Essay DFB-Skandal: Das Prinzip Sommermärchen

Der DFB fädelte das große Geschäft professionell ein. Beckenbauer und Platini haben ein Gespür dafür, wie sich Korruption legalisieren lässt.

Franz Beckenbauer steht neben einem Plakat zur WM 2006. Sein Kopf wirft einen dunklen Schatten auf das Plakat.

Franz Beckenbauer steht gerade im Schatten des Skandals Foto: dpa

Die Versuchung ist groß, den Skandal um die Vergabe der Weltmeisterschaft an Deutschland in einem Atemzug mit der Manipulation der Abgaswerte bei Volkswagen zu nennen. Werden doch in der Wahrnehmung vieler mit dem DFB und VW gerade zwei Vorzeigeorganisationen deutscher Zuverlässigkeit als Trickser, Täuscher und Betrüger entlarvt.

Doch der naheliegende Parallelfall zum Skandal beim DFB ist gar nicht Volkswagen, sondern es sind die inzwischen größtenteils vergessenen Versuche von Siemens und Daimler, mithilfe von Schmiergeldzahlungen außerhalb Deutschlands lukrative Aufträge an Land zu ziehen.

Die Herausforderung sowohl für den DFB als auch für Siemens und Daimler bestand darin, Deals in Gegenden der Welt zu machen, in denen man mit den klassischen westlichen Geschäftspraktiken nicht besonders weit zu kommen meinte. Ob man die Stadtverwaltung in Manila, die staatlichen Stromversorgungskonzerne in Griechenland oder die Fifa in Zürich nimmt – jede westliche Organisation, die davon ausgehen würde, dass diese Organisationen so ähnlich wie sie selbst funktionierten, wäre naiv.

Der Erfolg des DFB bei der Einwerbung der Fußballweltmeisterschaft basierte auf der Erkenntnis, dass der internationale Fußballverband Fifa – obwohl in der Schweiz ansässig – in keiner Weise wie eine normale westliche Organisation funktioniert. Schon vor dem offiziellen Bewerbungsprozess hatte man beim DFB begriffen, dass die Entscheidungsgremien der Fifa nicht mit dem Vorstand einer französischen Großbank oder der Hamburger Stadtverwaltung zu vergleichen sind, sondern eher mit einem Ministerium in Kenia oder einer Stadtverwaltung in Pakistan, wo Ämter immer auch dazu dienen, Geldflüsse in die eigene Tasche umzuleiten und ein persönliches Netzwerk zu versorgen.

Die herrschende Tauschlogik

Bei der vorschnellen Diskriminierung dieser Praktiken als Korruption wird übersehen, wie selbstverständlich solche Tauschprozesse in eng geknüpften Personennetzwerken außerhalb der von Transparency International aufgelisteten Vorzeigeländer sind. Das Prinzip der Bedienung und Pflege persönlicher Netzwerke – die „Confianza“ in Mittel- und Lateinamerika, das „Guanxi“ in China oder das „Blat“ in Russland – ist so wirkmächtig, dass es in diesen Ländern schwer ist, sich ihm zu entziehen.

Jedes Bewerbungskomitee für ein internationales Sportereignis, jede internationale Entwicklungshilfeorganisation und jede Filiale eines westlichen Großkonzerns weiß, wie schwer es ist, in Kenia, in Pakistan oder in China Geschäfte zu machen, ohne sich wenigstens punktuell auf die in diesen Ländern herrschenden Tauschlogiken einzulassen.

Die Leistung solcher Organisationen besteht deswegen – soziologisch ausgedrückt – darin, eine Übersetzung zwischen den auf Personenvertrauen basierenden Organisationskulturen ihrer Partner und den ihnen selbst auferlegten, auf Systemvertrauen basierenden rechtsstaatlichen Prinzipien hinzubekommen. Der Erfolg dieser „Übersetzungsorganisationen“ hängt davon ab, dass auf der einen Seite Entscheidungen unter Bedingungen von Confianza, Guanxi oder Blat getroffen werden können und auf der anderen Seite Entscheidungen herauskommen, die auch rigiden externen Prüfungen standhalten.

Ein Teil der Übersetzungsleistungen wird von freiberuflichen „Übersetzern“ erbracht. Diese „Übersetzer“ lassen sich ihre Dienste vergüten – häufig nicht in Form einer direkten Anstellung durch die westlichen Organisationen oder durch eine direkte Prämierung im Erfolgsfall, sondern dadurch, dass sie selbst von den zustande kommenden Geschäften profitieren.

Beckenbauers persönlicher Profit

Franz Beckenbauer war nicht nur ein Meister in solchen Übersetzungsleistungen, sondern er hat es über Jahrzehnte verstanden, davon auch persönlich zu profitieren. Zur Professionalität gehörte dabei, dass er sich selbstverständlich nicht kurz vor der Vergabe einer Weltmeisterschaft von einem russischen Bewerbungskomitee bestechen ließ, sondern stattdessen kurz nach der Abstimmung einen lukrativen Werbevertrag eines russischen Staatsunternehmens annahm.

Der Unterschied zwischen in ihrer Gier stümperhaft agierenden Fifa-Funktionären wie Jack Warner aus Trinidad & Tobago oder Eugenio Figueredo aus Uruguay und Franz Beckenbauer oder auch dem Uefa-Präsidenten Michel Platini besteht darin, dass Letztere ein viel genaueres Gespür dafür haben, wie sich Korruption legalisieren lässt.

Bei aller massenmedialen Skandalisierung der Vergabe der Weltmeisterschaft nach Deutschland wird übersehen, dass das Bewerbungskomitee die Übersetzungsleistung sehr professionell angegangen ist. Das Bewerbungskomitee stellte Freundschaftsspiele des FC Bayern München in Thailand oder Trinidad in Aussicht – also in den Staaten, aus denen die wichtigen Wahlmänner kommen – und erklärte sich später für die Verwendung der Einnahmen aus den Freundschaftsspielen für nicht zuständig.

Das Prinzip ist immer dasselbe

Die Sponsoren des Deutschen Fußball-Bundes unterstützten den Bewerbungsprozess dadurch, dass sie lukrative Aufträge an Verwandte der Wahlmänner vergaben oder größere Investitionen in den Herkunftsregionen der Wahlmänner in Aussicht stellten, gleichzeitig aber bestritten, dass das irgendetwas mit der Vergabe der Weltmeisterschaft zu tun habe.

Das Prinzip ist immer dasselbe – es gibt eine auffällige zeitliche Nähe zwischen einem Abstimmungsverhalten eines Mitglieds eines Exekutivkomitees und der finanziellen Belohnung dieses Mitglieds durch einen Bewerberstaat. Wichtig aber ist dabei, dass auf keinen Fall eine direkte – schriftlich nachweisbare – kausale Verbindung zwischen der Abstimmungsentscheidung und der Geldzahlung entsteht.

Das Problem mit der Fifa scheint jedoch gewesen zu sein, dass einige Exekutivmitglieder sich nicht mit einer nur mündlich vereinbarten und zeitlich verzögerten Entschädigung für ihre Stimmabgabe zufriedengeben wollten, sondern direktere Formen von finanzieller Motivation verlangten.

Wenn die Darstellung über die Verwendung des Darlehens über zehn Millionen Schweizer Franken vom damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus stimmt, dann war die Sache durch die DFB-Verantwortlichen nicht ungeschickt eingefädelt worden. Die finanzielle Vorbereitung der Bewerbung bei einigen als kritisch eingeschätzten Exekutivmitgliedern erfolgte nicht durch das Bewerbungskomitee, sondern wurde ausgegliedert. Die finanzielle Vorbereitung des Terrains erfolgte dann nicht über einen offiziell an der Bewerbung Beteiligten, sondern durch jemanden, der ein starkes geschäftliches Interesse an einer WM in Deutschland hatte.

Im Normalfall wäre dieses Verfahren nicht weiter aufgefallen. Das Problem war jedoch, dass Louis-Dreyfus sein Geld vom Deutschen Fußball-Bund zurückverlangte, ohne warten zu wollen, bis sich Leistungen und Gegenleistungen über Adidas ausgleichen lassen würden.

Der Anfang war professionell

Ob dies damit zusammenhing, dass es nach seinem Ausscheiden bei Adidas keine Möglichkeit der zeitverzögerten Verrechnung mit dem Sportartikelhersteller mehr gab oder ob es ihm darum ging, angesichts seines bevorstehenden Todes noch möglichst viel für seine Familie herauszuholen, weiß man bislang nicht. Jedenfalls entstand erst durch die Rückforderung des Geldes die bekannte umständliche Hilfskonstruktion mit einer Zahlung für ein vermeintliches Kulturprogramm der Fifa, über die letztlich dann auch der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gestolpert ist.

Kurz: Am Anfang waren die Übersetzungsleistungen professionell eingefädelt worden, am Ende wurden sie aber dilettantisch aufgelöst.

Die erste Reaktion auf aufgedeckte Skandale besteht immer darin, Verantwortliche zu identifizieren und abzustrafen. Einer bestimmten Person wird die Verantwortung zugewiesen, diese dann massenmedial wirksam entfernt – so wird versucht, verlorengegangene Legitimität neu aufzubauen.

Weil weder Franz Beckenbauer noch Theo Zwanziger bei Bekanntwerden der eingesetzten Belohnungen offizielle Ämter beim DFB bekleideten, eigneten sie sich nicht mehr für einen für die Schauseite der Organisation nötigen Selbstreinigungsprozess.

Dass der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach als letzter Funktionär aus der Bewerbungszeit zurücktreten musste, war deswegen klar. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch seine Ämter bei der Uefa und der Fifa niederlegen wird.

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