„Es wird nichts übrig bleiben“

STRAFE Der Springer-Verlag muss wegen seiner Berichterstattung 635.000 Euro an Jörg Kachelmann bezahlen – so viel wie noch nie. Genugtuung wird es trotzdem nicht geben

Dreamteam: Jörg Kachelmann und sein Anwalt Höcker Foto: Oliver Berg/dpa

von Claudia Hennen

635.000 Euro für die Verletzung von Persönlichkeitsrecht. Diese Rekordsumme teilte Springer-Anwalt Jan Hegemann kurz und knapp einem Dutzend Journalisten im Eingangsbereich des Kölner Landgerichts mit. Gelassen beantwortete er die Fragen der Medienvertreter, die eine Dreiviertelstunde vor den Sicherheitsschleusen auf ihn gewartet hatten. Das Urteil war kurz zuvor in der Geschäftsstelle verlesen worden und es war offensichtlich keine Überraschung für den Springer-Konzern.

Nie zuvor ist in Deutschland ein Medienunternehmen zu so viel Schmerzensgeld verurteilt worden. Die Summe liegt unterdessen weit unter der geforderten Millionenentschädigung. In Jubel brach Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker nicht aus. Es sei ein „sehr schöner Erfolg“, er habe das Ziel erreicht, „die Grenzen der bisherigen Rechtsprechung zu sprengen“. Doch der Springer-Verlag geht in Berufung, und das wird teuer. Schon jetzt muss der Ex-Wettermoderator den überwiegenden Teil der Gerichts- und Anwaltskosten tragen. Kurz nach dem Urteil twitterte er: „Es wird nach dem Instanzenweg wenig bis nichts übrig sein, es gibt die Kohle jetzt auch nicht.“

Der Prozess gegen Jörg Kachelmann war einer der spektakulärsten der vergangenen Jahre. Eine frühere Geliebte hatte den Schweizer Meteorologen der Vergewaltigung bezichtigt. Die Bild druckte im laufenden Verfahren „heiße Flirt-SMS“ Kachelmanns ab, erörterte seine Sexpraktiken. Im Frühjahr 2011 wurde der Wettermoderator vom Mannheimer Landgericht freigesprochen – mangels Beweisen. Es war ein Freispruch zweiter Klasse, Kachelmanns Ruf zerstört. Was bleibt, ist der Wunsch nach Genugtuung. Er wolle, schreibt der 57-Jährige in seinem Buch „Recht und Gerechtigkeit“, „aus dem ungenierten Restleben das Beste und Sinnvollste machen“. Und als sinnvoll erachtet Kachelmann wohl eine jahrelange juristische Racheschlacht.

Knapp fünfzig Presseberichte der Bild, Online und Print, hatte das Kölner Landgericht überprüft. Bei dreizehn Texten und sieben Fotos machten die Richter eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts aus. Darunter der Abdruck von Chat-Protokollen Kachelmanns mit einer Exgeliebten oder das berühmte Paparazzo-Foto von seinem Hofgang während der Mannheimer Untersuchungshaft. Als vorverurteilend stufte das Gericht ferner ein, dass die Bild Aussagen des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers abdruckte.

Den Vorwurf einer Hetzkampagne wiesen die Richter zurück. Letztlich gehe es um die Abwägung zweier Grundrechte, Persönlichkeitsrecht einerseits, Informationsfreiheit andererseits. Hier hätte die Bild die rechtliche Grenzziehung „fahrlässig verfehlt“. Zugleich räumten die Richter aber ein, dass diese Abwägung „ein außerordentlich schwieriges Gebiet sei“.

Springer-Anwalt Jan Hegemann sagte, die Summe sei völlig unangemessen. Sie liegt weit über der bislang höchsten Entschädigung von 400.000 Euro, die das schwedische Königshaus vor sechs Jahren gegen die Klambt-Mediengruppe (Frau mit Herz, Welt der Frau) erstritten hat. Damals ging es um etwa achtzig frei erfundene Artikel, ein „Ausnahmefall, der nicht ansatzweise mit der Berichterstattung zum Kachelmann-Prozess zu vergleichen sei“, so Hegemann. Springer will bis vor den Bundesgerichtshof, der Prozess könnte sich bis 2018 hinziehen. Für Kachelmanns Anwalt Höcker keine Überraschung: „Springer macht alles, um uns mit Marktmacht an die Wand zu drücken.“

Die Bild druckte im laufenden Verfahren „heiße Flirt-SMS“ Kachelmanns ab, erörterte seine Sexpraktiken. Im Frühjahr 2011 wurde er freigesprochen

Eine gütliche Einigung war im Vorfeld gescheitert. Die angebotene Vergleichssumme war inakzeptabel, so Springer. Sie wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Anders bei den Burda-Blättern Bunte und Focus Online: Mit ihnen einigte sich der Wettermoderator außergerichtlich. Über die Summe wurde Stillschweigen vereinbart, gefordert hatte Kachelmann eine Million.

Kachelmann geht aber nicht nur gegen die Klatschpresse vor. Parallel laufen noch Prozesse gegen die Exgeliebte Claudia Dinkel und gegen die Mannheimer Staatsanwaltschaft. Der Prozess gegen die Bild-Zeitung dürfte aber der langwierigste werden. Die erhoffte Genugtuung lässt auf sich warten.

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