UN wollen Sintflut eindämmen

Märkte Finanzströme gefährden Entwicklungs-länder, sagen Experten und fordern Reformen

„Der Zugang vieler Entwicklungsländer zur Finanzierung ist schwierig“

BERLIN taz | Das Ende von Hunger und Armut, weltweit und zwar bis zum Jahr 2030. Dieses und andere hehre Ziele setzten sich die Vereinten Nationen erst Ende September in New York. Jetzt hat die Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UN ein nicht gerade kleines Hindernis auf dem Weg dahin ausgemacht: die derzeitige Struktur des weltweiten Finanzsystem.

Die Experten der kurz Unctad genannten Organisation der Vereinten Nationen verlangen deshalb in ihrem Entwicklungs- und Handelsbericht 2015 radikale Reformen auf internationaler Ebene, auch im Interesse der Industrieländer: „Die Krise ist nicht vorbei“, hieß es bei der Vorstellung des Berichts mit Hinblick auf die Lage der Weltwirtschaft.

Als Grundübel machen die UN-Ökonomen die Nebenwirkungen ebenjener Politik aus, mit der vor allem die USA und EU seit der globalen Krise 2008 ihre Wirtschaft antreiben wollten: indem sie viel frisches Geld in die Finanzmärkte pumpten. Das sollte, so die Hoffnung, die Banken dazu bewegen, mit billigen Krediten an Unternehmen die Wirtschaft in Schwung zu halten.

Das Urteil der Unctad über diese Politik fällt niederschmetternd aus: Nach sieben Jahren dieser Politik stünden als Ergebnis eine immer größere weltweite Ungleichheit bei den Einkommen und finanzielle Instabilität. „Die Weltwirtschaft bleibt verletzlich gegenüber den Launen der Geld- und Finanzwirtschaft“, heißt es in dem Report.

Zwar flossen in den letzten Jahren immer höhere Summen in Entwicklungsländer, aber nicht mit dem Effekt, dort eine nachhaltige ökonomische Entwicklung zu fördern. Stattdessen werden die Finanzmittel immer kurzfristiger investiert, in der Folge schwanken Währungen und Rohstoffpreise kurzfristig immer unkontrollierbarer. Entwicklungsländer wappnen sich dagegen, indem sie immer höhere Summen Dollar und Euro als Reserve vorhalten – Geld, das für Investitionen fehlt.

Wie anfällig das System ist, zeigt sich derzeit: Kaum gab es Mitte 2015 Anzeichen einer Rezession in Ländern wie Russland, Südafrika oder Brasilien, zogen Investoren ihr Geld ab, was die Krise verschärfte. Im Fachjargon verhalten sich die Finanzmärkte also prozyklisch: Läuft es in einem Land schlecht, verschärfen sie die Situation, Gewinnerländer profitieren dagegen umso stärker – diese Unsicherheit beeinträchtigt derzeit die gesamte Weltwirtschaft.

Das alles ist zwar nicht neu, gewinnt allerdings angesichts der immer größeren Finanzströme und der neuen UN-Entwicklungsziele an Brisanz. Denn diese sind nur erreichbar, wenn Investoren weltweit langfristig denken. Derzeit gibt es zwar einen weltweiten Überschuss an Finanzmitteln, doch trotzdem „ist der Zugang vieler Entwicklungsländer zu langfristigen Quellen der Entwicklungsfinanzierung und produktiver Investitionen weiterhin schwierig und begrenzt“, schreibt die Unctad. Das könne nicht den internationalen Finanzmärkten überlassen werden, weil die auf kurzfristige Renditen schielten.

„Die Weltwirtschaft bleibt verletzlich“

Unctad-Report

Die Experten schlagen auch eine ganze Reihe von Reformen vor, wie etwa Geschäfts- und Investmentbanken zu trennen und öffentliche Investitionsbanken zu fördern. Damit wäre es zumindest etwas wahrscheinlicher, die UN-Ziele bis 2030 zu erreichen. Ingo Arzt

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