Es geschieht im Kopf

Der Leiter der Kunsthalle Baden-Baden, Matthias Winzen, verabschiedet sich mit einer anregenden Ausstellung über den Film in der Kunst

Verblüffend Witziges und tatsächlich Anrührendes – ein passender Abschluss

VON GEORG PATZER

Filme waren nie immer nur gemütlich, immer schon haben sie auch erschreckt. Schon der erste Film der Geschichte (der Brüder Lumière) versetzte die Zuschauer in Panik: Ein Zug raste auf sie zu. Erst später merkte man, dass nichts ist, wie es aussieht, alles nur Kulisse, aufgemalt, Pappmaché und Kunstblut. Dass alles nur so tut, als ob. „Film“ ist der Titel der letzten Ausstellung des scheidenden Leiters der Kunsthalle Baden-Baden, Matthias Winzen, der verwirrend sprechende Untertitel „Ist und Als-ob in der Kunst“.

Vor allem das „Als ob“, das das Kopfkino anstößt, ist wichtig in der Illusionsindustrie Film. Und so füllt den großen Saal der Kunsthalle eine dieser filmartigen Kulissen völlig aus, verwirrend und vielschichtig: Rachel Khedoori hat einen verschachtelten Raum aus Kindheitserinnerungsräumen konstruiert. Perplex flaniert man durch ihn hindurch, sieht durch Fenster auf Fototapeten und Videos in andere Räume und ist gefangen von der geheimnisvoll leuchtenden und beleuchteten Fremdheit und den eigenen Assoziationen. Auch Oliver Bobergs Kurzfilm „Landstraße“, eine bläulich eingefärbte Regenlandschaft mit der Andeutung eines Hauses, wirft den Betrachter auf sich zurück: Passiert gleich etwas? Ist etwas passiert? Und man merkt: Das meiste passiert im Kopf. Der „mentale Raum“, wie Winzen sagt, geht eine Beziehung ein mit dem „Als ob“- Raum des Films, diffus und vor allem emotional.

Die „räumliche Trennung von innen und außen (ist) keine objektive Grundtatsache, sondern eine in unserer Wahrnehmung fortlaufend getroffene Unterscheidung, eine situationsabhängige, variable und manchmal durchlässige Grenzsetzung, durch die wir selbst unsere Wahrnehmung strukturieren“, behauptet er im Katalog. Er meint damit nur, dass Kino so stark auf uns wirkt, dass es uns manchmal so vorkommt, als wären wir nicht im Kinosessel oder auf der Pantoffelcouch, sondern im Wilden Westen, im Weltall, in einer anderen Welt. Das ist denn doch ein etwas großer Wortaufwand für eine, pardon, Plattitüde. Und so kann es denn auch passieren, dass viele Werke, wie die Polizeifotos von Arnold Odermatt oder die Aquarelle von Oskar Schlemmer, zu Quasi-Film-Stills erklärt werden, dass die Aufteilung der Personen im Bild zu einer Bühnenaufteilung erklärt werden. Als wäre nicht jedes Bild seit der Renaissance ebenso komponiert, dass man, wenn man nur kräftig will, an eine Bühne denken kann.

Den meisten Kunstwerken wird es nichts ausmachen, wenn man diese etwas weit hergeholte Theorie beiseite lässt und sich einfach nur anregen lässt. Die Bilder, die unter dem Thema Film zusammengetragen wurden, lassen es gerne zu. Denn natürlich gibt es in der modernen Kunst viele Bezüge zum Film. Beispielsweise in den drei gezeigten Starfotos von Cindy Sherman oder in den mit verschwimmender Kreide gemalten Bildern, die tatsächlich von Filmstills kopiert sind: schöne kleine trostlose Hopper-Szenen von Achim Hoops. Auch die Großbildikone von Andy Warhol mit dem wütenden James Cagney, die heimlich aufgenommenen Fotos von Stefan Panhans, die wie Werbefotos aussehen, zeigen direkt oder indirekt den Einfluss des Massenmediums. Erhellend und witzig sind die Filme von Matthias Müller und Christophe Girardet, in denen sie gleich ablaufende Szenen aus Hollywood- Klassikern hintereinander montiert haben: Von der schlafenden Diva über das Hochschrecken bis zum panischen Herumlaufen sieht man die Gleichförmigkeit der Filmwelt, die sich immer der gleichen Klischees bedient. Nichts Neues, aber nett anzusehen.

Und so schwankt die Ausstellung immer wieder zwischen Bekanntem, hübsch Illustrierendem, verblüffend Witzigem und tatsächlich Anrührendem und Aufschlussreichem. Insgesamt ist „Film“ ein sehr passender Abschluss für Winzen, der mit vielen Ausstellungen begeisterte und anregte: mit der ersten Retrospektive Thomas Ruff überhaupt (2001), der grandiosen Schau mit Georg Herold (2004), der spannenden Ausstellung mit Corinne Wasmuth, den Sammelausstellungen mit moderner russischer Kunst „Ha kypopt!“) oder den etwas theorielastigen Trilogien über die Themen „Du sollst dir ein Bild machen“ oder „Multiple Räume“. Auch zum Schluss hat Winzen wieder einmal einen großen Bogen gespannt, von Yves Klein und Marcel Duchamp bis Christian Boltansky, widersprüchlich und anregend bis zuletzt.

Bis zum 4. Dezember, Katalog 19 €