Don’t panic, I’m islamic

Bei der Weltmusikmesse Womex rufen englische Veranstalter nach Hilfe gegen die übermächtigen Franzosen. Gegen die Fördergelder aus Paris soll nun sogar das Commonwealth helfen. Nur folkmäßig haben die Engländer sowieso schon die Nase vorn – wie sich gerade wieder in Newcastle zeigte

VON CHRISTIAN RATH

Wie ein liegen gebliebenes Kondom liegt das rund 100 Millionen Euro teure Gebäude am Fluss. Oder wie eine seitlich heranrollende Welle. Gebaut hat es Sir Norman Foster, Designer der Reichstagskuppel, und es steht am River Tyne, der die nordenglischen Zwillingsstädte Newcastle und Gateshead trennt. Der fette runde Glas- und Stahlbau, „the Sage“ genannt, beherbergte jetzt gerade die Weltmusikmesse Womex, die noch nie so edel daherkam. Großartige Panoramasicht auf die berühmten Tyne-Brücken inklusive und vor allem mit einem tollen Sound für die abendlichen Konzerte.

Mehr als 2.200 Musiker, Konzertveranstalter, Label-Vertreter, Journalisten und Manager trafen sich dort für Geschäfte und Diskussionen. Und weil die Womex zum ersten Mal in Großbritannien gastierte, gab es auch einen besonderen Schwerpunkt: die Länder des Commonwealth, der ehemaligen britischen Kolonien. Diese 53 Staaten, zu denen etwa Indien, Südafrika und Nigeria gehören, repräsentieren immerhin ein Drittel der Weltbevölkerung. Doch in der europäisch/nordamerikanischen Weltmusikszene stehen sie bisher eher am Rand. Und das ist kein Zufall.

Denn während in Politik, Wirtschaft und Medien die englischsprachige Welt dominiert, gelten im Weltmusik-Business die Franzosen als maßgebend. Aus Paris fließt viel Regierungsgeld für die Förderung der französischen Sprache und der französisch beeinflussten Kultur. Es gibt Zuschüsse für Touren, CD-Produktionen und Vertrieb. Viele sehen darin auch den Grund, dass es Künstler aus Algerien (Khaled) und Mali (Amadou & Mariam) in Frankreich bis in die Charts schaffen, während Weltmusik-Künstler aus englischsprachigen Ländern der internationale Durchbruch nur selten gelingt. Selbst der britische Ex-Led Zeppelin-Sänger Robert Plant, der sich immer mehr der Weltmusik zuwendet und deshalb die diesjährige Womex eröffnen durfte, gestand, dass er sich vor allem von der Musik aus Nordafrika und Mali beeinflussen lässt, während ihm das überwiegend englischsprachige Ostafrika fremd geblieben ist.

„Wir brauchen ein entsprechendes Fördernetzwerk für die anglophonen Länder“, forderte jetzt Ros Rigby, die als Programmdirektorin von „The Sage“ faktisch Gastgeberin war. „Der Commonwealth wäre dafür die ideale Struktur“, meint Rigby. Sie versteht nicht, dass vom Commonwealth bisher allenfalls Schriftsteller gefördert werden, nicht aber der Musikaustausch innerhalb des Staatenbundes.

Liegt die Zukunft der Weltmusik also in einer symbolischen Wiedererrichtung der alten Weltreiche, quasi in einer Rekolonialisierung? „Man muss das dialektisch sehen“, erwidert der deutsche Messe-Leiter Christoph Borkowsky aus Berlin, „es ist doch gut, wenn die Überbleibsel des Kolonialismus nun in etwas Positives umgemünzt werden.“ Vielleicht ist die Zweitrangigkeit der englischsprachigen Weltmusik aber nur eine Frage der Qualität. So konnte bei der Womex weder der abgestandene Funk von Dele Sosimi aus Nigeria noch das folkloristische Musik-Theater von Jagwa Music aus Tansania überzeugen. Auch die Show der Südafrikanerin Thandiswa, die als der „kommende afrikanische Superstar“ angekündigt wurde, sorgte nicht für Aufbruchstimmung. Sie wirkte eher wie Samstagabendunterhaltung als wie neue Cutting-Edge-Kultur, die an das typische Weltmusikpublikum, Mittelschichtsakademiker zwischen 35 und 45, verkauft werden könnte.

Die Debatte um mehr Förderung für Weltmusik aus dem anglophonen Kulturkreis nahmen dann aber auch einheimische Künstler zum Anlass, auf sich aufmerksam zu machen. „Ist es nicht absurd, dass der Bhangra-Hit von Panjabi MC ‚Mundian to bach ke‘ vom britischen Mainstream erst wahrgenommen wurde, nachdem er Platz 2 der deutschen Charts erreicht hatte?“, fragte der Bhangra-Produzent Ninder Johal. Und sein Kollege Aki Nawaz, der mit seinem Label Nation Records den Asian Underground groß gemacht hat, kritisierte, dass die rund zwei Millionen British Asians, davon die Hälfte Muslime, mit ihrer Kultur immer noch nicht voll akzeptiert seien. „Don’t panic, I’m islamic“, rief Nawaz, der pakistanische Eltern hat, dem Womex-Publikum zu.

Deutlich hörbar machte sich schließlich auch die englische Folkszene, der die gesamte vom englischen Arts Council gesponserte off-womex gewidmet war. An drei Abenden stellten die englischen Folkies unter Beweis, dass sie vom Flötisten Michael McGoldrick bis zur Bigband Bellowhead über jede Menge junger Stars verfügt. Absolutes Aushängeschild ist jedoch die Geigerin und Sängerin Eliza Carthy, deren triumphales Konzert für viele den Höhepunkt dieser womex bildete.

Zumindest folkmäßig kann Frankreich im Moment mit den Engländern nicht mithalten.