Gentrifizierung allerorten

FESTIVAL Südwind versucht einen kurzen Zwischenbericht zum alternativen Musiktheater in Spanien, Italien und Griechenland

„Was spielen alternative Musik-Theatermacher im krisengeschüttelten Süden Europas?“, fragt Südwind, ein Festival-Quickie in der Neuköllner Oper und im Heimathafen dieses Wochenende. Aus drei Stücken bestehend kombiniert das Südwind Produktionen aus Griechenland, Spanien und Italien mit drei interaktiven Workshops. Nach erfolgreichen Festivals 2010 und 2013 und zahlreichen Kooperationen mit freien Theatergruppen in Europa soll das Festival als Zwischenbericht einer andauernden Krise dienen.

Das Festival beginnt am Freitag mit „Pizzeria Anarchia“, das schon seit dem 15. Oktober in der Neuköllner Oper läuft. Die Produktion ist eine Zusammenarbeit mit der innovativen Theatergruppe Balletto Civile, die Tanz, Theater und Gesang kombiniert, um die wahre Geschichte der ehemaligen Hausbesetzung „Pizzeria Anarchia“ in Wien zu erzählen. „Wir haben uns ein gemeinsames Thema gesucht“, erzählt Bernhard Glocksin, künstlerischer Leiter der Neuköllner Oper, „eben die Vertreibung aus Wohnraum, also die sogenannte Gentrifizierung, die in Italien für die Menschen ein großes Thema ist, die hier natürlich in Berlin absolut aktuell angesagt ist. Ein Reizthema, das natürlich die Künstler als Nomaden häufig sehr stark betrifft.“

Solidarische Punks

Das Ereignis selbst hatte bereits tragikomisches Potenzial: Ein Investor will einen Altbau sanieren, doch ein paar Seniorinnen wollen nicht gehen. Um sie zum Auszug zu motivieren, bietet der Eigentümer einigen Punks einen symbolischen Mietvertrag für einen Euro. Diese Punks gründen aber nicht nur eine Pizzeria, sondern solidarisieren sich auch noch mit den AltmieterInnen. Fortan kämpfen sie gemeinsam gegen den Immobilienhai und es werden – wie im Theaterstück wiederholt und berührend vom Bariton Benoit Pitre gesungen wird – 1.700 Einsatzkräfte, ein Hubschrauber, ein Räumpanzer, eine halbe Million Euro und ein ganzer Tag benötigt, um das von den Punks verbarrikadierte Haus zu räumen.

Der Produktion gelingt es, die Geschichte nicht bloß schwarz-weiß darzustellen. Machtverhältnisse werden umgedreht: die Polizisten tragen Bärte und sprechen Italienisch, wirken aber wie kafkaeske Karikaturen. Die Geschichte wird auch teilweise aus der Perspektive des anarchistischen Hunds erzählt, der die Herrschaft der Punks hinterfragt.

Darauf folgt die Uraufführung von „Re-Volt Athens“, eine musikalische Performance, die von der Gentrifizierung Athens – inmitten des europäischen Krisenregimes und Spardiktats – aus der Perspektive junger Theatermacher erzählt. „In Athen gibt es eine dramatische Situation, seit Jahren schon“, erzählt Glocksin. „Das wissen wir zum Teil durch die Presse, die aber sehr gelenkt ist. Vieles kriegen wir dann über die Medien doch nicht mit. Da hat es uns sehr stark interessiert, mit einer unabhängigen Theatergruppe etwas auf die Beine zu stellen.“ Die Produktion entstand mit KünstlerInnen des ODC Ensembles im Vyrsodepseio, einer ehemaligen Fabrik in Athen, die von Theatermachern in ein Kulturhaus umgewandelt wurde. „Die haben das mit eigenen Mitteln jenseits staatlicher Förderung hochgezogen“, betont Glocksin.

Am Samstagabend geht das Festival weiter mit „4Carmen“, einer Produktion der Òpera de Butxaca i Nova Creació in Barcelona („Taschenoper“). Darin wird Tourismus, der Bauboom und die Krise des Landes beleuchtet durch eine Hommage an Carmen, der Protagonistin von Bizets gleichnamiger Oper. Die Produktion ist also für Carmen und besteht gleichzeitig aus vier Stücken über sie (englisch: for/four/4), die sich mit dem Machismo und Frauenbild des Mythos kritisch ausein­andersetzen.

Begleitet wird das Festival am Samstag von drei Workshops. „Mag Europa in Politik und Wirtschaft auch schlecht dastehen“, proklamiert die Einladung zum Workshop, „unser Europa sieht anders aus!“

Der Workshop soll durch aktive Teilnahme das körperliche Erlebnis der Krise zeigen: „Es ist total wichtig“, sagt Glocksin, „jetzt etwas zu schaffen, wo man miteinander etwas tut, statt nur zu reden oder sich einen tollen Vortrag anzuhören. Wir müssen was tun. Und das sollte auch durch den Körper hindurchgehen.“ Nicholas Potter

6. – 7. 11. Neuköllner Oper, Heimathafen, Hofperle