwald von der Größe Portugals und bezeichnen ihn als „befreites Gebiet“. An ihrem Anspruch, den indischen Staat zu stürzen, gibt es keinen Zweifel. Angeblich werden sie von Pakistan und Nepal mit Waffen beliefert. Indiens Premier Manmohan Singh bezeichnete sie als „größte innere Bedrohung Indiens“. Doch im Alltag wird der Bürgerkrieg verdrängt. Jha wagte sich mit seinem Film als erste Bollywood-Ikone an das Thema.

Doch nicht nur das. „Ja, ich sympathisiere mit den Maoisten!“, erzählt er seinem nun doch etwas erschrocken wirkenden Studentenpublikum in Delhi. Er verstehe ihren Kampf. Auch wenn er einräumt, dass sie nicht die richtigen Mittel wählen, glaubt er, dass es ihnen im Kern um ein berechtigtes Anliegen gehe.

Viele Jahre hat er für den Film recherchiert, hat Wochen bei den Rebellen im Dschungel verbracht und mit ihren Anführern gesprochen – trotz vieler Gefahren. Denn mit den Maoisten ist in der Regel nicht zu spaßen. Sie lassen nur wenige Intellektuelle, Künstler oder Journalisten in ihre Nähe. Die berühmteste Ausnahme machte bisher die indische Booker-Preisträgerin Arundhati Roy, die im Winter 2010 für zwei Wochen ein Guerilla-Kommando im Urwald begleitete. Daraus entstand damals eine Reportage über den harten Alltag des Dschungellebens, die ihre indischen Kritiker für eine Spur zu romantisch hielten. Roy aber hatte nicht den wirklichen Krieg erlebt.

Das Versäumnis will Jhas Film nun nachholen. Der Film zeigt, mit welcher Brutalität und Intensität Maos letzte Kämpfer den Krieg führen. Die Gewalt herrscht auch in den eigenen Reihen der Guerilleros. Mit Abtrünnigen machen sie kurzem Prozess. Der Film verschweigt nicht, dass ihre Unterstützung in der armen Bevölkerung größtenteils auf Angst und Schrecken beruht, den sie allerorts verbreiten. Aber Jha zeigt auch, wie entrechtet weite Teile der Bevölkerung Indiens sind. Vor allem Ureinwohner und Kastenlose werden unterdrückt und von korrupten Politikern und Beamten um ihre Rechte betrogen. Die gefürchteten Maoisten geben ihnen zumindest Landrechte, verleihen ihnen, denen sonst niemand zuhört, eine Stimme. An manchen Stellen lässt der Film seine Protagonisten unverhüllt zur Revolution aufrufen.

Der Film ärgert damit nicht nur die Regierung. Noch bevor er in die indischen Kinos kam, hatte sich Jha bereits eine Verleumdungsklage vom indischen Megakonzern Tata eingehandelt. Tata beanstandete den Text eines Kampfliedes der Maoisten im Film: „Sei es Birla oder Tata, Ambani oder Bata, alle missbrauchen das Land zum eigenen Vorteil. Ihre Triebwerke laufen mit unserem Blut“, lautet der Text des Lieds. Eine Anspielung auf Korruption und illegale Landverkäufe, der vor allem Indiens Ureinwohner trotz neuer Gesetze zu ihrem Schutz meist wehrlos ausgeliefert sind. Regelmäßig müssen die im Dschungel lebenden Ureinwohner der Industrie ohne Entschädigung weichen. Den Gewinn teilen sich die Konzerne mit der lokalen Regierung. Doch Tata wollte das Lied verbieten lassen. Der Fall ging bis vor Indiens obersten Gerichtshof. Dort aber gewann der Filmemacher, und die Medien spendeten Beifall. Jha hatte offenbar den richtigen Nerv getroffen. Zumindest die Verdrängung des Bürgerkrieges gestehen viele Inder ein.

Provokateur und Aufrüttler

Am Ende gelangte der Film regulär in die Kinos. Das skandalöse Lied musste Jha nur mit dem Hinweis versehen: „Bezüge zu einzelnen Firmen dienen lediglich der Veranschaulichung.“ Eine harmlose gerichtliche Verfügung, die den Film nicht weiter störte. Das war eben das demokratische Indien. Unbequeme Filme lassen sich nicht einfach so verbieten.

Dabei geht Jha durchaus an die Grenzen dessen, was dem indischen Kinobesucher zuzumuten ist: Sein Held ist ein Spion der indischen Polizei, der sich bei den Maoisten mit dem festen Vorhaben einschleicht, ihre Verbrechen und Gemeinheiten aufzudecken. Am Ende aber weiß der Protagonist nicht mehr, auf welcher Seite er eigentlich steht – zu grausam agieren die staatlichen Sicherheitskräfte gegen Guerilleros und Ureinwohner.

Das Thema der indischen Ureinwohner hatte die Kinowelt indirekt schon mit dem kommerziell erfolgreichsten Film aller Zeiten beschäftigt: „Avatar“ entlieh sich die Geschichte von Bulldozern verfolgter Waldbewohner der indischen Realität, auch wenn der Hollywood-Hit dann auf einem fernen Planeten spielte. Doch Jha drehte, anders als US-Regisseur James Cameron, keinen Science-Fiction-Film. Auch wollte er wohl jedem Vorwurf entgehen, das Urwaldleben zu glorifizieren. Übrig bleibt bei Jha nur der nackte Kampf ums Überleben. Den aber führen im Film auch die indischen Polizisten, die sich vor ihrer Stationierung in den Wäldern Ostindiens nicht ausmalen, welche Gewalt und Gefahr sie erwarten.

Für den fremden Beobachter ist das Unheimliche an Jhas Film nicht die brutale Darstellung des Dschungelkrieges. Viel schauriger ist, dass dieser Krieg so selten ein Kino oder einen Uni-Saal in Delhi erreicht. Fast schon zu geübt wirkt da Jha als Provokateur und Aufrüttler. Zu ruhig reagieren die Studenten. Dabei liefert ihnen Jha bestverkäufliches Material, das für Indien eine zivilisatorische Katastrophe beschreibt. Indiens Ureinwohner – sind sie der Rettung etwa nicht wert? Engagiert sich niemand für sie wie für die Indianer Amerikas oder die Aborigines Australiens?

Die Debatte kommt an der JNU erst gar nicht auf. Hier bleibt Jha einfach der Bollywood-Star. Er arbeitet ja auch schon an seinem nächsten Film, einer sozialkritischen Betrachtung der indischen Mittelschicht. Vielleicht reagiert sein indisches Publikum etwas betroffener, wenn es selbst zur Zielscheibe der Kritik gerät.