Parasiten, Neutrinos und DNA-Reparatur

Nobelpreise Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm hat entschieden: In den drei Disziplinen Medizin/Physiologie, Physik und Chemie sind dieses Jahr sieben Preisträger und eine Preisträgerin auserkoren worden

Der Kampf gegen Infektionen

Medizin Drei Wissen­schaftlerInnen teilen sich den Medizin­nobelpreis. Sie haben Medikamente gegen armutsinduzierte Krankheiten entwickelt

Mit der Verleihung des „Nobelpreises für Medizin und Physiologie“ hat das Komitee ein Zeichen gesetzt. Die drei ausgezeichneten WissenschaftlerInnen befassen sich mit der Bekämpfung von meist armuts­induzierten Krankheiten, für die sie wichtige Therapien entwickelt haben. Es handelt sich jeweils um Erkrankungen, die in den Industrienationen seit Langem keine Rolle mehr spielen. Während in der Ersten Welt Zivilisationsfolgeschäden wie Dia­betes im Fokus stehen, sterben in den Tropen noch heute Hunderttausende an durch Parasiten übertragenen Krankheiten wie Malaria.

Der mit 850.000 Euro dotierte Preis geht zur Hälfte an Youyou Tu (84) und damit zum ersten Mal nach China. Die Pharmakologin Tu hat auf Basis des in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gegen Fieber eingesetzten Krauts „Einjähriger Beifuß“ (Artemisia annua) ein wirksames Mittel gegen Malaria entwickelt. Sie bekam den Geheimauftrag für die Entwicklung des Medikaments 1967 von der chinesischen Regierung, die auf die vielen Malariafälle in Nordvietnam reagierte.

Von der Isolierung des Wirkstoffs Artemisinin in den 1970ern, den Tu zuerst an sich selbst testete, bis zum Einsatz eines Medikaments aus Artemisinin-Abkömmlingen vergingen rund 30 Jahre. Das Komitee betonte ausdrücklich, das nicht die TCM, sondern die Entwicklung eines neuen Medikaments mit einem umfassenden Nutzen für die Menschheit ausgezeichnet wurde. Tu ist erst die zwölfte Frau der 106 Ausgezeichneten in der Kategorie Medizin und Physiologie (1901–2015).

Die Nutzung tradierter Verfahren beziehungsweise der in ihnen angewendeten Wirkstoffe in der modernen Medizin bietet große Chancen. In den letzten Jahren wurden – wie etwa in Indien – Anstrengungen unternommen, solches Wissen unter eine Art Patentschutz zu stellen, um so zu verhindern, dass nur die großen Pharmakonzerne das Geschäft machen.

Seit dem Einsatz des Mittels ist die Anzahl der Malaria-Toten in den letzten Jahren um die Hälfte gesunken. Trotzdem sterben weltweit noch immer rund 500.000 Menschen an der Krankheit – mehr als die Hälfte davon Kinder. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, dass auch heute nur eines von fünf Kindern ausreichend mit Malaria-Medikamenten versorgt wird.

Der Ire William C. Campbell (85) und der Japaner Satoshi Mura (80) von der Universität Tokio teilen sich die zweite Hälfe des Nobelpreises für ihre Errungenschaften im Kampf gegen die Flussblindheit und das „Elefantenmensch-Syndrom“, die von Fadenwürmern übertragen werden. Campbell arbeitete, als er 1979 seine Entdeckung machte, für ein Forschungsinstitut des US-Pharmakonzerns MSD in den Vereinigten Staaten. Er isolierte aus dem Bodenbakterium Streptomyces avermitilis den Stoff Avermectin. Mura, Mikrobiologe sowie Chemiker und Pharmakologe, sorgte im Labor des Kitasato-Instituts in Tokio für die Vermehrung lebender Bakterienkulturen.

Ivermectin, ein Abkömmling des Avermectin, wird seit den achtziger Jahren gegen Infektionen durch Fadenwürmer eingesetzt. Vor allem die durch Onchocerca volvulus ausgelöste und von Stechmücken, die an Fließgewässern wohnen, übertragene Flussblindheit, kann so bekämpft werden. Epidemio­logen stellten fest, dass in Teilen Westafrikas in den 1970ern rund 60 Prozent der Bevölkerung an der Krankheit litten, von denen 10 Prozent bereits erblindet waren.

Das „Elefantenmensch-Syndrom“ ist eine Krankheit, bei der verschiedene Körperteile massiv anschwellen, was die Betroffenen in die soziale und berufliche Isolation treibt.

Armutsinduzierte Krankheiten wie Malaria, Flussblindheit oder Elefantiasis führen dazu, das Menschen auch fruchtbare Gebiete verlassen und so ganze Landstriche in Afrika veröden. In Südamerika ist die Lage hingegen deutlich besser: Heute ist Elefantiasis in Mexiko, Kolumbien und Ecuador ausgerottet. Bis 2020 will die WHO Flussblindheit und Elefantiasis weltweit besiegt haben.

Patrick Loewenstein

Schwärme von winzigen Teilchen

Physik Zwei Wissen­schaftler werden dafür geehrt, weil sie nachgewiesen haben, dass Neutrinos eine Masse besitzen

Tief unter der Erde, wie hier im Gran-Sasso-Laboratorium in Italien, werden die Neutrinos nachgewiesen Foto: Volker Steger/Science Photo Library/Agentur Focus

Die winzigen Teilchen durchdringen in hoher Zahl unseren Körper und wir können sie trotzdem nicht wahrnehmen. Mehr als 60 Milliarden Neutrinos, von der Sonne kommend, prallen jede Sekunde auf einen Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Sie können sogar die Erdkugel durchdringen. Dass es Neutrinos gibt, wurde schon seit den 1930er Jahren vermutet. Es dauerte dann noch viele Jahre, bis auch der Nachweis gelang. Dafür gab es 2002 den Physiknobelpreis. Dieses Jahr standen beim Nobelpreis für Physik wieder die Neutrinos im Mittelpunkt: Der Japaner Takaaki Kajita (56) und der Kanadier Arthur McDonald (72) werden dafür geehrt, dass sie die jahrzehntelange Annahme widerlegt haben, die Neutrinos seien masselos, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit.

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen und ein zentraler Bestandteil des Standardmodells der Teilchenphysik. Nach den Lichtteilchen, den Photonen, sind die Neutrinos die am zahlreichsten vorkommenden Teilchen des Universums.

Geschätzt wird, dass die Masse der Neutrinos etwa so groß ist wie die Masse aller sichtbaren Sterne. Viele der mit nahezu Lichtgeschwindigkeit fliegenden Neutrinos entstehen bei Reaktionen der kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre, andere bei den Kernreaktionen in der Sonne.

So gigantisch der Schwarm der Elementarteilchen ist, so schwierig war ihr Nachweis: Gewaltige Anlagen tief unter der Erdoberfläche wurden gebaut, um Störsignale vom Rauschen der kosmischen Strahlung oder spontanen radioaktiven Zerfallsreaktionen zu vermeiden.

Drei Arten von Neutrinos gibt es: Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Die Nobelpreis-Akademie erklärte, McDonald und Kajita hätten mit ihren Experimenten gezeigt, dass Neutrinos ihre Identität ändern. Sie wechseln zwischen verschiedenen Versionen. Das war auch der Beweis, dass Neutrinos eine Masse haben müssen.

Kajita zeigte 1998, dass die im Super-Kamiokande-Detektor in einer alten Zink-Mine nordwestlich von Tokio eingefangenen Neutrinos ihre Identität in der Atmosphäre geändert haben. 1.000 Meter unter der Oberfläche waren dort mehr als 11.000 Lichtdetektoren um einen 50.000 Tonnen fassenden Wassertank postiert worden. „Mehr als 100 Forscher arbeiteten an dem Super-Kamiokande-Experiment“, erklärte Kajita.

Drei Jahre später wies McDonald am Sudbury-Neutrino-Observatorium in Kanada nach, dass das Gleiche mit Neutrinos passiert, die von der Sonne stammen. Sein Arbeitsplatz war in einer Nickel-Mine in Kanada zwei Kilometer unter der Erde gebaut worden.

Das Experiment, bei dem er die Metamorphose der Elementarteilchen exakt nachgewiesen habe, sei für ihn ein Aha-Erlebnis gewesen, sagte McDonald, der per Telefon in die Pressekonferenz der Akademie zugeschaltet wurde. Auf die Frage, welche Phänomene in der Teilchenphysik jetzt noch zu klären seien, sagte er, die Forscher wüssten zwar nun, dass Neutrinos eine Masse haben, wollten aber natürlich wissen, wie schwer sie genau sind. WLF (mit dpa und ap)

Enzyme für korrekte Erbsubstanz

Chemie Ohne ein hocheffektives Kontroll- und Reparatursystem für die DNA ist Leben kaum denkbar. Fehlt das Repairsystem, drohen Fehlfunktionen oder Krebs

Drei Wissenschaftler teilen sich in diesem Jahr den Nobelpreis für Chemie, der 77-jährige Schwede Tomas Lindahl und die beiden 69-jährigen US-Amerikaner Paul Modrich und Aziz Sancar. Sancar ist allerdings auch türkischer Staatsbürger. Die Herkunft der Wissenschaftler überrascht etwas. Dass ein Schwede den Nobelpreis verliehen bekommt, geschieht sehr selten. Das Komitee ist bei eigenen Landsleuten oft zurückhaltend. Zum ersten Mal allerdings erhält ein Naturwissenschaftler aus der Türkei die Auszeichnung. Aziz Sancar ist in Anatolien geboren. Seine Eltern waren nach Angaben der Zeitung Hürriyet Analphabeten, ermöglichten aber ihrem Sohn, der mit seinen sieben Geschwistern im anatolischen Savur aufwuchs, ein Studium in Dallas, Texas. Heute lehrt er als Professor an der Universität von Chapel Hill in North Carolina.

Tomas Lindahl entdeckte schon Anfang der 1970er Jahre ein Enzym, das Fehler in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) von Lebewesen reparieren kann. Zuvor nahm man an, dass die DNA ein statisches Molekül sei. Lindahl bezweifelte diese Theorie früh. Ohne einen Reparaturmechanismus, so seine Überlegung, könne Leben nicht existieren. Tatsächlich ist zum Beispiel die menschliche DNA in der befruchteten Eizelle etwa zwei Meter lang. Ein ausgewachsener Mensch aber verfügt über DNA-Moleküle, deren Länge aneinandergefügt 250-mal zur Sonne und wieder zurück reichen würde. Die Eizelle teilt sich somit viele Milliarden Male im Leben eines Menschen. Erbinformationen müssen also ständig fehlerfrei dupliziert werden. Die empfindliche DNA ist dabei auch noch schädlichen Einflüssen wie Umweltgiften und UV-Strahlung ausgesetzt. Die Reparaturmaßnahmen, die die drei Forscher entdeckten, sind so ausgeklügelt, dass sie Handlung eines Animationsfilmes seien könnten. Einige Proteine rasen ständig an der DNA entlang und suchen Fehler. Ist eine Auffälligkeit gefunden, eilen andere Proteine herbei, um die Fehlermeldung zu bestätigen. Erst dann wird von weiteren Helfern die Stelle der DNA ausgeschnitten und ersetzt.

Asis Sanzar richtete seine Aufmerksamkeit auf Zellschäden, die durch die Einstrahlung von UV-Licht entstehen. Menschen, deren Mechanismus der Reparatur massiv gestört ist, vertragen kein Sonnenlicht. Diese sogenannten „Mondscheinkinder“ erkranken häufig an Hautkrebs. Bislang blieb diesen Menschen nur ein Leben in geschlossenen, abgedunkelten Räumen oder kurzen Aufenthalten draußen mit UV-blockenden Cremes. Eine Therapie dieser Krankheit erscheint nun denkbar.

Auch bei der Zellteilung und der damit verbundenen Teilung der DNA können Schäden entstehen. Die Reparatur jener Schäden untersuchte Paul Modrich, der einen Zusammenhang zwischen fehlender oder gestörter Reparatur bei der Teilung der DNA und dem Auftreten von Darmkrebs nachweisen konnte. Bei vielen Krebsarten, so kann aus den Forschungsergebnissen der drei Wissenschaftler abgeleitet werden, ist die Ursache in einem Defekt des körper­eigenen Reparatursystems zu finden.

In der Krebsforschung wird nun nach einer Methode gesucht, dieses Reparatursystem partiell ausschalten zu können. Denn auch Krebszellen können sich reparieren und so gegen Chemotherapie resistent werden. Nimmt man den Krebszellen ihren Schutz, können Therapien besser greifen.

Ein anderer Aspekt ist bei all dem Trubel um den Nobelpreis bislang wenig beachtet worden. Wenn es in Zukunft gelingt, die Reparaturtätigkeit an der DNA zu intensivieren, könnte vielleicht eine Therapie gegen Krebs entwickelt oder gar die Zell­alterung gestoppt werden. Vielleicht haben die drei preisgekrönten Forscher einen kleinen Schritt hin zur Unsterblichkeit getan. Lutz Debus