Doping im Spitzensport: Persönlich designte Moleküle

Den neuesten Trends der Leistungsmanipulation haben Dopingbekämpfer kaum etwas entgegenzusetzen. Nur sehr Ungeschickte kann man noch erwischen.

ein Mensch setzt eine Spritze auf seinen Unterarm

Immer rein in die Vene. Foto: dpa

BONN/NÜRNBERG taz | Was für ein Horrorszenario breitete sich da vor den Nürnberger Eliteschülern des Sports aus! Sie waren beim internationalen Dopingsymposium am Freitag zwar nur als Mikrofonhalter in den Fragerunden unterwegs, aber allen voran der Vortrag des Chemikers Hellmut Mahler, der für das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen arbeitet, war dazu geeignet, an der Zukunft des Sports und der propagierten Chancengleichheit zu verzweifeln.

Mahler kam auf das bereits in diesem Jahr von Dopern eingesetzte Molekül namens FG 4592 zu sprechen, mit dessen Einnahme in Tablettenform mehr körpereigenes Epo, mehr rote Blutkörperchen und eine verbesserte Sauerstoffzufuhr produziert werden. Der italienische Radprofi Fabio Taborre wurde etwa Mitte Juni als FG-4592-Konsument überführt.

Ein leistungssteigerndes Vehikel, das weit mehr als nur irgendein zusätzliches Dopingprodukt auf dem Markt ist. Denn an das Molekül lassen sich durch chemische Bindungen unzählige weitere Atome dranhängen. Das Ausgangsprodukt kann so millionenfache Gestalt annehmen und sich den Suchkriterien der Antidopingkämpfer entziehen. Ein Molekül, das man sich per Internetbestellung ganz persönlich designen lassen kann.

Eine Schreckensvision ist das allerdings nicht: Mahler versicherte, das sei schon real. Es gäbe die entsprechenden Foren, wo man für ein paar tausend Euro ein derartiges am chemischen Reißbrett entworfenes Dopingunikat in Auftrag geben lassen kann.

Desillusioniertes Fachpublikum

Im sowieso schon desillusionierten Fachpublikum im Aufseß-Saal des Nürnberger Germanischen Nationalmuseums tauchte gleich die resignative Frage auf: „Können die Antidopingkämpfer jetzt einpacken?“ Man werde nur noch die Ungeschickten erwischen, bekennt Mahler. Wissenschaftler könnten nur erfolgreich sein, wenn sie das Ziel kennen würden.

„Eine Non-Target-Suche ist nicht möglich.“ Auf die kurze Widerrede von Andrea Gotzmann, die als Vorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) die eigene Infrastruktur (“Wir haben in Köln und Kreischa zwei Weltklasselabore“) und die Fortschritte des Kontrollsystems hervorhob, ging keiner der Dopingexperten auf dem hochkarätig besetzten Symposium näher ein. Das Mitleid war offenbar zu groß.

Angesichts der unbegrenzten Manipulationsmöglichkeiten nehmen sich auch die neuen Instrumente, mit denen die Nada in den Kampf ziehen will, und die am Donnerstag im Bonner Wissenschaftszentrum vorgestellt wurden, sehr kläglich aus: ein Blutstropfentest auf Filterpapier, mit dem man zwar Blutproben nicht ersetzen, aber Nachwuchssportler behutsam an das Antidopingsystem heranführen könne. Und ein anonymes Meldesystem für Hinweisgeber, die über das Internet mögliche Dopingvergehen anzeigen können.

Schlechte Trefferquote der Nada

Es sind weitere Versuche, die schlechte Trefferquote der Nada, die im Jahr 2014 bei knapp 14.000 Stichproben nur 0,6 Prozent der Sportler ein Verstoß gegen die Antidopingbestimmungen nachweisen konnten, zu verbessern. Im Jahre 2013 veröffentlichte die Deutsche Sporthilfe eine Studie, nach der knapp sechs Prozent der befragten Athleten bekannten, regelmäßig zu Dopingmitteln zu greifen.

Die Kluft zur Nada-Aufklärungsquote überbrückt deren Vorsitzende Gotzmann recht sportlich. In Bonn erklärte sie: „Die Prävention ist für mich das nachhaltigste Tool – nicht die Zahlen.“ Und sie verwies dann doch auf Zahlen – auf die noch schlechteren Kontrollsysteme andernorts. Sie liege im Vergleich zu anderen Ländern gern relativ weit hinten. „Wir wollen aus der Position der Stärke bei den anderen etwas anmahnen“, sagte Gotzmann und resümierte: „Wir haben ein sehr gutes System.“

Auf dem Nürnberger Symposium waren sich dagegen die Experten der verschiedensten Disziplinen einig, dass der Antidopingkampf sich auch in Deutschland auf dem Holzweg befindet. Mit den immer strikter angelegten Kontrollsystemen, die auch die Bürgerrechte der Athleten massiv beschneiden, und mit den immer höheren Strafandrohungen sei man in der Vergangenheit nicht weitergekommen. „Jeder Kriminologe weiß, Straferhöhungen bringen nicht viel, es muss mehr aufgedeckt werden“, bilanzierte der Rechtswissenschaftler Dieter Rössner.

Forschung vernachlässigt

Und der Mediziner und Molekularbiologe Perikles Simon bemängelte, dass die Antidopingsysteme nicht ausreichend hinterfragt würden: „Man verfeinert die Kontrollen und drangsaliert die Athleten mit Tests, verbessert aber nicht entscheidend die Analysemethoden. Das ist eine Unverschämtheit.“ Geld in Millionenhöhe würde für mehr Tests ausgegeben werden, einen geringen Bruchteil davon allerdings nur würde man der Forschung zukommen lassen, deren Erkenntnisse doch erst ein effektiveres Arbeiten möglich machen würden. „Es wird nicht in die Qualität investiert“, so Simons Fazit.

Mahler, der die Wissenschaftler an ihren Grenzen sieht, setzt dagegen seine Hoffnungen auf die Unterstützung durch die Justiz. Das Antidopinggesetz soll ja im nächsten Jahr verabschiedet werden. Die Vergangenheit lehrt allerdings, das wurde auf dem Nürnberger Symposium ebenfalls eindrücklich vom Molekularbiologen Werner Franke vorgetragen, dass der Verfolgungseifer staatlicher Behörden bei deutschen Medaillenhoffnungen recht zahnlos ausgeübt wird.

Das mangelnde Interesse des Sports und der Politik für die Dopingproblematik konnte man auch in Nürnberg begutachten. Von der Nada-Vorsitzenden Gotzmann einmal abgesehen, wollte sich offenbar kein Vertreter des Leistungssports an einer derart wegweisenden Debatte beteiligen. Das für alle offene Symposium musste ohne die Betroffenen auskommen. Lediglich die Eliteschüler waren als Mikrofonhalter vor Ort.

Intelligente Antidopingarbeit geht anders

Bei der Nada-Veranstaltung in Bonn erzählten dagegen Athleten wie der Ringer Oliver Hassler bereitwillig, wie unerbittlich die Nada ihrer Aufklärungsarbeit nachkommt. Der Vizeweltmeister hatte schon über einen Facebookeintrag seine Empörung zum Ausdruck gebracht, dass er innerhalb von drei Tagen gleich zweimal gegen sechs Uhr früh morgens Dopingkontrolleuren die Tür öffnen musste.

Bei genauerem Nachfragen stellte sich jedoch heraus: Hassler hatte der Nada selbst angegeben, dass er nur zu dieser Morgenstunde anzutreffen ist. Und die Nada und der internationale Ringerverband hatten diese Hausbesuche zufällig und ohne Absprache miteinander vorgenommen. Unter intelligenter Antidopingarbeit stellt man sich etwas anderes vor.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.