Taliban-Offensive in Kundus: Nato-Soldaten greifen ein
Die Gegenoffensive der afghanischen Armee stockt. Sie wird vielmehr am Flughafen in Kundus von den Taliban angegriffen.
BERLIN taz | Spezialkräfte der Nato haben afghanischen Truppen in der Nacht zu Mittwoch geholfen, die Einnahme des Flughafens der Stadt Kundus durch die islamistischen Taliban zu verhindern. Dies bestätigte der Nato-Sprecher in Kabul, Oberst Brian Tribus, am Mittwoch gegenüber Reuters. Die Nationalität der Nato-Soldaten nannte er nicht.
Spezialisten mehrerer Nationen, darunter elf Deutsche, waren am Dienstag zum Flughafen von Kundus geflogen, um die Regierungskräfte bei der Rückeroberung der am Vortag überraschend von den Taliban eroberten nördlichen Provinzhauptstadt zu beraten.
Die Regierungstruppen hatten am Dienstag ihre Gegenoffensive begonnen. Diese kam bald ins Stocken. Vielmehr griffen die Taliban ihrerseits in der Nacht zu Mittwoch den Flughafen an. Er liegt in der Nähe des früheren Feldlagers der Bundeswehr auf einem Hügel rund acht Kilometer südwestlich der Stadt und wird als einziges Gebiet dort noch von der afghanischen Armee gehalten. Zur Selbstverteidigung griffen die Nato-Soldaten laut Sprecher Tribus in die Kämpfe ein und holten sich Unterstützung der US-Luftwaffe. Diese flog zwei Angriffe auf Stellungen der Taliban beim Flughafen.
„Die Taliban haben die ganze Nacht angegriffen“, sagte Sajed Asadullah Sadat, Mitglied des Rates der Provinz Kundus, laut dpa am Flughafen. „Die Taliban halten weiter ihre Stellungen.“ Er verwies darauf, dass angeforderte Verstärkungen aus den Nachbarprovinzen wegen Hinterhalten Kundus bisher nicht erreichen konnten. „Ich habe ernste Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, Kundus zurückzuerobern, wenn sie nicht einmal erfolgreich Verstärkung schicken kann.“ Präsident Ashraf Ghani hatte am Dienstag eine schnelle Rückeroberung der Stadt versprochen.
„Ich habe ernste Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, Kundus zurückzuerobern“
Bei den Luftangriffen soll nach Angaben des Geheimdienstes der Schattengouverneur der Taliban getötet worden sein. Die Taliban bestreiten dies.
Laut der UN-Mission in Afghanistan sind bei den Kämpfen bisher über 100 Zivilisten getötet oder verletzt worden. Bis zu 6.000 Zivilisten seien geflohen. Nach Regierungsangaben wurden bisher mehr als 100 Taliban sowie 17 Soldaten getötet.
Kundus ist mit normalerweise 300.000 Einwohnern Afghanistans fünftgrößte Stadt und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und Handelsplatz im Norden nahe der Grenze zu Tadschikistan. Es ist die erste Großstadt, die von den Taliban seit 2001 erobert wurde.
Leser*innenkommentare
Albrecht Pohlmann
Herrlich weit hat's der Westen in Afghanistan gebracht. Vierzehn Jahre Krieg ("Militäreinsatz"), und die Situation ähnelt heute der von damals? Abgesehen davon, daß Afghanistan völkerrechtswirdig angegriffen und der angebliche NATO-Bündnisfall ausgemachter Schwachsinn war (man kann es auch "verbrecherischen Irrtum" nennen). - Es wäre schön, wenn wenigstens die denkenden Exemplare unter Politikern und Journalisten an diesem Beispiel verstehen würden, daß Interventionskriege nichts bringen, daß sie allenfalls zum Schein irgendwelcher hehren Ziele wegen geführt werden, daß sie tatsächlich immer öknomischen Interessen dienen (Rüstung, Rohstoffe, Märkte, Einflußsphären) - und immer im Desaster enden. Daß sie meist nur verstärken, was sie zu bekämpfen vorgeben: im ehemaligen Jugoslawien die ethnische Separation, in den vielen Ländern Afrikas und Asiens eben jenen Terrorismus, den der ewigwährende "war on terrorism" doch vorgibt zu bekämpfen. Daß diese Kriege stets das Leid der Zivilbevölkerung verlängern oder verstärken. - Ja, versteht denn keiner, daß es bei diesen Kriegen nie darum geht, Völker von Despoten zu erlösen? Denn dann wäre die SEATO doch längst in Nordkorea einmarschiert ... tatsächlich haben die Nordkoreaner aber nur das Pech, keine nennenswerten Rohstoffe im Land und auch sonst nichts Interessantes für Imperialisten zu haben.