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: Erst spritzt Blut, dann gibt’s Sex

„Alléluia“ (Frankreich 2014, Regie: Fabrice Du Welz). Die DVD ist ab rund 18 Euro im Handel erhältlich.

Gloria (Lola Dueñas) wäscht eine Leiche, das ist ihr Beruf. Man sieht sie dabei, das sind die ersten, noch sehr ruhigen Bilder des Films. Später produziert sie Leichen, das tut sie privat, und nichts daran tut sie ruhig, man sieht es in vielen blutigen Bildern und es ist sehr zum Fürchten. Dabei beginnt alles eigentlich eher harmlos. Gloria, Anfang vierzig, attraktiv, alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, sucht per Internetdating einen Mann. Gleich der erste, Michel (Laurent Lucas), scheint ein Hauptgewinn. Charmant, gutaussehend, formvollendet, dann auch noch ein guter Liebhaber. Kann ja eigentlich alles nicht wahr sein.

Ist auch nicht wahr. Sie folgt ihm, sie beobachtet ihn mit anderen Frauen, sie stellt ihn zur Rede, er ist ein Heiratsschwindler von Graden, so weit bleibt alles im Rahmen einer erwartbaren Enttäuschungsgeschichte. Aber dann. Sie will ihn nicht ­loslassen, sie dient sich ihm an als Komplizin, Fabrice du Welz filmt diesen Moment als horizontale Schuss-Gegenschuss-Halbgesichterverschmelzung. Gloria gibt die Tochter zu einer Freundin und wird zu Michels Partner und lover in crime. Er schleicht sich, wie gehabt, ins Vertrauen nicht mehr ganz junger, wohlhabender Frauen, sie schleicht sich mit, als seine angebliche Schwester. Das klingt kühl kalkuliert, kann es aber nicht sein.

Würgen, schreien, stacheln

Schließlich lebt Gloria so unter demselben Dach, schlimmer noch, Schlafzimmertür an Schlafzimmertür mit Frauen, die ihre Konkurrentinnen um Michels Nächte sind. Sie hält es nicht aus, wenn er nebenan mit den anderen schläft. Erinnyenhaft rasend stürmt sie dazwischen, würgt, schreit, stachelt Michel an, der zum Höhepunkt die schöne Solange zerhackt. Das war nicht der Plan. Michel ist erst, im Falle Marguerites, sehr konsterniert, spürt aber und erkennt dann das Moment der Passion: mörderische Eifersuchtsekstase als Aphrodisiakum. Erst spritzt das Blut, dann haben sie Sex.

Gloria wäscht wieder eine Leiche, nunmehr privat, sägt dann, ritsch, ratsch, an ­Marguerites Bein und singt dabei musicalhaft-surreal zu Soundtrack-Musik

„Alléluia“ beruht – recht frei, wie der Abspann einräumt – auf einer wahren, schon mehrfach verfilmten Geschichte. Vier Teile (Akte) hat der Film, nach Frauennamen betitelt: Gloria, Marguerite, Gabriella, Solange. Um Realismus im engeren Sinn geht es nicht, wie man schon an Referenzen nach hier und da sieht. Mehr als eine Figur liest einen Krimi von Georges Simenon. Gloria und Michel gehen ins Kino, sie sehen John Hustons „African Queen“ mit Hepburn und Bogart. Sie halten Händchen, sie freuen sich wie die Kinder, sie albern herum.

Du Welz erzählt diese Geschichte in einem nie ganz klaren Register. Gefilmt ist das alles in sehr absichtlich grisseligen, aber dabei nicht schmutzigen, sondern farbkompositorisch recht grandiosen 16-mm-Bildern. „Alléluia“ will Atmosphäre, Großaufnahme, farbige Flächeneffekte, dunkel pulsierende Herzklopfmusik. Blut um des Bluts, Ekstase um der Ekstase, Sex um des Sex und Perversion um der Perversion willen: Überschreitungskino, das die Gewalt, die es zeigt, nicht moralisch natürlich, aber ästhetisch goutiert. Mitunter ein bisschen zu sehr.

So ganz ernst gemeint ist es andererseits auch wieder nicht. Gerade mit dem 16-mm-Filmmaterial schreibt sich „Alléluia“ in andere Zeiten der Filmgeschichte zurück; ungefähr Italien, Giallo, siebziger Jahre. Einmal fällt er ziemlich aus dem eigenen Rahmen: Gloria wäscht wieder eine Leiche, nunmehr privat, sägt dann, ritsch, ratsch, an Marguerites Bein und singt dabei musicalhaft-surreal zu Soundtrack-Musik. Am Ende schickt Du Welz sein mordendes Pärchen vollends in ein Kino: Alles rot, alles vorbei, ein letztes Mal halten sie Händchen. Eine Moral von der Geschichte gibt’s aber nicht. Ekkehard Knörer