Punk und Psychoanalyse

SCHRÄG Irritierend, witzig, spinnert und dazu mehrstimmiger Falsettgesang: Vögel die Erde essen und ihr einzigartiges neues Album „Besuch von innen“

Wie fühlt man sich wohl als Kopfschmerztablette? Wie ist das, wenn man sich gerade auflöst? Sich aufmacht in die Blutbahnen, zerfallen in Millionen Moleküle? Das sind so Fragen, die sich doch jeder schon mal gestellt hat. Oder aber auch nicht. Vögel die Erde essen jedenfalls schlüpfen singend ins Gemüt dieser sich gerade auflösenden Schmerztablette – und beantworten die anstehenden Fragen dann mit einem musikalischen Gewitter, wie es selten heruntergegangen ist.

„Besuch von innen“ hat das Berliner Trio sein kürzlich erschienenes Debütalbum genannt. Der Titel ist Programm für eine Platte, die mit solchen Zeilen beginnt: „Achtung, Achtung, wir machen Picknick am Abgrund.“ Und dann geht es auch schon los: Mit Gitarren­attacken, die im letzten Moment vor dem großen Crash dann doch noch einmal abbiegen. Mit einem Rhythmus, der manchmal gar nicht vorhanden scheint, aber dann doch zum Stakkato anschwillt. Mit knurrigem, aber überraschend geradeaus gespieltem Punkrock, der dann aber in Exkursionen in eher unbekannte, aber dafür umso bösartigere Metal-Sub­genres mündet. Mit ausufernden Improvisationen wie aus den drogenverseuchtesten siebziger Jahren, gefolgt von gut gelaunten Refrains in mehrstimmigem Falsettgesang, die auf Radio schielen, und flotten Bläsersätzen wie aus gut verträglicher Soulmusik.

Hätten die gerade so angesagten Stuttgarter Punkhelden Die Nerven Humor, dann würden sie wohl ungefähr so klingen, wie die Vögel die Erde essen. Wären Ashra Tempel zur Punkzeit gegründet worden. Hätte man Kraftwerk die Technik weggenommen und stattdessen ein paar Gitarren in die Hand gedrückt. Vielleicht so. Vielleicht auch eher nicht. Klar ist immerhin: Gitarrist Moritz Bossmann, Bassist Jan Preissler und Schlagzeuger Oli Friedrich sind, obwohl ihre Musik einen nicht zu überhörenden Witz besitzt, nicht nur mit erheblicher Anstrengung zu konsumieren, sondern auch ziemlich schwer einzuordnen. Seien wir ehrlich: eigentlich gar nicht.

Diese Musik wehrt sich gegen jedes neue Klischee, das sie selbst in einer hysterischen Frequenz heraufbeschwört. Reißt Mauern nieder, die noch gar nicht errichtet wurden. Und das alles mit einem Furor, der keinen Widerspruch zulässt. Kurz gesagt: Das knallt ziemlich gut, ohne jemals stumpf zu werden.

Auch die Texte machen eine Einordnung nicht eben einfacher. Sind die doch Dokumente eines – gelinde gesagt – ziemlich spinnerten Geistes. Da geht’s zum Gasmaskenball, stürzen Neubauten ein und liegen geheimnisvolle Türen begraben. „Wir haben keine Sorgen, denn es gibt kein Morgen“, heißt es in einem Loblied auf die „Radioaktivität“. Feingeister winken aus Panzern, Straßen führen in ein schwarzes Zentrum, Humanoide werden zum Tanzen gezwungen und irgendwann wacht jemand in einem Steinbruch in der Lausitz auf. „Ich schluck die Erde und sie schluckt mich auch“, singen die Vögel. Ist es noch Lyrik? Oder schon der Antrag auf Einweisung in Bonnies Ranch?

Wie man eine psychische Erkrankung in kreatives Potenzial verwandelt, das kann Gitarrist Bossmann schon einige Zeit aus nächster Nähe studieren. Spielt er doch sonst bei den Tentakeln von Delphi, die wiederum einen gewissen Käptn Peng begleiten. Das ist bekanntlich das Alter Ego des Schauspielers Robert Gwisdek, der seine selbst diagnostizierte Schizophrenie bislang in einen Roman und vor allem in so irre wie komische, aber auch zutiefst irritierende Rap-Texte umgesetzt hat.

„Besuch von innen“ ist denn auch erschienen auf Kreismusik, dem Label von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi. Und bei dem einen oder anderen Lied ist auch Gwisdeks Stimme zu hören. Trotzdem sind Vögel die Erde essen nicht nur mit Gitarren verlängerter Käptn Peng. Solch eine verwegene Mischung aus krautrockartigem Mäandern, konzentriertem Punk-Knurren und psychoanalytischem Humbug hat man jedenfalls bisher nur sehr selten gehört. Wahrscheinlich sogar: noch nie. Thomas Winkler

Vögel die Erde essen: „Besuch von innen“ (Kreismusik/Soulfood) Konzert:18. 10., Monarch