Die vergessene Regisseurin Ida Lupino: Skandalgeschichten, schnell und billig

Die Drehbuchautorin und Regisseurin Ida Lupino fehlte in der Frauen-Filmgeschichte bisher. In Wien war nun ihr „Schlagzeilenkino“ zu sehen.

eine frau sitzt auf einem doppelstockbett, um sie herum drei weitere frauen

In „Not Wanted“, Lupinos erster Regiearbeit, dreht sich alles um eine ledige Mutter. Foto: Viennale

WIEN taz | Im renommierten britischen Filmmagazin Sight & Sound warnte der Filmkritiker Marc Cousins kürzlich davor, über die Kritik an einer männlich dominierten Filmwelt nicht zu vergessen, dass die Filmgeschichte bereits viele herausragende Regisseurinnen hervorgebracht habe. Junge Filmemacherinnen sollten Selbstvertrauen daraus schöpfen, dass sie auf starken Schultern stünden.

So wie François Truffaut in seinem berühmten Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ gefragt hat, sollten sie fragen: „Forough Farrokhzad, wie haben Sie das gemacht? Elaine May, wie haben Sie das gemacht? Esfir Schub, wie haben Sie das gemacht?“

Das Problem ist natürlich: Selbst vielen Regisseurinnen dürften diese Namen wenig sagen, geschweige denn, dass sie einen der Filme ihrer großartigen Vorläuferinnen gesehen haben. Filmmuseen und -festivals sind die Institutionen, die hier am besten Abhilfe schaffen können. Die Viennale, Österreichs größtes Filmfestival, hat dieses Jahr einen wichtigen Beitrag dazu geleistet mit einer Retrospektive des kompletten Kinoregiewerks von Ida Lupino.

Die 1914 geborene Britin ist heute am ehesten bekannt als Darstellerin aus den Film-noir-Klassikern „They Drive By Night“ (1940) und „High Sierra“ (1941) mit Humphrey Bogart. Vergessen wird oft ihre Arbeit als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin. Zwischen 1949 und 1966 drehte sie insgesamt sieben Kinofilme, außerdem arbeitete sie bis in die späten sechziger Jahre regelmäßig für Fernsehserien wie „The Untouchables“, „Have Gun – Will Travel“ oder „Alfred Hitchcock Presents“.

Verzicht auf Namensnennung im Abspann

Was ihre Karriere besonders ungewöhnlich macht: Sie begann am Tiefstpunkt der Emanzipation in Hollywood. Mit ihrem Debüt „Not Wanted“ aus dem Jahr 1949 beendete sie eine Periode von sechs Jahren, in der – nach Dorothy Arzners „First Comes Courage“ (1943) – dort nicht ein einziger Film von einer Frau produziert wurde.

Ida Lupino

„Ich behalte alle weiblichen Eigenschaften. Die Männer mögen das lieber. Sie sind kooperativer, wenn sie denken, du seist vom schwächeren Geschlecht, selbst wenn du in einer Position bist, Befehle zu erteilen, was normalerweise das Vorrecht der Männer ist. Oder zumindest glauben sie das.“

Dass sich das änderte, lag nur an einem Zufall: Eigentlich sollten Lupino und ihr Mann Collier Young mit ihrer 1948 gegründeten Firma The Filmmakers „Not Wanted“ nur produzieren. Doch als der Regieroutinier Elmer Clifton drei Tage nach Beginn der Dreharbeiten einen Herzinfarkt erlitt, sprang sie ein. Wie sie selbst behauptete, nur weil kein Geld dafür dagewesen sei, einen Ersatz zu engagieren – Lupino verzichtete auch auf eine Nennung im Abspann.

„Not Wanted“ ist in mehrerlei Hinsicht schon typisch für die sechs Filme, die sie bis zum Jahr 1953 für The Filmmakers – zum Teil nach eigenen Drehbüchern – drehen sollte: Es ist „Schlagzeilenkino“. Eine Skandalgeschichte, die aus einer aktuellen Zeitung entnommen wurde oder entnommen sein könnte, diente als Grundlage für einen Film, der schnell und billig produziert auf den Markt geworfen wurde.

Lupino hat nie die Budgets für Renommierproduktionen bekommen, die ihr einen Platz im Pantheon der Regiegrößen Hollywoods hätte sichern können. Sie lernte, effizient zu arbeiten und dabei trotz der eng gesetzten Grenzen eigene Akzente zu setzen.

Ein Kind geklaut

In „Not Wanted“ geht es um das damalige Tabuthema uneheliche Schwangerschaften. Eine junge Frau verfällt einem Nachtclubpianisten, der sie sitzen lässt. Erst danach merkt sie, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Sie entschließt sich, es zur Adoption freizugeben – und bereut die Entscheidung bald. Außer sich vor Schmerz klaut sie das Kind einer anderen.

Natürlich lässt sich nur spekulieren, wie der Film ausgesehen hätte, wäre er von Clifton gedreht worden. Es ist aber schwer vorstellbar, dass ein Mann die Fahrt in den Entbindungssaal – die eindrücklichste des gesamten Films – aus der Subjektive der Protagonistin gefilmt hätte. Wie überhaupt „Not Wanted“ die Schwangere nicht skandalisiert, sondern ihr mit viel Empathie begegnet. In „Hard, Fast and Beautiful“ (1951) steht eine aufstrebende Tennisspielerin im Vordergrund, die von ihrer ehrgeizigen und durchtriebenen Mutter manipuliert wird. Der Vater ist zwar liebevoll, aber ein körperlich gebrechlicher Verlierer – wie so viele Männer in Lupinos Werk.

Grenzen ihres Feminismus

Der Film zeigt aber auch, wo aus heutiger Perspektive die Grenzen ihres Feminismus liegen. Karrierefrauen sind in ihren Filmen suspekt. Ihre Selbstverwirklichung muss da aufhören – oder wird sanktioniert –, wo sie im Widerspruch zur „eigentlichen“ Bestimmung der Protagonistin als Ehefrau und Mutter steht. Da ist Lupinos Werk ganz dem Zeitgeist der Nachkriegsjahre verpflichtet, der die Frauen aus den Fabriken zurück an den heimischen Herd lotsen wollte.

Widersprüchlich ist, was sie selbst zum Thema gesagt hat: „Wenn eine Frau einen Mann hat, der sie liebt, sollte sie besser in der Nähe ihres Zuhauses bleiben“, schrieb sie in einem Artikel. In einem Interview, das sie 1953 gegeben hat, klingt ihre Zurückhaltung allerdings eher taktisch motiviert: „Ich behalte alle weiblichen Eigenschaften. Die Männer mögen das lieber. Sie sind kooperativer, wenn sie denken, du seist vom schwächeren Geschlecht, selbst wenn du in einer Position bist, Befehle zu erteilen, was normalerweise das Vorrecht der Männer ist. Oder zumindest glauben sie das.“

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