Berlinmusik

Naiv und mies gelaunt

Die achtziger Jahre waren, sentimentalen Erinnerungen zum Trotz, nicht attraktiv. Schon allein wegen der Tennissocken und Stulpenstiefel. Es gab aber auch, das darf man nicht vergessen, Schulterpolster und raspelkurzes Wasserstoffblondhaar für alle. Dass sich die Androgynität im Mainstream durchsetzen konnte, war auch ein Zeichen für eine neue genderpolitische Liberalität. Aus diesem Geist heraus macht Asbjørn – obwohl im Jahr 1992 geboren – auf seinem zweiten Album „Pseudo Visions“ Musik. Sein großes Vorbild ist natürlich Madonna, die Königin der Geschlechterirritation, sein Sound so umfassend, dass er sich selbst „Pop Kid“ nennt.

Als Kind der Neunziger ist der in Berlin lebende Däne aber aufgewachsen in einer noch größeren Ära des Pop. Jedenfalls in einer Zeit, in der Pop zwar bereits zynisches Geschäft war, aber tatsächlich noch funktionierte als naives – wenn auch kommerzielles – Heilsversprechen. Britney Spears, Spice Girls oder Beyonce: Zumindest in der dänischen Provinz, in der Asbjørn groß wurde, waren sie das Schaufenster in eine andere, bunte, offenere Welt.

Auf „Pseudo Visions“ schlüpft Asbjørn – wie man es aus den Eighties kannte – folgerichtig in immer neue Rollen, zitiert mit dem asiatisch angehauchten „Tokyo Kyoto“ David Bowie oder singt mit Kopfstimme wie Jimmy Sommerville. Mit klapperdürren Synthies erinnert er an Erasure, wird für „Body of Work“ dann aber auch zum Mann am Piano in der Tradition von Elton John. So bewusst Asbjørn aber auch mit seinen Vorbildern spielt, zeitgemäß ist „Pseudo Visions“ trotzdem, weil er niemals nur schlicht kopiert, sondern mit gebrochenen Melodien und bröckelnder Elektronik auch stets die Halbwertszeit der alten Ideen in die eigenen Tracks mit einbaut.

Da wirkt Sedlmeir wie eine Antipode: Mehr als doppelt so alt wie Asbjørn, nicht naiv, sondern mies gelaunt, das Leben nicht mehr vor sich und auch ganz froh darüber. Schon aus dem Titel seines neues Album spricht die Ironie: „Melodien sind sein Leben“. In einem Song, der zum Hit taugen würde, sinniert Sedlmeir wie ein singender Heidegger: „Schein oder Sein, lass dich befrei’n.“ Pop ist bei Sedlmeier im Gegensatz zu Asbjørn nicht universelle Sprache, sondern entweder selbst Gegenstand seines Meta-Pops oder gleich privater Klamauk. Aber so unterschiedlich sie sind, beides sind großartige Platten.

THOMAS WINKLER

Asbjørn: „Pseudo Visions“ (Sinnbus/Roughtrade)

Sedlmeir: „Melodien sind sein Leben“ (Rookie/ Cargo)